Einen Augenblick zögerte er. Der letzte Augenblick vor § 51 Abs. 2, dann zog er Sabine Sacher vom Bett, legte sie auf eine große Reisedecke und rollte sie in die Decke ein. Er hatte sie bei Sabines Gepäck gefunden. Wie einen Seesack verschnürte er das Bündel und hängte an den oberen Bindfadenknoten ein großes Schild: >Bitte nicht werfen! Wertvolles Porzellan!<
Am Kopf Sabines, er hatte ihn locker verpackt, damit sie nicht erstickte, befestigte er ein zweites Schild: >Hier oben! Aufrecht stel-len!<
Noch einmal betrachtete er sein Werk, dann rief er den Hausgepäckträger.»Mit Handwagen, bitte«, sagte er ins Telefon.»Ich habe eine wertvolle Vase mitzunehmen.«
Der Transport zum Hafen gelang vorzüglich. Um 21.15 Uhr fuhr das letzte Schiff nach Emden. Wie ein Museumsdiener saß Ferro-Bornemeyer vor dem langen Paket und bewachte es. Wenn es beim Rattern der Inselbahn umzufallen drohte, stemmte er sich dagegen und drückte die Rolle wieder aufrecht an die Zugwand. Im Hafen trug er mit einem Gepäckträger selbst die wertvolle >Vase< aufs Schiff und stellte sie sicher zwischen einigen Koffern in eine Ecke.
So schaffte man einst Cleopatra zu Caesar, eingehüllt in einen Teppich, dachte Ferro zur eigenen Beruhigung. Was Caesar konnte, kann auch Bornemeyer, wenn Männer lieben, ändern sich Zeiten nie!
Er hatte Glück und bekam noch eine Kabine. Mit dem Steward trug er seine >Vase< in den engen Raum.
«Vorsicht! Langsam!«schrie er.»Nicht fallen lassen!«
In der Kabine legte er das lange Paket aufs Bett und gab dem Steward fünf Mark Trinkgeld. Dann saß er vor der Deckenrolle, öffnete ein wenig den Kopfteil, so daß Sabines Mund frei lag. Ein schöner Mund mit leicht geöffneten Lippen. Wenn sie durch das Schaukeln des Schiffes bloß nicht aufwacht, dachte er. Mein Gott, wenn sie die Augen aufschlägt und zu schreien beginnt. Ich stürze mich ins Meer.
Die Motoren stampften, die freie See war erreicht. Borkum lag hinter ihnen. Er spürte es am Schaukeln des Schiffes auf den langen Wellen.
Nach einer Weile stummer Betrachtung von Sabines Mund ging er an Deck. Vorher verschloß er die Kabine und nahm den Schlüssel mit.
Mit wehenden Haaren stand er später an der Reling und sah zurück auf das Lichterband am Horizont. Borkum versank im Meer. Die Arme des Leuchtturmes griffen in den Nachthimmel und rissen die Wolken aus der Dunkelheit. An der Bordwand rauschte und gischtete das Meer empor.
Wie befreit breitete Bornemeyer seine Arme aus. Dann eilte er zurück zur Kabine, schloß von innen ab und begann, Sabine wieder aus der Decke zu wickeln. Er legte sie aufs Bett, deckte sie zu und gab ihr einen Kuß.
Sabine Sacher lächelte noch immer im Schlaf.
Bornemeyer setzte sich in eine Ecke, unter das verhangene Bullauge, und kam sich unendlich glücklich vor.
Er dachte nicht an morgen.
Welcher Mann denkt auch an morgen, wenn er glaubt, die beste Tat seines Lebens vollbracht zu haben?
FÜNFTES KAPITEL
Das Schicksal ist ein Komödiant. Manchmal spielt es Tragödie, aber sein Herz hängt an der Komödie, denn unser kurzes Leben sollte ein fröhliches Spiel sein. Nur so ist es zu ertragen. Wer immer nur das Traurige unseres Daseins sieht, weiß am Ende gar nicht, warum er überhaupt gelebt hat. Sagte Shakespeare nicht:»Der Mittelpunkt des Lebens ist der Narr?«Geben wir ihm recht, nur so verstehen wir vieles, was sonst unverständlich ist.
Peter Sacher verlebte in Paris einige sehr unbeschwerte Tage. Von Sabines Misere hatte er gar keine Ahnung. Dr. Portz hatte nicht geschrieben, also schien alles in Ordnung zu sein.
Peters Tageslauf war gesund und primitiv. Man kann auch sagen: primitiv und deshalb gesund. Morgens schlief er bis weit in den Vormittag hinein, frühstückte dann, ging in der Sonne spazieren, kaufte Gemüse, Fleisch und anderes Eßbares und stellte sich gegen Mittag bei Yvonne ein.
