«Es ist leicht zu spotten, aber anscheinend schwer, den tieferen Sinn zu begreifen«, sagte sie böse.»Mir ist jedenfalls der Gedanke gekommen, daß die Idee des amerikanischen Psychologen uns sehr willkommen ist.«
«Uns?«Maßloses Erstaunen lag in seinem Blick, mit dem er Sabine anstarrte.»Wieso willkommen?«
«Weil ich dir einen Vorschlag machen wilclass="underline" Wir fahren in die Ferien, ja — aber wir fahren getrennt!«
«Ach nein.«
«Bitte, lies den Artikel. Auch wenn du solchen Dingen sarkastisch und subjektiv gegenüberstehst, wirst du merken, daß etwas Wahres daran ist. «Sie trank schnell ihren Kognak, um Mut zu bekommen für das, was sie sagen wollte. Sie hustete ein wenig, weil der Alkohol im Hals brannte. Aber dann sagte sie klar:
«Wir fahren fort, Peter! Für sechs Wochen! Sechs Jahre Ehe sind herum, und für jedes verflossene Jahr eine Woche Urlaub von der Ehe. Das ist eine gerechte Bitte und Chance. Wir werden nicht sagen, wo wir hinfahren; wir werden nie erfahren, wo wir waren. Am gleichen Tage fahren wir ab, und nach sechs Wochen treffen wir uns hier wieder. Hier auf der Terrasse. Das wird die Stunde sein, die über unser ganzes weiteres Leben entscheidet.«
Peter Sacher warf einen Blick auf die New York Times. Der Artikel des Psychologen lag nach oben gefaltet. Verdrossen schob er die Zeitung zur Seite. Sein Gesicht war finster, fast ärgerlich.
«Was du vorschlägst, ist ja auch nur ein Experiment.«
«Stimmt! Aber es hat einen großen Vorzug.«
«Und welchen?«»Es ist das letzte.«
Peter Sacher flüchtete sich in charmante Plaudereien. Er blinzelte Sabine an.»Einen Mann sechs Wochen allein zu lassen, ist gefährlich.«
«Mein Lieber — unterschätze die Frauen nicht!«
Peter spürte einen kleinen Stich in der Herzgegend. Was hat sie vor, grübelte er. So kenne ich sie ja gar nicht. So entschlossen, so wild um sich schlagend. Immer war sie ein Lamm. Mein Schäfchen, das war lange Zeit sein Kosename für sie gewesen.
Ruhelos schritt er im Zimmer hin und her. Draußen leuchteten die weißen Steinplatten der Terrasse im Mondlicht.
«Sechs Wochen. «Er dehnte die Silben.»Du fährst irgendwohin und ich auch, und wir werden uns nicht fragen, was in diesen sechs Wochen geschah, was wir erlebten und was wir erkannten. So denkst du dir das doch?«
«Ja«, sagte Sabine fest.
«Typisch amerikanisch!«Peter kreuzte die Hände auf dem Rücken und nahm seine Wanderung durch das dunkle Zimmer wieder auf. An seinen Schritten sah man, wie erregt er innerlich war. Er ging mit steifen Knien, wie im verhaltenen Paradeschritt. Haltung bewahren, hieß es. Immer Haltung! Dabei nagten seine Zähne an der Unterlippe.
«Und wenn einer von uns nach sechs Wochen nicht zurückkommt?«fragte er plötzlich so laut, daß Sabine zusammenzuckte.
«Das wäre die einfachste Lösung«, antwortete sie ebenso laut.
Sabine sah ihm bei diesen Worten voll ins Gesicht. Konnte man es noch deutlicher ausdrücken, daß ein Zusammenleben in der jetzigen Form unmöglich war?
Peter sagte zunächst kein Wort. Er begriff, daß Sabines Ausflug in die Psychologie keine Spielerei, sondern bitterer Ernst war. Sie schoß nicht mit Schreckschüssen, sondern sie hatte scharf geladen. Seine Gedanken jagten sich. Sie pendelten zwischen Verblüffung und Trotz, zwischen Hilflosigkeit und dem Gefühl der Beleidigung, daß man so mit einem siebenjährigen Ehemann nicht sprechen kann.
Dann schien er etwas Handfestes in seinen Gedanken entdeckt zu haben. Er wandte sich Sabine wieder zu, und über sein Gesicht zog der Schimmer von Befriedigung, der wiederum Sabine innerlich erschreckte.
«Gut«, sagte Peter Sacher, als habe er ein Geschäft erfolgreich abgeschlossen.»Du sollst deinen Willen haben. Wir werden uns sechs Wochen trennen.«
«Sechs Wochen Ferien voneinander? Wirklich?«
«Ja.«
«Und wann sehen wir uns wieder?«
Peter nahm einen großen Terminkalender vom Schreibtisch und blätterte in ihm herum. Dann legte er seinen Zeigefinger zwischen die Seiten.
