«Deine Dialektik ist bezwingend«, lachte Peter.
«.vereinbarten wir, daß Leistungen meinerseits in Naturalien zu erfolgen hätten.«
«Du willst einen Gemüseladen aufmachen?«
Heinz v. Kletow sah Peter strafend an.»Warum nennst du Cou-cou Gemüse?«
«Was hat denn Coucou mit Gemüse zu tun?«
«Eben!«
«Der Verwalter, sagtest du, verlangt statt Miete Naturalien.«
«Genau!«Heinz steckte die Hände in die Hosentaschen und sah wieder hinüber zu dem weißen Schloß.»Willst du bestreiten, daß Coucou keine Naturalie ist?«
«Heinz!«Peter Sacher riß seinen Freund am Arm zu sich herum.»Das ist Kuppelei!«
«Welch ein ordinärer Mensch du doch bist! Wie kann man so ausfällig werden? Die Lieferung von Naturalien fällt unter den Begriff der Ernährung.«
«Du willst doch nicht im Ernst behaupten, daß Coucou zur Ernährung des Verwalters beiträgt?«
«In erster Linie zu seinem körperlichen Wohlbefinden.«
«Unerhört!«
«Unerhört ist nur die Sucht der Moralisten, dort Moral zu lesen, wo keine ist! Schon im Altertum war es üblich, Mietrückstände durch
Austausch netter Sklavinnen zu begleichen.«
«Wir leben nicht zur Zeit Trajans, sondern im 20. Jahrhundert!«
«Deswegen sind die Sklavinnen doch nicht häßlicher geworden? Nur die Namen haben sich geändert. Früher hießen sie Hetären, heute heißen sie.«
«Schon gut! Schon gut!«Peter Sacher sah sich um. Es war ihm peinlich, daß Heinz so laut und ungeniert sprach. Auch wenn es Deutsch war, so gab es auch in Nizza genug Leute, die die deutsche Sprache verstanden.»Wir werden also Coucou dort oben bei dem Verwalter wiedersehen.«
«Nein!«
«Aber du hast doch gesagt?«
«Du wirst nie meine Gedankengänge verstehen!«
«Wie dem auch sei, fahren wir erst einmal hinauf zu deinem Traumschloß. «Peter Sacher sah sich um. Kleine, bunte, leichte Eselskarren warteten am Straßenrand. Es war eine neue Attraktion Nizzas, mit der die Reisenden zu den Hotels und Pensionen gefahren wurden.»Nehmen wir solch einen Karren, was?«
Heinz v. Kletow hielt den Arm Peters fest, bevor dieser einen der Eselskarren herbeiwinken konnte.
«Noch einen Augenblick. Ich habe noch eine Fortsetzung meiner Moritat: Der Verwalter wiegt 210 Pfund. In seiner Jugend war er Halbschwergewichtsmeister von Nizza. Er schlägt heute noch eine schnelle und knallharte Rechte. Außerdem frönt er der niedrigen Eigenschaft, nicht mit sich feilschen zu lassen.«
«Ich habe mit ihm nichts zu feilschen. Wir nehmen einen Karren und fahren hinauf.«
«Auf deine Verantwortung!«
Peter winkte einen der Eselskarren heran und stieg in das wackelige Gefährt. Heinz blieb auf der Straße stehen. Nachdenklich sah er hinüber zu der weißen Villa.
