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Peter Sacher war in diesem Augenblick alles gleichgültig. Er kam sich von Kopf bis Fuß elend vor.

Das Erlebnis mit Yvonne bedrückte ihn. So oft er sich auch sagte, daß es hunderttausend Ehemänner gibt, die mit weniger oder gar keinen Skrupeln ihre Frauen betrügen — für sich nahm er diese billige Entschuldigung nicht an.

Er hatte in den vergangenen Tagen in seltener Klarheit erkannt, daß ihm trotz Paris, trotz Coucou, trotz Yvonne Sandou seine Frau Sabine fehlte. Überall. Beim Morgenkaffee schon fing es an. Niemand war da, der sich aufregte, weil er die Zeitung las, und der zu ihm sagte: >Morgens liest du, am Tage bist du weg, am Abend liest du oder siehst fern, im Bett liest du, bis dir die Augen zufallen und dann schnarchst du! Ist das eine Ehe?< Es war überhaupt niemand da, der ihn ansprach. Es war schrecklich.

Das Mittagessen ging reibungslos vonstatten. Yvonne kochte, und man aß pünktlich um 12 V2 Uhr. In Düsseldorf war das anders. Da rief er aus seinem Büro an: >Du, ich komme heute erst um 2 Uhr.< Sabine rief dann wütend: >Ich habe heute Reibekuchen gemacht! Die kann ich nicht warm halten!< >Gut<, sagte er dann. >Ich komme pünktlich!< Und er kam weder um 2 Uhr noch um 2 V2 Uhr, es wurde 3 Uhr. Sabine saß wortlos im Sessel und stopfte, und er ging in die Küche und sah einen Berg kalter Reibekuchen. >Saue-rei!< hatte er dann gebrüllt und war in eine Wirtschaft essen gegangen. Kam er abends nach Hause, hatte Sabine rotgeweinte Augen, sprach immer noch nicht mit ihm, ging ins Bett, weil er wieder am Fernsehapparat hockte. Das alles war hier nicht. Hier verlief der Tag reibungslos, unpersönlich.

Ihm fehlte Sabine, wo er hinsah und was er tat.

Hatte er deshalb Yvonnes Nähe gesucht, um die Gedanken und seine Einsamkeit zu betäuben? Wenn er sich ehrlich darauf eine Antwort gab, mußte sie nein lauten. Er war einfach nicht stark genug gewesen, Yvonne auszuweichen. Er war ihr erlegen. Er war kein Über-mensch gewesen, und niemand konnte es auch von ihm verlangen. Trotzdem aber kam er sich Sabine gegenüber schäbig vor. Sie hatte es nicht verdient, hintergangen zu werden. In diesen Tagen hatte er es erkannt! Er brauchte sie. Er liebte sie. Sonst wäre er auch nie auf den verrückten Gedanken gekommen, Sabine aus einer unerhörten Eifersucht heraus beobachten zu lassen.

Das war der Augenblick, in dem Peter Sacher vom Gare d'Orle-ans wegfahren wollte, um am Gare du Nord in den Zug nach Düsseldorf zu steigen. Aber schon auf dem Wege zum Taxenstand überlegte er.

Bis heute hatte Sabine nicht aus Borkum geschrieben. Dr. Portz würde es berichtet haben. In Borkum bewohnte sie ein Doppelzimmer! Sie war eine schöne, lebenslustige Frau, die bestimmt nicht allein in einer Ecke saß und voll Heimweh an Düsseldorf dachte. Wenn es ihr Ernst mit einem Zurückfinden in der Ehe gewesen wäre, hätte sie längst geschrieben: Peter, komm zurück. Wir waren ja verrückt! Wir benehmen uns wie Kinder, nicht wie erwachsene, reife Menschen. Sie hatte überhaupt nichts geschrieben. Also ging es ihr gut! Sie amüsierte sich. Es brauchte nicht so weit zu gehen wie zwischen ihm und Yvonne, aber.

Bei diesem >aber< wurde Peter Sacher blaß vor Eifersucht. Es verletzt die männliche Würde, in einem Ehekonflikt als erster beizugeben. Männer werden immer wie trotzige, kleine Jungen, wenn sie keinen Ausweg mehr wissen. Peter Sacher machte da keine Ausnahme.

Er ging an dem Taxenstand vorbei, stand an der Straßenecke und kam sich in der Riesenstadt verloren vor. Zunächst fahre ich nach Nizza, dachte er. Das ist klar. Und wenn ich zurückkomme nach Düsseldorf, werde ich ja sehen, was aus Sabine in diesen sechs Wochen geworden ist. Wenn sie mir nur ein klein wenig entgegenkommt, nur ein ganz klein wenig, wird es werden wie in den Flitterwochen. Verdammt, das schwöre ich! Ein Leben ohne Sabine ist doch Unsinn. Wir gehören einfach zusammen.