«Heute haben wir den 6. Juli. Am 28. August also hier auf der Terrasse, falls es einer von uns noch will.«
Plötzlich hatte seine Stimme einen anderen Klang. Sabines Kopf fuhr hoch. Eine unerklärliche Angst überfiel sie. Sie zog die Schultern an und lehnte sich tief in den Sessel. Wie ein ängstliches Tier starrte sie Peter an, der mit einer beleidigenden Sachlichkeit den Termin im Kalender notierte. Neben Bauterminen und geplanten Richtfesten.
Auf einmal ist er einverstanden, durchzuckte es sie. Ob sein Sträuben nur ein gutes Spiel war? Ob er vielleicht froh ist, sechs Wochen einmal allein zu sein, außerhalb seines Berufes allein? Sanktionierte Freiheit, gewissermaßen. Und ob er vielleicht schon weiß, wohin er fahren wird? Vielleicht zu einer Frau, von der ich nichts ahne. Sein Gesicht ist so süffisant, als träume er schon von anderen weißen Armen und zerwühlten Locken.
Eine heiße Welle stieg in Sabine auf.
«Du bist also einverstanden?«wiederholte sie.
«Ja. «Trocken und sachlich kam seine Antwort.
«Mit allem einverstanden?«
«Ja, mit allem!«
«So plötzlich?«»Plötzlich? Du weißt, Sabine, wenn ich dir eine Freude machen kann, tue ich es gern und möglichst sofort.«
Er war ganz umschmeichelnde Höflichkeit, glatt wie nasses Wachstuch. Sabine war es ein körperlicher Schmerz, ihn so bereitwillig und fröhlich-unternehmungsfreudig zu sehen.
«Es ist aber eine gefährliche Freude, die du mir gewährst!«Sie sprang auf und stürzte fast auf Peter zu.»Weißt du etwa schon, wohin du fährst?«
«Allerdings.«
«Wohin?!«Ihr Atem stockte. Schuft, dachte sie unmotiviert.
Peter Sacher lächelte und hob wie ein milde strafender Lehrer den Zeigefinger.»Es ist doch nach deinen Satzungen verboten, das zu sagen.«
«Auch gut!«Sie drehte sich schroff um und ging zum Tisch zurück.»Ich werde schon am 8. Juli fahren«, sagte sie schnippisch.
«Um so besser.«
Sie fuhr herum, als habe er sie geboxt.»Was sagst du?«
«Ich sagte: um so besser. Dann bleiben mir noch zwei Tage mehr, um meine Paßangelegenheiten zu regeln.«
«Paß? Du willst also ins Ausland?«
«Natürlich. Da ist es am sichersten, dich nicht zu treffen.«
Oh, dachte Sabine, das muß er mir sagen! Er hat kein Schamgefühl mehr. Er ist glücklich, mich nicht zu sehen, und er sagt es mir sogar! Wie gemein! O wie gemein! Ich hasse ihn. Bei Gott, ich könnte ihn jetzt umbringen!
«Nun bist du plötzlich von meinem Vorschlag begeistert, nicht wahr?«sagte sie mühsam mit heiserer Stimme.»Ich bewundere deine Intelligenz und dein Einfühlungsvermögen in Dinge, die dir augenscheinlich sehr gelegen kommen.«
«Ich war immer ein Mensch, der bekannt war für sein Akklima-tionstalent.«
«Man kann's auch so nennen!«
«Man muß es so nennen, meine Liebe.«
Mit zusammengepreßten Lippen ging sie schnellen Schrittes zur
Tür. Aber bevor sie das Zimmer verließ, drehte sie sich noch einmal mit einem Schwung herum.
«Gute Nacht!«rief sie giftig.»Ich wünsche dir viel Spaß im Ausland. Und vergiß nicht, daß der Paß deinen vollen Namen und deine Anschrift trägt.«
Peter lächelte sie verbindlich an.»Ich werde sechs Wochen unter großzügigen Menschen verbringen…«Die Tür krachte zu. Peter schüttelte den Kopf. Das erst für blödsinnig gehaltene Spiel begann ernsthaft und wirklich seelisch entblößend zu werden. Eifersüchtige Anwandlungen bei Sabine waren ihm neu, jetzt entdeckte er sie. Und er entdeckte noch mehr: Er spürte, daß es ihm durchaus nicht gleichgültig war, wo Sabine die sechs Wochen verbrachte. Und gar nicht gefiel ihm der Gedanke, daß sie ihm nicht erzählen würde, was sie in diesen Wochen des Alleinseins erlebt hatte. Schon das Bewußtsein, daß sie etwas erleben konnte, was sie nicht erzählen würde, nagte an seinen Nerven wie eine Maus am Speck.