Gemeinsam kochten sie dann das Mittagessen, diskutierten über neue Arbeiten Yvonnes, fuhren am Nachmittag in die Umgebung von Paris, das herrliche Seinetal hinab, auch einmal nach Versailles, aßen außerhalb der Stadt zu Abend, fuhren zurück und gingen brav jeder in sein Bett.
Man kann nicht sagen, daß dies ein durchaus moralischer Lebenslauf ist.
Fünf Tage lang genoß Peter Sacher die Vorzüge Yvonnescher Gastfreundlichkeit. Am Abend des fünften Tages, als er zurück in die Rue de Sevres kam, lag ein Brief unter der Tür. Der Stempel zeigte >Nizza<. Ein Absender war nicht angegeben.
Es war ein Brief von Heinz v. Kletow.
Liebes Peterlein!
Wenn Du das Erwachen Coucous überlebt hast und nicht an dem Zorn, Dich in eine so impertinente Lage versetzt zu sehen, geplatzt bist, wäre
es schön, wenn Du mich in Nizza besuchen würdest. Ich habe hier eine kleine weiße Villa gemietet und dabei entdeckt, daß die Abende ohne Deine Gegenwart einer gewissen demoralisierenden Note entbehren.
Sollte Coucou sich in Dich verliebt haben und Dich in Paris halten wollen, so setze sie einfach vor die Tür. Das ist eine Geste, die zu ihr gehört, wie zu uns ein Schluck Whisky. Ich erwarte Dich also in Nizza am Bahnhof. Komm mit der Bahn und lasse Deinen Wagen — falls Du ihn mithast — in Paris stehen. Mit einem Wagen kannst Du in Nizza wenig anfangen, denn die Winkel, die wir hier durchstöbern, sind nicht mit Autos befahrbar.
Ich bin gespannt auf unser Wiedersehen. Laß mich bloß nicht sitzen!
Dein Heinz.
Peter steckte den Brief in die Tasche und fuhr sofort zu Yvonne. Sie saß noch vor der Staffelei und malte im Licht einiger Scheinwerfer Ecken, Kreise, Winkel und bunte Punkte.
«Mein neues Bild«, sagte sie, ohne sich umzuwenden.»Titeclass="underline" >Son-nenreigen<.«
Peter warf einen Blick auf die bunt beschmierte Leinwand und setzte sich auf die Couch.
«Immerhin, der Titel ist schön. Mir will nur nicht in den Sinn, wieso geometrische Figuren im Sommer tanzen können.«
Yvonne blickte böse zur Seite. Ihre Augen waren dunkel.
«Das sind Kinder!«
«Kinder?«Er betrachtete die Winkel und Kreise noch einmal.»Ich danke Gott, daß du nicht meine Frau bist, Yvonne.«
«Oh!«Sie sprang auf und warf die Palette auf den Boden.»Warum, mon Cher?«
«Ich würde in der ständigen Angst leben, unsere Kinder müßten so aussehen wie deine Gemälde.«
«Du bist gemein!«
«Ehrlich.«
«Das ist oft dasselbe! Picasso bekam für solche Bilder 500.000 Francs!«Sie warf den Pinsel, den sie noch in der Hand hielt, auf
den Tisch. Ein großer, knallroter Fleck entstand auf der Platte.»500.000 Francs!«wiederholte sie böse.
Peter nickte.»Das ist eines der Rätsel, vor denen auch Philosophen verzweifeln.«
Sie verzog den Mund, es sollte echt wirken, ein Spott für den Kulturbanausen, bedeckte die Staffelei mit einem Nesseltuch und wandte sich dann zu Peter.
«Was willst du?«fragte sie knapp.»Bist du zurückgekommen, um mich zu ärgern?«
«Ich fürchte es fast, Yvonne.«
«Frechheit!«
«Nein, Yvonne, es ist eine große Traurigkeit. «Peter Sacher sah zu Boden. Das Mondlicht, das über die Dächer von Montmartre glitt und durch die große Glaswand fiel, verwandelte den Staub auf den Dielen zu Silberflocken. Yvonne hatte die Scheinwerfer ausgeknipst, nur das Mondlicht erhellte fahl das Atelier.
Yvonne lehnte sich an die Staffelei. Ihr Mund zuckte, aber es war so dunkel, daß Peter es nicht sah.
«Du willst weggehen«, sagte sie leise.
«Ich muß morgen früh Paris verlassen.«
«Für immer verlassen? Mich verlassen.«
«Nicht dich. Paris!«
«Das ist doch dasselbe.«
«Nein. Ich verlasse eine Stadt. Aber ich lasse mein Herz bei dir zurück.«