«Fahren Sie! Schnell!«
Der Wagen schoß vom Parkplatz weg, hinaus auf die Allee, wo er notgedrungen wegen der promenierenden Menschen das Tempo verlangsamen mußte. Peter sah sich um. Es war verwunderlich, daß ihnen niemand wie einem Gangsterwagen folgte.
Der Berliner sah sich kurz um. Sein Gesicht war verschlossen.»Wohin?«»25. Rue Championnet«, sagte die Dame.
«Das ist auf dem Montmartre, nicht wahr, Madame?«
«Oui.«
Wieder raste der Wagen quer durch Paris. Die Sonne brannte auf das Autodach. Es roch penetrant nach Benzin und heißem Öl. Der Dackel hatte die Pfoten auf den Vordersitz gelegt und leckte dem Chauffeur den Nacken. Bis auf das Schmatzen des Hundes war es still im Wagen. Die Dame und Peter Sacher sahen, jeder auf seiner Seite, aus dem Fenster. Ab und zu schielten sie zu sich hin. Wenn sie sahen, daß der andere es auch tat, wandten sie schnell wieder die Köpfe zur Scheibe.
Die Bäume im Parc de Monceau waren staubig und saftlos. Ihre Blätter waren wie versengt. In den Haustüren von Batignolles saßen auf Rohrstühlen die Concierges und rauchten ihre Pfeifen oder algerische Zigaretten. Einige schliefen im Schatten der Balkone, neben sich ihre struppigen Hunde. Es war einfach zu heiß, um in den Wohnungen zu bleiben.
Rue Championnet. Nummer 25. Ein hohes Haus. Ein halbes Glasdach. Ein Atelier. Ein typisches Montmartrehaus.
Die junge Dame stieg aus, nahm ihren Papillon auf den Arm und ging ins Haus. Peter bezahlte die Fahrt.
«Eigentlich könnte ich Sie für sechs Wochen mieten«, sagte er krampfhaft fröhlich.
Der Berliner nahm das Geld ungezählt und steckte es in die Tasche. Dann kratzte er sich den Kopf und sah auf das Haus Nr. 25.
«Woll'n Se 'nen Rat haben, Landsmann?«
«Wenn er was wert ist.«
«Det is' keene von denen. Ick hab nen Blick dafür. Passen Se uff, Landsmann! Nich alles, was aufn Montmartre wohnt, is dat, wat man sich von Paris vorstellt und für Jugendliche verboten is. Soll ick warten, oder?«
«Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche.«
«Ick habe meenen ständigen Stand am Gare St. Lazare.«
«Danke, Berliner.«
«Nischt for ungut.«
Der Wagen fuhr davon. Peter Sacher stand allein auf der Straße und zögerte, ins Haus zu gehen. Er mußte plötzlich an Sabine denken und schämte sich. Die Haustür öffnete sich wieder. Der Puppenkopf sah hinaus.
«Hier ist kühl«, sagte er. Peter nickte. In mir nicht, mein Mädchen. Ich bin bestimmt der erste Mann deiner Bekanntschaft, der zögert.
Im Hausflur blieb er stehen und sah die steile Treppe empor. Sie verlor sich in einem Halbdunkel.
«Ganz oben!«sagte die Dame. Papillon war nicht zu sehen. Er war anscheinend schon emporgelaufen.
«Gehen wir«, sagte Peter heiser. Er stieg voran, sechs Stockwerke hoch. Ganz oben blieb er vor einer großen Bohlentür stehen. Pa-pillon saß davor und wedelte mit dem Schwanz.
«Voila!«sagte die Dame. Sie schloß die Tür auf, stieß sie weit zurück und winkte einladend mit der Hand.»Entrez.«
Ein weiter Raum mit einem schrägen Glasdach öffnete sich vor Peter. Staffeleien und viele Gemälde und Skizzen an den Wänden machten das Zimmer bunt und wohnlich. Sie verdeckten die roh geputzte und gekalkte Wand.
In der Ecke des Zimmers stand eine Couch. Davor ein runder Tisch, bedeckt mit Paletten. Drei Sessel, zwei Hocker. Hinter einem zurückgezogenen Vorhang sah er einige Regale mit Töpfen und Geschirr. Auf einem verbeulten Blechtisch stand ein zweiflammiger Gaskocher. An in den Wänden eingeschlagenen Haken hingen Kleider und Unterwäsche frei zwischen einigen Gemälden. Auf dem Atelierboden lag ein handgewebter Teppich. In einer alten Truhe ahnte man die Bettwäsche. Vor dem großen Glasfenster standen Blumen in bunt bemalten Töpfen. Bis an die Decke stieß das große Fenster. Man hatte das Gefühl, unter freiem Himmel zu sitzen.
Papillon war auf die Couch gesprungen und hatte sich grollend zusammengerollt. Die junge Dame ging Peter voraus, zog einen Sonnenvorhang halb vor das Fenster und wandte sich um.
