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Schweißgebadet wachte er auf. Der Zug fuhr durch das morgenhelle Südfrankreich, der Küste des Mittelmeeres entgegen. Zerschlagen ruckte Peter das Fenster hinunter und steckte den brummenden Schädel in die kalte Morgenluft. Der Zugwind blies ihm ins Gesicht, riß an seinen Haaren. Die ersten Pinien und Zypressen tauchten auf. Ab und zu schon eine Palme, windzerzaust. Ein Dichter würde sagen: Er roch schon das Meer.

Durch Tunnel und Felsen ratterte der Zug. Peter wusch sich auf dem Zug-WC, rasierte sich elektrisch, ließ sich ein Kännchen Kaffee bringen und starrte hinaus auf die schon subtropisch werdende Landschaft.

Dunst hing über den Weingärten und Felsendörfern. Plötzlich, als ob man einen Schleier wegzieht, zerriß der Dunst, und in strahlendster Sonne lag wie eine blaue, riesige Scheibe das Mittelmeer vor seinen Augen. Ein Zypressenwald wiegte sich im Meerwind. Weiße Villen klebten wie bizarre Vogelnester an den Felsen, zu deren Füßen die See emporschäumte. Auf dem unwahrscheinlichen Blau des Wassers schwebten die weißen Segel der Boote oder schaukelten die Jachten, mit bunten Fahnen und Girlanden umkränzt.

Dann sah er Nizza. Eine weiße Stadt an einem goldenen Strand, so schien es. Hotels mit Riesenterrassen reihten sich wie Perlen an der weißen Schnur der Uferpromenade. Palmen wogten im Wind, Luxusautos glitten langsam über das in der Sonne flimmernde Pflaster.

Langsam, als stocke er vor soviel Schönheit auf einem kleinen Fleck Erde, fuhr der Zug in die Glashalle des Bahnhofes ein. Ein Heer von Gepäckträgern und Hotelboys bevölkerte den Bahnsteig und belagerte die Ausgänge.

Auf einer weißen Bank saß ein langer, schmaler, englisch wirkender Herr in einem weißen Tennisanzug, rauchte eine lange, gebogene Virginiazigarre, hatte ein hochmütiges, schon snobistisches Gesicht, trug seine Tennisschuhe an nackten Füßen und hatte die Hosen so

hochgezogen, daß jeder sah: Er trägt keine Strümpfe.

Heinz v. Kletow.

Peter sah ihn schon von weitem, als der Zug langsam in die Halle rollte. Man konnte ihn nicht übersehen. Er fiel auf, und er lebte davon. So war es schon vor drei Jahren gewesen, als Heinz v. Kle-tow zum letztenmal mit Peter Sacher zusammen war. Was Frankreich und vor allem Paris in diesen drei Jahren aus Heinz gemacht hatten, war im Augenblick noch nicht zu übersehen. Eines war aber sicher: Geändert hatte er sich nicht.

Wenn Männer nach langen Jahren sich wiedertreffen, brüllen und schreien sie sich an, als wollten sie sich an den Kragen. Sie hauen sich auf die Schulter, schlagen sich den Hut vom Kopf, boxen sich in die Rippen, benehmen sich wie ausgebrochene Irre und lassen im Umkreis von hundert Metern alle wissen, wie herrlich es ist, den Fritz oder Franz oder Willi endlich wiederzusehen.

Es ist, als seien sie allein auf der Welt. Die staunenden Mitmenschen erfahren, daß sie gut verdienen, daß es ihnen blendend geht, daß man eine süße Frau habe, oder eine verdammt feurige Geliebte, und daß die siebte gerade dabei sei, einen Tee zum Empfang zu kochen.

Dann faßt man sich unter, entschuldigt sich nicht, wenn man andere anrempelt, weil man es gar nicht merkt, rennt aus der Bahnhofshalle und brüllt sich weiter an. Was man in Jahren erlebte, teilt man in fünf Minuten mit. Selbst auf anwesende Jugendliche nimmt man keine Rücksicht.

Das alles gehört, ein Geheimnis, warum, zu einer echten männlichen Begrüßung.

Heinz v. Kletow verfeinerte die Begrüßung nach dem ersten Sturm durch eine kleine Schau. Er stellte Peter Sacher mitten auf den Bahnhofsvorplatz und zeigte mit großer Gebärde um sich.

«Weißt du, was das ist?«

«Nizza, du Idiot!«

Der Umgangston zwischen Freunden bedarf noch einer gründlichen moraltheoretischen und sprachwissenschaftlichen Untersuchung.

Er gehört zu den ungelösten Phänomenen.

