Peter Sacher blieb.
Sie machte ein Abendessen. Die letzten Büchsen öffnete sie. Es gab Thunfisch, Weißbrot, etwas Käse und ein Stückchen mageren Speck. Dazu tranken sie aus kleinen Wassergläsern Wermutwein.
«Warum hast du mich mitgenommen in deine Wohnung?«fragte Peter. Er hatte den Arm um ihre nackten Schultern gelegt. Sie hat eine Haut wie ein Pfirsich, dachte er.
«Du tatest mir leid, Pierre.«
«Ich tat dir leid! Aber wieso denn?«
«Wie du da standest mit deinem grauen Cut, mit dem 'ohen, schrecklichen Zylinder auf dem Kopf, Gesicht rot wie Tomate, und alle Leute dich gucken an und lachen 'inter vorgehaltenes Programm, da dachte isch: Armes Kerl! Weiß nicht, wie dumm er aussieht. Da 'abe isch geschickt Papillon zu dir.«
«Was?«Peter Sacher fuhr herum und riß Yvonne an sich.»Du hast den Dackel auf mich gehetzt? Welch ein Luder bist du. Das kostet einen Kuß, Yvonne.«
Er wollte sie küssen, aber Yvonne bog den Kopf wieder zurück.
«Wie rauh du bist, du deutscher Barbar. «Mit beiden Händen fuhr sie ihm in die Haare und schüttelte seinen Kopf.»Nicht einmal küssen kannst du! Was soll denken deine Sabine, wenn du zurückkommst aus Paris und kannst nicht einmal richtig küssen? Schon deshalb mußt du bleiben, du dummer, lieber, wilder Pierre. Ich will dich küssen lehren, mon ami, und deine Sabine wird glücklich sein.«
VIERTES KAPITEL
Wenn man einen Stock in einen Ameisenhaufen steckt, werden hunderttausend Ameisen wild und gehen zum Angriff über.
Wenn an diesem Tage jemand den Rechtsanwalt Dr. Portz ansprach, konnte es geschehen wie im Ameisenhaufen: Er wurde attackiert.
Was sich hinter der dicken Cheftür abspielte, konnte man im Büro nur ahnen, an den schreienden Anweisungen, die ab und zu per Telefon oder Haussprechanlage durch die Anwaltsräume gellten. Zu Dr. Portz zu gehen, war ein Wagnis, vergleichbar mit dem Streicheln eines soeben gefangenen Tigers. Wer es trotzdem wagte, wurde von der Donnerstimme Dr. Portz' erfaßt; sie war wie ein Starkluftgebläse, das jeden wieder zur Tür hinauswirbelte.
Der Anlaß solcher unwirscher Behandlungen war unbekannt. Lediglich der Bürovorsteher, der eine Unterschriftenmappe ins Chefbüro getragen hatte, kam verstört zurück und berichtete, daß Dr. Portz wie ein gebrochener Mann hinter seinem Schreibtisch hocke, mit schlaffen, hängenden Wangen, krauser Stirn und gebeugter Gestalt.»Als ob er einen Schlag bekommen hätte!«sagte der Bürovorsteher.
Begonnen hatte dieser erschreckende Zustand nach der Durch-sicht der Post. Unter den vielen Gerichtsschreiben und Schriftsätzen der Gegenparteien war auch ein Brief aus Borkum gekommen.
Absender: Ermano Ferro, Automobile en gros, z.Z. Borkum, Hotel >Seeadler<.
Niemand im Büro beachtete das Schreiben. Nur Dr. Portz fiel der Absender bereits unangenehm auf. Wieso >Seeadler<, dachte er, bevor er den Brief aufriß! Bornemeyer sollte doch in die >Seeschwal-be< ziehen! Im Adler wohnt Frau Sacher, da hat der Bornemeyer gar nichts zu suchen.
Mit einem unguten Gefühl im Magen riß er das Kuvert auf. Dann las er den Brief, und es begann jener Zusammenbruch seiner physischen Beherrschung, der durch lautes Aufstöhnen während der Lektüre begleitet wurde.
>12… 21.10 Uhr. Ankunft in Borkum. Leicht seekrank. Fahre mit Bimmelbahn zur >Seeschwalbe<.
12… 22.10 Uhr. Kein Zimmer in der >Schwalbe< mehrfrei. Ziehe um in den >Adler<. Werde Frau Sacher noch heute abend sehen.
12… 23.00 Uhr. Habe mit Frau Sacher gesprochen. Wir haben uns geeinigt. Schlafe bis auf weiteres mit ihr zusammen.<
An dieser Stelle warf Dr. Portz den Brief weg, als gehe er in Flammen auf. Er vergrub das Gesicht in beide Hände und schwankte im Sitzen. Dann sprang er auf, schrie durch die Tür gellend» Kognak!«, warf einige Gesetzessammlungen sinnlos gegen den Bücherschrank und benahm sich tatsächlich wie ein Irrer.
