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In dem kleinen Spiegel vor dem Waschbecken — einmal Waschen 30 Francs — kämmte er sich sorgfältig, setzte dann seinen hellgrauen Zylinder auf, gab dem Toilettenwärter, der ihn sprachlos beobachtete, ein fürstliches Trinkgeld und verließ dann den Gare de l'Est.

Auf dem Bahnhofsvorplatz stand der Chauffeur und verneigte sich tief.

«Herr Jraf, die Pferde sin jesattelt! Wenn Se jetzt noch am Toto 'ne Stange Jeld jewinnen, taufe ick mir um und nenne mir nur noch Nulpe.«

Dann fuhren sie langsam, wie es sich für die sichtbare Würde gehörte, durch das sonnenflimmernde Paris hinaus in den Bois de Bou-logne.

Am Rande dieses Pariser Stadtwaldes liegt die Rennbahn von Long-champs. Mit einem Blick auf die Seine Fleuve, mit seiner überdachten Tribüne, den weiß eingefaßten Kurvenplätzen, den Totoständen und dem weißen Start-und-Ziel-Haus ist das große Oval der Rennbahn eine Arena der Haute Couture, eine Naturbühne schöner Frauen in Kleidern von Dior, Fath und Schiaparelli, ein Zirkus männlicher Raubtiere und ein Irrgarten dummer Eitelkeiten.

Auf Longchamps gesehen und bemerkt zu werden, ist der Höhepunkt der Saison. Eine Frau, über die man in Longchamps nicht spricht, verliert ihr gesellschaftliches Renomme.

Das alles hatte Peter Sacher einmal gelesen. Es war ein bissiger Kommentar, dessen er sich jetzt erinnerte. Aber als sie langsam in die Allee de Longchamps einbogen und sich in den Korso der eleganten Wagen einreihten, eine popelige Taxe unter den chromblitzenden Ungeheuern der Straße, verstand Peter, was es hieß, mit Anstand und Würde borniert zu sein.

Zwischen schattigen Bäumen fuhren sie im Schrittempo dahin, bewunderten die Garderoben der Damen in den offenen Luxuskabrioletts, die ihre Liebhaber auf Wechsel laufen hatten, ließen sich bewundern und ahnten, welchen Glanz sie in Longchamps selbst zu erwarten hatten.

Am Eingang zur Rennbahn, umgeben von riesigen Parkplätzen und den Begleiterscheinungen der Zivilisation in Gestalt von nicht zählbaren Verkaufsbuden für Andenken (trabendes Pferdchen aus Gips nur 100 Francs), Eis, türkischen Honig, belegte Brötchen und eindeutige Zeitschriften in neutralem Einband, hielt die Taxe an. Der Chauffeur drehte sich grinsend um und nickte.

«Da sind mer! Und nun viel Spaß, Landsmann! Meine Nummer haben Se ja noch, wat?«

Peter bezahlte schnell, stieg aus dem Wagen, reckte sich diskret, setzte den Zylinder gerade und sah sich um. Hinter ihm fuhr der Wagen an, zu früh, denn Peter Sacher wirbelte herum und winkte verzweifelt dem wegrasenden Auto nach.

Eine Feststellung raubte alle Haltung, die sein Äußeres darbot.

Er war neben einigen Rennstallbesitzern einer der wenigen Besucher des Rennens in grauem Zylinder und grauem Hut. Niemand dagegen trug weiße Gamaschen. Die Männer hatten der Hitze wegen ihre Röcke irgendwo aufgehängt…im Hemd, die Ärmel hochgerollt, standen sie neben ihren eleganten Damen.

Peter Sacher stand verlassen vor dem Eingang. Hunderte von Blik-ken sahen zu ihm hin. Man beobachtete ihn. Man bewunderte ihn: Bei der Hitze formvollendet! Er war zum Mittelpunkt geworden.

Mit steifen Knien ging Peter zum Eingang und löste eine Karte. Die Blicke folgten ihm. Er spürte sie in seinem Rücken. Wie tausend Nadeln stach es ihm im Nacken.

Alte Schule, dachte man. Und schwer reich. Wer bei 30 Grad im Schatten um seiner Kleidung und Vornehmheit willen schwitzt, muß so viel Geld haben, daß er schon gar keine körperlichen Bedürfnisse mehr hat.

Einige Damen, leider etwas zu auffällig geschminkt, um zur first class zu gehören, schoben sich an ihn heran und lächelten ihm zu. Ein Buchmacher stürzte auf ihn zu. Er zeigte ihm eine lange Liste mit Pferdenamen und nannte Zahlen. Als er hintereinander französisch, englisch, spanisch, italienisch, deutsch und russisch gesprochen hatte und der graue Mann noch immer schwieg, zog er sich schulterzuckend zurück.

Ein Nabob, dachte er. Man sollte auch noch indisch lernen.

