Ferro-Bornemeyer zuckte empor, als sei er angestochen. Ihre Stimme! Ihr erstes Wort! Und welch eine Stimme! Energisch und doch voller Melodie! Was sie gesagt hatte, wußte Ferro in diesem Augenblick schon nicht mehr. In ihm schwang allein nur der Klang wieder.
«Gnädige Frau.«
Ferro klapperte fast mit den Zähnen. Er stand an der spanischen Wand. Mut und Erregung trieben ihm den Schweiß auf die Stirn.
«Bitte?«
«Ich muß Sie tausendfach um Entschuldigung bitten, daß ich Ihnen solche Unannehmlichkeiten mache. Aber die Hotelleitung, diabolo, Signora, hatte mir mein eigenes Zimmer versprochen und dieses Versprechen gebrochen! Welche Freveltat. Versprechungen sind dazu da, daß man sie hält!«Ferro-Bornemeyer freute sich über diesen doppelsinnigen Satz. Teufel noch mal, was war man doch für ein Kerl! Mutig sprach er weiter:»Ich war untröstlich, als ich erfuhr, daß ich für wenige Tage nur Ihr Zimmer teilen muß. Glauben Sie mir, ich bin unschuldig. «Er stutzte und fügte schnell hinzu:»…daran! Ich verspreche Ihnen, nicht zu schnarchen.«
«Hoffentlich.«
«Sie verzeihen mir?«
«Muß ich ja schon. «Sie lachte. Oh, welch ein Lachen. So lachten die Houris in Mohammeds Paradies.»Wenn Sie schön brav hinter der Wand bleiben, können wir gute Nachbarn werden.«
«Ich schwöre es Ihnen. Ich bin ein milder Mensch.«
«Danke. Ich wußte, daß Sie ein Ehrenmann sind. Ich habe dies nicht anders erwartet, auch wenn es nur wenige Ehrenmänner gibt. «Ihre Stimme wurde fragend. Sie muß neben dem Bett stehen, dach-te Ferro-Bornemeyer. In einem durchsichtigen Nachtgewand. Durch seine Schläfen brauste ein Wasserfall.»Man sagte mir, Sie seien Italiener?«
«Sehr recht, gnädige Frau. «Ferro warf sich in die Brust. Sie konnte es nicht sehen, aber sie mußte es am Klang seiner gewichtigen Stimme hören.»Mein Name ist Ermano Ferro, Genua, Automobile en gros und en detail. Größe 1,86, schlank, schwarzlockig, braunhäutig, liebenswürdig, bestimmt Ihr Typ und, das wichtigste, nicht verheiratet…«
Sie lachte wieder. Wie herrlich muß sie aussehen, wenn sie lacht. Und dazu in einem durchsichtigen Nachthemd.
«So genaue Auskünfte wollte ich nicht haben. Um aber auf Ihre letzte Bemerkung zu kommen: Halten Sie es für so wichtig, nicht verheiratet zu sein?«
«Entschieden, Signora! Ein unverheirateter Mann hat immer noch die Chance, bedenkenlos zu lieben.«
«Ein verheirateter nicht?«
«Nicht ohne Skrupel. Vor allem ist es gefahrvoller.«
«Es soll aber Männer geben, die mutig genug sind, allen Gefahren zu trotzen.«
Ferro fuhr sich wieder durch die Haare. Ein tolles Weib, röchelte es in ihm. Er fühlte es heiß durch seine Adern toben. Wenn eine Frau in einem durchsichtigen Nachthemd solche Nachtgespräche führt, werden selbst Greise wieder frühlingsfroh.
«Diese Männer, Signora, sind ein Ideal! Casanova war solch ein Ideal! Und Don Juan. Aber sie sind selten. Immerhin waren aber diese Ausnahmen Südländer wie ich.«
Seine Kühnheit machte ihn trunken. Wie ich mich entwickele, dachte er. Ich werde zum Titanen!
«Es soll aber auch >ideale Frauen< geben, nicht wahr?«fragte sie voller Koketterie.
«Sie sind die Blüten, über die unsere Herzen ins Nirwana wandeln. Sie sind der Samt, von deren Weichheit unsere Hände träumen.«
Ihre Stimme girrte leise.»Man merkt, daß Sie Südländer sind. So romantisch, so voller Bilder. Sie malen mit den Worten. Unterhalten wir uns morgen beim Kaffee weiter?«
«Ich werde die Nacht über wach liegen, wenn ich daran denke, Signora.«
Sie lachte wieder. Es waren Kaskaden, die über silberne Steine herabperlten.»Dann, gute Nacht, Signore Ferro.«
Ferro-Bornemeyer hörte, wie sie in ihr Bett stieg. Eine Hand klopfte die Federn. Jetzt wühlt sie ihren blonden Lockenkopf in die Kissen. Oh!
Ferro stand an der spanischen Wand und suchte noch einmal verzweifelt nach einem Loch in dem Stoff. Das Taschenmesser hielt er in der Hand wie ein Mörder.