«An mich denkst du wohl nicht?«fragte er.»Er wird mit mir nicht handeln wollen.«
«Was sollte er auch? Du hast ihm Coucou als leckeren Blumen-kohl geliefert.«
«Einen Dreck habe ich!«
«Was?«Peter sprang aus dem Eselskarren und drückte dem verblüfften Kutscher zwanzig Francs in die Hand. Dann zog er Heinz in eine Türnische.»Coucou ist nicht oben im Schloß?«
«Wie sollte sie das wohl? Glaubst du, sie gibt sich zu solch einem Handel her? Sie liebt mich!«Heinz tupfte sich die Stirn mit einem nach Rosen duftenden Seidentaschentuch ab.»Ich habe dem Verwalter Naturalien versprochen, geliefert habe ich noch nichts! Woher auch? Bin ich ein Mädchenhändler? Er hat das Bild Coucous gesehen, sie liegt auf einer Couch und hat nur eine Perlenkette an, und war so begeistert, daß er mir die Miete für drei Monate erlassen wollte, wenn ich Coucou heranschaffte. Ich sagte ja. Wer weiß, was in drei Monaten ist, dachte ich. Nun will der dicke Kerl aber einen Vorschuß haben und hat seine Frau weggeschickt. Was soll ich tun? Es gibt nur eins: Aus der Reichweite der 210 Pfund kommen!«
«Dafür läßt du mich nach Nizza kommen? Lockst mich aus Paris. Verhinderst meine Rückkehr nach Düsseldorf!«
«Was willst du in Düsseldorf?«
«Ich will zurück zu Sabine. Ich liebe sie, du Trottel! Jetzt weiß ich es!«
«Nach fünf Tagen Eheferien! Oh, es gibt keine richtigen markigen Männer mehr! Nur Waschlappen!«
«Vor sieben Jahren hast du vor Sabine auf den Knien gelegen und sie angefleht, nicht mich, sondern dich zu heiraten! Gewinselt hast du!«
«Jugendsünden! Wenn ich sehe, wie du unterm Pantoffel stehst.«
«Wir fahren aufs Schloß!«schrie Peter Sacher.»Ich gönne dir eine Tracht Prügel!«
Heinz v. Kletow kratzte sich den Kopf.»Die Sache hat noch einen Haken. Du wirst mit verprügelt.«
«Ich?«
«Ja. Ich habe gesagt, daß du die süße Coucou hierherbringst.«
«Du gemeiner Hund!«
«Freundesdienst, Peter. Geteiltes Leid unter Gleichgesinnten. Außerdem kannst du den Reiz der Mittäterschaft genießen.«
«Danke! Gehen wir! Aber ich schwöre dir: Morgen fahre ich zurück nach Düsseldorf. Das heißt. «Peter Sacher dachte an seine paar Francs, die ihm geblieben waren. Er mußte seine Bank telegrafisch beauftragen, neues Geld an die Nationalbank Nizza zu überweisen. Das würde sicherlich drei Tage dauern.»Ich werde drei Tage bei dir bleiben! Und dann hoffe ich, dich wiederum drei Jahre nicht mehr zu sehen.«
Er sah sich um. Hotel reihte sich an Hotel. Die Uferpromenade war eingefaßt mit großen Villen inmitten von Palmengärten. Eine glühende Hitze lag über der Stadt. Selbst der Wind war heiß. Er kam übers Meer, aus den endlosen Wüsten Nordafrikas.
«Also denn, gehen wir!«sagte Peter noch einmal.
«Sofort! Aber wohin, edler Charakter?«
«Ein Hotel suchen.«
«Welch ein Luxusschwein! Die billigste Übernachtung in der Herberge >Zur fröhlichen Wanze< kostet 25 neue Francs! Allerdings sind in diesen Preis mit einbegriffen: Salmiakwaschungen gegen Flohstiche und Honorar heißer Kellnerinnen. Freiwillige Spenden ausgeschlossen! Ein Zimmerlein zum Hinterhof einer Villa am Meer: 40 neue Francs! Dafür atmest du Seeluft und hörst das Meer rauschen. Es kann aber auch der daneben liegende Lokus sein. Einrichtung des Luxuszimmers: Ein Bett mit vier wackeligen Pfosten und Ausblick auf einen Haufen Küchenabfälle. An mehr zu denken, wäre vermessen, es sei, du stellst Dosenfleisch in Chikago oder Nylonwäsche in New Orleans her!«
Peter Sacher sah die lange Reihe der weißen Villen entlang. Breite Fenster mit Jalousien, Palmen, hinter Markisen sich leise summend drehende Ventilatoren. Es mußte herrlich sein, in einem solchen Haus zu wohnen.
Er dachte an seine eigene Villa am Rhein, und es wurde ihm wehmütig ums Herz.
«Irgendwo müssen wir ja schlafen!«
«Das werden wir auch!«Heinz v. Kletow sah hochmütig auf ein paar Amerikaner, die an ihnen vorbeigingen.»Zunächst, wieviel Geld kannst du ausgeben?«
«Nichts!«
«Du witzelst, Freund.«
«Ich bin blank.«
«Aber du hast doch einen gutgehenden Beruf. Du hast am Rhein.«
«Zähle nichts auf. Ich habe im Augenblick kein Geld. Bis es kommt, können drei Tage vergehen. In diesen drei Tagen aber können wir doch nicht auf einer Bank schlafen!«
«Dir fehlt das wahre Genie! Wir werden nicht nur schlafen, sondern sogar ruhen! Was Millionäre mit Scheckbüchern erkaufen, bekommen wir für 3 Francs: fließendes Wasser, Nachtmusik, Klimaanlage, Meeresrauschen, kostenlose Vorführungen von Liebespaaren bis zur jugendgefährdenden Darbietung. Es ist doch kein Bonner Staatsanwalt hier?«
«Nein«, sagte Peter Sacher verwundert.
«Alles für 3 Francs!«
«Blödsinn!«
«Tja, da staunte selbst der Krebs, bevor er ins kochende Wasser fiel und rot wurde. Wir werden in Nizzas bester Gesellschaft schlafen! Ein Luxusschlaf für drei Francs!«