Ein Herr, der eine Binde mit der Aufschrift >Rennleitung< um den Arm trug, kam auf ihn zugeeilt.

«Comtede Reilly?«fragte er mit einer tiefen Verneigung. Peter schüttelte den Kopf. Mit heiserer Stimme sagte er schwach:

«Non.«

Dann fiel ihm ein, daß ein Franzose immer für Höflichkeiten aufgeschlossen ist. Er verneigte sich ebenfalls leicht und stellte sich vor:»Peter Sacher.«

Der Herr von der Rennleitung zerschmolz.

«Oh!«rief er enthusiastisch.»Monsieur Sacher?!«Sein Deutsch war grauenvoll, aber Peter verstand es und erbleichte.»Ich kenne Österreich! Ich war ein Jahr lang dort. Wien, oh, Wien! Ein Märchen, Monsieur Sacher. Und in Ihrem Hause habe ich oft gesessen und Kaffee getrunken! Ein wunderschönes Haus, das Hotel Sacher. Und die Torte! Die Sacher-Torte, eine Erfindung Ihrer Frau Mama, nicht wahr? Ein Gedicht! Noch nie habe ich solch eine Torte gegessen! Sie zergeht auf der Zunge! Welche Ehre, Sie hier zu sehen, Monsieur Sacher. «Er winkte einer Platzanweiserin.»Für Monsieur Sacher eine Loge!«rief er laut, damit es alle hörten.

Peter wurde es unheimlich. Er drückte dem Herrn von der Rennleitung die Hand, schielte zu den anderen Besuchern und sah, daß einige Herren ihren Damen erklärten, was ein Sacher für Österreich und Wien bedeutet, und ging schnell der Platzanweiserin nach auf die Tribüne.

Dann saß er in der Loge, hatte ein dickes Programmheft vor sich liegen und kam sich wie eingesperrt vor. Eine unsinnige Wut auf alle Filme überkam ihn, die Rennplatzbesucher nur in Cuts mit grauem Zylinder darstellten.

Verstohlen blickte er sich um. Der französische Hochadel saß um ihn herum. Die roten Bändchen der Ehrenlegion schimmerten in den Knopflöchern. Die Damen sahen aus, als wollten sie mit ihrer unwirklichen Schönheit beweisen, welch häßliche Zwerge doch die Männer sind. Es war, als konzentrierte sich das Interesse nicht auf die Pferde, sondern um den zugeknöpften, graubetuchten Gast, der einsam in einer Ehrenloge saß, standhaft schwitzte und so vornehm war, daß er weder rechts noch links schaute.

Peter Sacher tastete nach seinem Fernglas. Es baumelte vor der Brust und schien einen Zentner zu wiegen. Wenn ich es jetzt an die Augen halte, brechen mir die Arme ab, dachte er. Ich bin völlig vernichtet. Ich bin eine Witzfigur. Wenn es nur einen Ausweg gäbe, unbemerkt wegzukommen. Aber wer ist unbemerkt, wenn er einen hellgrauen Zylinder, grauen Cut und weiße Gamaschen trägt?

Von >Start und Ziel< leuchtete die Tafel mit den Namen der Pferde des ersten Rennens. Auf den Tribünen war ein Kommen und

Gehen zum Totalisator. Die Buchmacher und ihre Gehilfen schrien sich zu, die letzten Wetten wurden abgeschlossen. Die Pferde wurden hereingeführt und stellten sich hinter der Startleine auf. Die bunten Seidentrikots und runden Kappen der Jockeys glänzten wie Ölfarbflecke, die von einer Palette gelaufen waren. Ein vieltausendfaches Stimmengewirr lag über dem riesigen Oval der Rennbahn. Irgendwo klingelte hell eine Glocke. Das Seil schnellte in die Höhe, die Pferde rasten über die in der Sonne flimmernde Bahn.

Rufe gellten auf. Noch einmal nahmen die Buchmacher Wetten an. Hunderte von Ferngläsern verfolgten die wirbelnden Beine.

Allein Peter Sacher hatte den ersten Start verpaßt.

Er hatte Streit.

Streitobjekt war ein hellbrauner, süßer Seidenlanghaardackel. Er war in die Ehrenloge geschlüpft, hatte die weißen Gamaschen Peters beschnuppert und dann mit hochgezogenen Lefzen und blek-kenden Zähnen angebellt.

Zunächst hatte Peter nichts von seinem Logengast bemerkt. Er studierte die Startliste und schwitzte erbärmlich.

Der Dackel hatte, nachdem er in die Loge geschlüpft war, zunächst den fremden Menschen genau betrachtet. Dann hatte er die weißen Gamaschen erst beschnuppert, intensiv beleckt, mit den Zähnen darüber gekratzt, bis er seine nasse, spitze Schnauze unter das graue Hosenbein schob. Hier kam er an eine glatte, schwitzende Haut, was ihn reizte, ebenfalls liebevoll zu lecken.