«Schlafe bis auf weiteres mit ihr zusammen.«
Dr. Portz hatte das Gefühl, ein glühendes Eisen schnüre seinen Kopf ein. Er dachte an Peter Sacher, der brav in Paris bei seinem Freund saß, und an seine Pflicht als Anwalt, ihm diesen Vorfall zu berichten. Wie sollte er Peter Sacher mit den Mitteln der Logik klarmachen, daß diese trübe Tasse von Assessor Bornemeyer, der ausgeschickt worden war, eine Ehefrau zur Rettung der Ehe zu beobachten, plötzlich selbst den Scheidungsgrund lieferte?
Die Konsequenzen waren unübersehbar. Ein Angestellter des Anwaltsbüros legt sich mit dem Beobachtungsobjekt einfach ins Bett, es entstehen Ehebruch, Betrug, Scheidung, und das alles unter dem Auftrag, eine Ehe zu flicken.
Dr. Portz war in einer verzweifelten Lage. In Paris wartete Peter Sacher auf den ersten Bericht. Er war brav, ließ sich nichts zuschulden kommen, jedenfalls waren keine nachteiligen Meldungen aus Paris gekommen. Und an diesen korrekten Ehemann, der sich wirklich bemühte, in sich zu gehen, mußte man jetzt schreiben: >Lieber Peter, Deine Frau liegt mit meinem Assessor Bornemeyer im Bett!<
Unausdenkbar! Dr. Portz rieb sich den Schweiß vom Gesicht und warf das Tippfräulein, das ihm eine Flasche Kognak brachte, brüllend aus dem Zimmer.
Man hätte den irrsinnigen Auftrag gar nicht annehmen sollen, dachte er. Es bewahrheitet sich immer wieder! Es ist leichter, eine Ehe zu scheiden, als eine angeknackste wieder zu leimen. Außerdem ist ein Sack blutdurstiger Flöhe leichter zu hüten als eine schöne Frau.
Auf keinen Fall aber hätte man Bornemeyer wegschicken dürfen. Ein gehemmter Typ wie er wird zum Raubtier, wenn man ihm alle Zügel nimmt. Das hätte man wissen sollen. Ein Scheidungsanwalt ist dann gut, wenn er auch ein guter Psychologe ist.
Dr. Portz entkorkte die Kognakflasche und trank erst einmal drei Doppelstöckige. Das beruhigte ihn etwas. Seine Gedanken wurden klarer. Der scharfe Alkohol brannte die Erregung fest.
Man muß sich das alles reiflich überlegen, dachte er. Man muß einmal darüber schlafen, morgen sieht alles anders aus. Nur eines ist sicher: Bornemeyer muß sofort aus Borkum zurück!
Pläne sind dazu da, daß man sie schmiedet. Ob sie ausgeführt werden, hängt von vielen Dingen ab, an die man nicht denkt und die plötzlich vorhanden sind. Der schönste Plan aber ist nichts wert, wenn für ihn eine Grundlage fehlt. Für Dr. Portz bedeutete die weitere Durchsicht der Post das Wegrutschen aller gedanklichen Plattformen.
Unter dem Berg von Briefen sah er einen länglichen herausragen, der eine französische Marke trug. Noch bevor er ihn ganz herauszog, wußte er, wer der Absender war. Mit zitternden Fingern riß er ihn auf:
>Bester, guter Ernst!
Paris — ich wollte, ich könnte Dir den Duft dieser Stadt auf die Zunge legen, damit auch Du etwas von dem Glück mitbekommst, das mich umfängt. Wie herrlich muß der Tod Adonis' gewesen sein, der an der Liebe starb.
Guter Freund: Ich liebe! Wirklich! Ich liebe! Ich brenne! Yvonne heißt sie. Ihre Lippen sind ein See, mit Nektar gefüllt. Ihre schwarzen Locken hüllen mich ein wie ein seidenes Gespinst. Ihre Augen, ihre Hände, ihr Lächeln, ihr Gang, die Neigung ihres Kopfes, ihr Hals, ihre Brust (soll ich weiter aufzählen, es würde kein Ende nehmen) — alles an Yvonne ist ein trunkener Kuß. Ich friere bei dem Gedanken, daß in sechs Wochen alles vorbei sein soll. Ich schaudere in meinem Rosenbett bei dem Gedanken an Düsseldorf und an die stillen, schläfrigen Abende in Kaiserswerth.
Hier bin ich ein Mensch — hier kann ich 's sein!
Hebe das Papier dieses Briefes an die Lippen und spüre, wie Blütenduft ihm entquillt. Es ist das Parfüm Yvonnes. In diesem Hauch des Paradieses lebe ich undfühle die Jugend wieder in meinen Adern.