Lächelnd sah sie, wie Peter Sacher die Wände entlang ging, Bild
nach Bild betrachtend. Vor einem Männerakt blieb er stehen.
«Soso«, sagte er.»Das malen Sie auch?«
«Er heißt Rene.«
«Ihr Geliebter.«
«Mein Modell!«
«Das dürfte doch das gleiche sein.«
Er hatte plötzlich eine sinnlose Wut auf diesen Rene und wandte sich schroff ab. Die junge Dame hob die Schultern.
«Sie scheinen zu verstehen ebensowenig von Malerei wie von Pferderennen.«
«Ein Mann, der sich so, so, na, eben so malen läßt! Ich bitte Sie!«
«Wenn Sie hätten gute Figur, würde ich Sie bitten, sich auch so, so, malen zu lassen!«
«Ich habe eine gute Figur!«sagte Peter schroff. Er war ins Innere getroffen.
«Es gefällt Ihnen nicht bei mir?«fragte die junge Dame. Sie ging zu dem Aktbild und nahm es von der Wand.»Wir können es wegnehmen. Ist es so besser?«
«Wesentlich. «Peter lächelte. Im Winkel seines Herzens hatte er Angst vor dem, was noch entstehen konnte.»Es ist das Paris, das ich suchte.«
«Fast 'abe ich es gewußt.«
Sie ging an ihm vorbei, zog den Sonnenvorhang ganz vor das riesige Fenster und knöpfte ihr Kleid am Hals zwei Knöpfe weiter auf. Rot-weiße Streifen lagen über dem Dielenboden. Die Sonne schien den Vorhangstoff zu durchglühen.
«Setzen Sie sich doch. Papillon tut Ihnen nichts mehr. Er 'at Sie bereits 'alb in sein Leben aufgenommen.«
«Das geht aber schnell. «Peter schluckte.
«In Paris wissen wir zu genau, wie schnell die Zeit vergeht. Wir nützen sie. Setzen Sie sich bitte.«
«Nicht, bevor ich weiß, wer Sie sind, Madame.«
«Ich bin Yvonne Sandou. Sagt Ihnen das etwas?«
«Yvonne Sandou. Eine Melodie in Moll.«»Namen sind so dumm im Leben. Wir lernen doch keine Namen kennen, sondern Menschen. Daß ihr immer nach den Namen fragen müßt. Yvonne genügt doch. Und Sie?«
«Bei euch würde man mich Pierre nennen.«
«Nur Pierre?«
Peter lächelte.»Was sind Namen, Yvonne?«Sie nickte zurück und wandte sich ab.»Yvonne und Pierre, klingt das nicht wie ein Lied eurer Troubadours?«
«Sie sangen von Liebe, Pierre.«
«Und jeder verstand sie.«
Yvonne ging hinter den Vorhang der Küche. Sie nahm den Strohhut vom Kopf, schüttelte den Kopf, um die Haare zu lockern und strich sich mit beiden Händen über das Gesicht. Peter sah ihr zu. Er saß auf der Couch, die Hände zwischen den Knien, wie ein befangener Schüler vor seinem Direktor. Die Streifen des Sonnenvorhanges fielen über seinen grauen Cut. Es sah schrecklich aus. Yvonne sah ihn mitleidig an.
«Ziehen Sie doch aus dies schreckliche Ding, Monsieur«, sagte sie. Darauf griff sie hinter den Vorhang und warf Peter einige Kleidungsstücke zu. Eine blaue, enge Hose, ein gelbes Baumwollhemd, flache Sandalen.
Peter betrachtete die Dinge mit Abscheu.
«Von Rene?«fragte er widerspenstig.
«Von Francois!«
«Noch ein Liebhaber?«
«Mein Bruder! Er dient jetzt in Algerien bei den Panzern. In einem Jahr ist seine Dienstzeit um.«
«Verzeihen Sie. Ich bin schrecklich unmodern.«
«Wo haben Sie eigentlich Ihre richtige Kleidung?«
«Im Schließfach 178 des Gare de l'Est.«
«Die holen wir morgen ab! Ziehen Sie die Sachen an! Oder schämen Sie sich vor einem Mädchen?«
«Nicht, wenn es schon Männerakte gemalt hat!«sagte Peter giftig.
Er legte seinen Cut ab, zögerte einen Augenblick, ehe er die Hosen auszog, dann stieg er in die blaue Hose, streifte das gelbe Hemd über und angelte nach den Sandalen. Als er einen Blick in den Spiegel warf, der seitlich des Vorhangs an der Wand hing, sah er sich wieder als armer Maler. Nur die Baskenmütze und die Zigarette im Mundwinkel fehlten. Auch so eine dumme Kinomode, dachte er wütend. Immer haben die Maler im Film Baskenmützen und Zigaretten im Mundwinkel.