«Nicht doch, nicht doch, Signore Ferro!«sagte die Stimme. Es war, als schüttele die Dame dabei den Kopf.»Die Wand hat keinen Fehler. Ich kann Ihren Schatten sehen.«
Resignierend trat Ferro an sein Bett zurück und knöpfte sein Oberhemd auf. Wie alt mag sie sein, grübelte er. Wenn sie nun häßlich wie eine Wurzel ist?
«Wenn ich Sie wiedersehen soll, Signora«, sagte er tief atmend,»wäre es herrlich, wenn Sie Ihre Anonymität lüften würden und mir Ihren Namen nennen.«
«Ach! Das hat die Direktion nicht getan?«Sie zögerte ein wenig. Jetzt denkt sie nach. Ferro stieg aus seiner Hose. Er hatte sich an die Wand gestellt, damit sie im Schattenbild nicht den hoseaus-ziehenden Mann sah.»Eigentlich ist das ja kein Geheimnis, wo wir jetzt sogar zusammen schlafen. Also: Ich bin eine Deutsche, komme aus dem Westen und bin verheiratet.«
«Eine besonders würzige Mischung. «Ferro entledigte sich seiner Unterhose.»Und Ihr Name, Signora?«
«Sabine Sacher.«
Hinter der spanischen Wand klirrte etwas. Glas zerbrach auf dem Boden. Aus Ferros Auge war das Monokel gefallen. Entsetzt, starr, ungläubig und zitternd saß er auf seinem Bett. Völlige Hilflosigkeit
überfiel ihn.
Das ist doch unmöglich, dachte er. Das kann doch nur absoluter Wahnsinn sein. Eine Halluzination. Ich schlafe mit einer Frau, die ich bewachen soll. Das Problem wurde brennend. Er war ausgeschickt worden, ein ehewidriges Verhalten der Frau Sacher zu berichten, und jetzt wurde er selbst ehewidrig. Diese Erkenntnis machte ihn wehrlos und kopfscheu.
«Sabine Sacher«, sagte er mit letzter Kraft.»Danke. Danke bestens. Ich bin entzückt. «Oh, dachte er dabei. Oh, armer Bornemeyer!» Bis morgen früh also. Gute Nacht.«
Er kroch in sein Bett, rollte sich wie ein Igel zusammen und merkte, daß er fror, obgleich vom Meer her ein warmer Wind ins Zimmer wehte. Er fror erbärmlich. Er zitterte, weil er sich selbst leid tat.
Beim Schein der Nachttischlampe nahm er sein kleines Notizbuch, schaute auf die Armbanduhr und trug mit bebender Hand gewissenhaft ein:
>12. -23, Uhr. Schlafe mit Sabine Sacher zusammen. Gespräch sehr charmant. Verabredung für morgen früh zum Kaffee.<
Dann warf er das Buch in eine Ecke und knipste die Lampe aus. Hinter der spanischen Wand hörte er die leisen, regelmäßigen Atemzüge Sabine Sachers. Sie schlief schon. Natürlich schlief sie. Wer so sorglos von der Ehe Ferien macht, hat ein Recht auf Müdigkeit.
Ferro-Bornemeyer lag noch lange wach und starrte an die Decke. Sein Pech gebar selbstzerfleischende Gedanken. Immer war das Schicksal gegen ihn. Immer wurde er getreten. Für sein Schicksal mußte er einen doppelten Hintern haben.
Draußen rauschte das Meer an den Strand. Hochflut. Lachen klang durch die Nacht. In den Strandkörben saßen die Liebespaare und bewunderten den Mond. Ferne Tanzmusik verwebte sich mit dem müden Kreischen einiger später Möwen.
Ferro-Bornemeyer schlief ein, als es dämmerte.
Er träumte unruhig. Wenigstens der Traum entschädigte ihn für die Wirklichkeit.
Die Fahrt durch Paris war schön und langweilig zugleich. Zwar tat der französisch-berlinische Chauffeur alles, um Peter Sacher die Kostbarkeiten der Stadt zu zeigen und auch in jene Gebiete zu fahren, wo beim Einbruch der Dämmerung das Leben erst beginnt. Aber alles dieses zu sehen vom Rücksitz eines Autos aus, allein, mißmutig und gedanklich zwischen Sabine auf Borkum und Coucou auf der Couch hin und her pendelnd, hinterläßt nicht mehr als eine große Leere.
Vor einem kleinen Restaurant in der Rue Etienne ließ Peter sich deshalb absetzen, bezahlte den Fahrer mit einem dicken Trinkgeld und versprach, die Telefonnummer, die der Chauffeur ihm gab, bestimmt anzurufen, wenn er Hilfe und fachmännischen Rat für das Pariser Nachtleben brauchte.
«Ick kenne die tollsten Puppen!«sagte der Chauffeur.»Jerade, wo Sie Architekt sind, da kennen Se doch wat von Formen und Körperbau, wat?«