«Nein!«Heinz v. Kletow stand wie eine Säule.»Mein Untergang!«

Peter Sacher winkte ab und lachte.»Heinz, mach dir keine Illusionen! Ich bin völlig abgebrannt!«

«Geld!«Kletow zeigte ein verächtliches Gesicht. So muß er aussehen, dachte Peter, wenn Frauen zu ihm von Liebe sprechen.»Wer spricht vom Mammon? Wer wird beim Anblick der Palmen, des weißen Strandes und des braungebrannten Mädchenfleisches so prosaisch sein? Nein! Nizza bedeutet für mich den Untergang meiner Moral!«

«Oh!«Peter Sacher lockerte den Schlipsknoten.»Es kann sich da höchstens um ein Wrack handeln, das endlich untergeht. «Er stieß Heinz in die Seite.»Nun los, quatsch nicht so kariert. Wo ist dein Wagen? Wo liegt deine weiße Villa?«

«Sofort!«Heinz streckte den Arm aus und zeigte auf einen Felsen, der an der Autostraße fast unmittelbar in das tintenblaue Meer abfiel. Um seinen Fuß tummelten sich Segler und Jachten.»Siehst du das steinerne Wunder, Freund?«

«Den Klotz? Allerdings.«

«Und auf ihm das bescheidene Häuschen?«

Peter Sacher sah Heinz von der Seite an. Was soll's, dachte er.

«Ein Märchenpalast«, sagte er.

Heinz v. Kletow zog Peter ein Stück des Weges fort und blieb dann wieder stehen. Wie im Anblick des herrlichen weißen Hauses versunken, starrte er zu dem jetzt nahen Felsen hinüber.

«Das Ganze ist eine äußerst solide und lebensnahe Geschichte«, meinte er.»Es gehört einem Grafen Fiorini.«

«Die Geschichte?«

«Das Haus, du Depp!«

«Graf Fiorini? Kein Begriff.«

«Mir auch nicht. Ich habe ihn nie gesehen. Der Graf ist dauernd auf Reisen. Um sein Haus nicht verkommen zu lassen, hat er einen Verwalter eingesetzt. Dieser Verwalter hat eine dicke, häßliche Frau, kannst du mir folgen?«»Schwer. Ich verstehe noch gar nichts. Häßliche, dicke Frauen waren nie mein Typ!«

«Dieser Verwalter ist immer genau über die Reiseroute seines Herrn orientiert, weil er ihm die Post nachschicken muß. So hat er Gelegenheit, sich eine dicke Nebeneinnahme zu verschaffen: Er vermietet das Haus!«

«Gauner!«

«Der Mietpreis ist nicht sehr hoch. Dafür bekommen das Haus aber auch nur Eingeweihte. Grundbedingung ist Verschwiegenheit.«

Peter Sacher betrachtete seinen Freund kritisch. Irgend etwas stimmte hier nicht. Mit solch langen Vorreden hatte sich Heinz v. Kle-tow nie aufgehalten.

«Was soll das?«fragte er.»Wozu erzählst du hier die traurige Moritat vom Grafen Fiorini und seinem dickbeweibten Verwalter?«

«Ich habe das Haus gemietet!«

«Du? Bist du wahnsinnig?«

Peter Sacher sah noch einmal hinüber zu dem von der Brandung umspülten Felsen. Eine riesige Villa mit großen Terrassen und einem künstlich angelegten Zypressenpark, mit Wasserspielen und Brunnenkaskaden, Springbrunnen, Rosenbeeten und weißen Kieswegen. Sitz eines unermeßlich Reichen. Ein Traumschloß. Und Heinz v. Kletow bewohnte es?

«Wie willst du denn das bezahlen?«stammelte Peter.

«Sprich nicht von Geld!«Kletow hob die Hand. Er wischte die Worte Peters weg.»Es gibt zwei Worte, die mich rasend machen: Geld und Frauen! Jedes Wort auf seine Art.«

«Also pleite!«

«Dummheit! Pleite kann nur der sein, der etwas hatte. Wer nichts gehabt hat, kann nie pleite sein. Das ist das Gute an der ganzen Sache: Man kommt sich nie ratlos vor. Ich leide lediglich an chronischer Zahl Vergeßlichkeit.«

«Das ist ja wohl dasselbe!«

«Nicht ganz. Es gibt da dialektische Unterschiede. Du wirst es als überkorrekter Mensch nie verstehen. Warum bist du eigentlich nicht

Beamter geworden?«

«Heinz! Ich — «

«Reden wir nicht davon! Zurück zum Grafen Fiorini. Ich habe die Villa gemietet. Ich habe sie sogar bis heute bewohnt!«

«Unglaublich. In der Tat.«

«Aber nun, gerade heute, will der Verwalter einen Gegendienst.«

«Ohne Dialektik: Geld!«

Heinz v. Kletow verzog das Gesicht.

«Ich sagte klar: Gegendienst! Das Wort Geld macht mich übel! Der Verwalter und ich hatten ein Abkommen getroffen: Da wir uns auf eine Barsumme nicht einigen konnten.«