Er rief doch eine Taxe heran und ließ sich über die Seine zum Boulevard Haussmann fahren. Was schon viele Ehemänner vor ihm getan hatten, tat auch Peter Sacher: Er suchte für Sabine ein Geschenk aus. Auch das ist eine merkwürdige Ansicht der Ehemänner: Mit einem Geschenk an die eigene Frau besänftigen sie ihre Reue. Seht, wie lieb ich zu ihr bin, denken sie dann. Was ich ihr alles mitbringe, das da aus Paris oder Hamburg oder Köln, na ja, das Leben ist manchmal wie Glatteis, und man rutscht aus. Und das Geschenk wäscht einen seelisch rein. Je größer, um so gründlicher. Denken die Ehemänner.

Peter Sacher ging über den Boulevard Haussmann und sah sich die Schaufensterauslagen an. Vor einem Juwelierladen blieb er stehen und starrte fasziniert auf ein Collier aus Gold und blutroten Rubinen. Es lag auf einer schwarzen Samtpuppe und funkelte. Wie untergehende Sonnen leuchteten die Rubine. Der Preis, in diskret kleinen Ziffern, war wahnsinnig.

Schon immer hatte sich Sabine ein Collier gewünscht, dachte Peter Sacher. Zwar nicht solch ein wertvolles, aber wenn sie ihr Abendkleid trug, fehlte wirklich etwas um ihren weißen, schönen Hals.

Lange stand er vor dem Schaufenster. Ihm gegenüber, hinter der seidenen Gardine, die die Fenster vom Laden trennte, stand der Juwelier und beobachtete ihn. Er schätzte ihn ab, kein Franzose, das war sicher. Auch kein Engländer oder Amerikaner. Vielleicht ein Schwede, ein Schweizer, ein Holländer, schlimmstenfalls ein Deutscher. Man würde auf Barzahlung bestehen müssen.

Ein Mann, der seine Frau betrogen hat, obgleich er sie liebt, ist für weitere Torheiten prädestiniert. Das muß irgendwie mit einem seelischen Schock zusammenhängen. Hier hätten die Psychologen noch ein reiches Forschungsgebiet! Peter Sacher folgte jedenfalls dem uralten Drang der Wiedergutmachung und betrat den Laden. Vorher hatte er seine Reisekasse durchgerechnet. Ihm blieb noch so viel, daß er nach Nizza fahren konnte.

Der Kauf war schnell getätigt. Die Barzahlung verscheuchte alle unangenehmen Gedanken des Juweliers. Er packte das Collier in einen roten Samtkasten, verschnürte und versiegelte das Paket im Beisein Peters, zählte dreimal die Geldscheine, sah, daß es keine Fäl-schungen waren, und geleitete Peter zufrieden bis vor die Tür.

Etwas benommen stieg Peter Sacher wieder in eine Taxe und ließ sich zurück zum Gare d'Orleans fahren. Auf den Knien lag ein Vermögen. Für Sabine, die er mit Yvonne, für seine Frau, die er wegen eines dummen Experimentes, obgleich er sie liebte, sechs Wochen lang. Er wischte sich über das Gesicht. Wie idiotisch wir uns benehmen, dachte er zum ungezählten Male. Wenn ich wüßte, daß Sabine mich nicht für einen Schwächling hält, würde ich zu ihr nach Borkum fahren, statt nach Nizza. Ich würde sie in die Arme nehmen und — Aber ebensogut kann sie mich ansehen, als sei sie tief beleidigt, und fragen:»Was machst du denn hier? Nicht einmal in den Ferien hat man Ruhe vor dir! Übrigens, in der Halle des Hotels steht ein Fernsehgerät. Heute abend gibt's eine Revue. Viel Vergnügen.«

Mit einem Rubincollier in der Tasche und wahnsinniger Sehnsucht nach Sabine fuhr Peter Sacher nach Nizza.

Durch seinen Juwelenkauf hatte er den Frühzug verpaßt. Der Mittagszug war von der Sonne ausgeglüht. Peter zog seine Jacke aus, krempelte die Hemdsärmel hoch und las in einigen Buntprospekten der Riviera, bis der Zug anruckte und aus dem Backofen der Bahnhofshalle rauschte.

Die herrliche Provence erlebte er im Abendrot. Die Weingärten sahen aus, als habe man sie mit Rotwein übergossen. In Avignon wurde der Zug auf ein totes Gleis geschoben und blieb die Nacht über stehen.

Peter kaufte von einem Bahnhofshändler einige Kekse, Käse und eine kleine Flasche Wein, aß dies als Abendmahlzeit und zog dann die Sitze heraus, um zu schlafen.

Mit dem rechten Arm als Kopfkissen schlief er ein. Unter seinem Kopf lag die Aktentasche mit dem Rubinschmuck. Vorher hatte er die Abteiltür verriegelt und das Fenster kontrolliert. Es konnte von außen nicht geöffnet werden.

Er träumte schrecklich. Sabine, im Traum, nahm das Collier, wog es in der Hand und sagte:»Du Schuft! Um mir das zu schenken, mußt du mich tausendmal betrogen haben!«und warf es ihm an den Kopf.