«Wir rücken die Zelte aneinander, schieben die Sitze nebeneinander, pumpen uns mit Schnaps voll und schlafen. Wir bauen eine Burg aus Strandzelten, eine Igelstellung, vorn eins, hinten eins, links eins.«
«Und rechts eins!«schrie Peter Sacher wütend.»Und wenn es zufällig regnen sollte?«
«Die Sonnendächer sind wasserdicht.«
Sie rückten die über ein festes Holzgestell gespannten Zelte zusammen, legten sich auf die zusammengeschobenen Sitze, deckten sich mit ihren Mänteln zu, tranken aus einer Flasche, die Kletow aus der Tasche zog, einige Schluck Kognak und nahmen sich vor, zu schlafen. Plötzlich zuckte Peter empor.
«Bist du gestochen worden?«murmelte Heinz.
«Wo hast du eigentlich dein Gepäck?«
«Himmel! Deswegen erschreckst du mich?«Heinz dehnte sich.»Das hat der Verwalter der Villa beschlagnahmt, bis ich ihm Coucou bringe. Erst nach Lieferung bekomme ich meine Sachen wieder. Der Mann ist stur. Er pocht mehr auf Vertragserfüllung als ein Verleger.«
Leise rauschte das Meer. Irgendwo kreischten ein paar Möwen. Ganz, ganz weit war Musik. Sie kam mit dem Wind und strich über die Zelte hinweg.
Die beiden Freunde fröstelten und krochen näher zusammen. Hundegebell geisterte durch die Nacht. Auf dem Meer heulte fern die Sirene eines Schiffes. Nicht weit von ihrer Burg entfernt erklang plötzlich ein unterdrücktes, kicherndes Lachen. Peter Sacher fuhr kerzengerade empor und rüttelte Heinz.
«Es geht los!«flüsterte er.
«Warte ab und laß dich weiter verwöhnen«, knurrte Kletow.»Es geht erst los, wenn die Bars schließen.«
Sie verschliefen die erste Nacht und wachten auf, als die Sonne schon auf die Zeltdächer brannte. Laut gähnend reckte sich Heinz v. Kletow. Peter Sacher saß wütend auf der Bank und kämmte sich die Haare.
«Dein verdammter Kognak«, sagte er.»Jetzt haben wir tatsächlich geschlafen!«
Für Bornemeyer kamen Stunden tiefster Erniedrigung.
Die Ankunft in Nizza ließ ihn noch von Abenteuern träumen. Aber schon in der Halle des Hotels, in dem sie abstiegen, bekam er einen Vorgeschmack dessen, was ihn erwartete. Sabine Sacher bestellte zwei Zimmer, die möglichst weit auseinanderliegen mußten. So bekam Bornemeyer Zimmer 145 im fünften Stock, während Sabine mit Zimmer 12 auf der ersten Etage einen herrlichen Seeblick genoß. Ihr Fenster lag einem ins Meer ragenden Felsen gegenüber. Die Brandung schäumte empor. Weiß leuchtete eine märchenhafte Villa in der Sonne.
«Unvergleichlich«, sagte Sabine und sah hinüber zu dem Haus.»Wer mag da wohnen?«
«Im Augenblick niemand. «Das Zimmermädchen sah sich um. Sie waren allein im Zimmer. Der Hoteldiener hatte die Koffer abgestellt und war gegangen.»Wenn man erfährt, was ich Ihnen verrate, fliege ich.«
«Ein Geheimnis?«Sabine lächelte.»Ich verrate Sie bestimmt nicht.«
«Das Haus kann gemietet werden. Es ist frei geworden. Ich kenne den Verwalter.«
«Es muß ja wahnsinnig teuer sein.«
«Das weiß ich nicht. «Das Mädchen machte einen Knicks und lief aus dem Zimmer.
Fasziniert stand Sabine am Fenster und starrte hinüber zu der weißen Villa. Es war, als lockte dieses Haus. Man kann es mieten, dachte sie. Angenommen, ich ziehe in die Villa ein und schreibe nach Paris: >Komm nach Nizza, Liebster, ich habe für uns ein Traumschloß am Meer.< Ob er kommen würde? Ob wir dort oben, ganz allein unter der Sonne, so glücklich werden könnten, daß wir nie mehr auseinandergehen?
Der Gedanke setzte sich fest. Er war so stark, daß Sabine sogar Bornemeyer verzieh, ohne anzuklopfen ins Zimmer gekommen zu sein.
«Wir werden morgen viele Wanderungen machen«, sagte sie.»Und noch diese Woche wird mein Mann kommen.«
«Sie machen mich unglücklich«, sagte Ferro-Bornemeyer ehrlich.»Ich bin ein von der Natur benachteiligtes Kind! Ich werde immer vernachlässigt.«
«Sie haben Ihre Millionen.«
«Geld ist mir nichts wert!«
«Ich wünschte, ich hätte soviel wie Sie.«
«Wünschen Sie sich das nicht, Signora!«Bornemeyer wischte sich den Schweiß von der Stirn.»Alles ist relativ.«
Er war in diesem Augenblick versucht, ihr alles zu gestehen. Die Fahrt über nach Nizza hatte er Zeit genug gehabt, sich die Konsequenzen, die auf ihn in Düsseldorf warteten, auszumalen. Was er getan hatte, er war ehrlich genug, es einzusehen, war ohne Beispiel und das Ende seiner Karriere. Für einige Tage Traum vom großen Leben hatte er sein ganzes weiteres Leben verpfuscht. Das war ein zu hoher Einsatz gewesen, gewiß, aber die Sehnsucht der borne-meyerschen Seele, einmal in der Sonne des Glücks zu stehen, war zu übermächtig gewesen.
«Ich möchte mich umziehen«, sagte Sabine. Ferro sah sie an wie ein Verhungernder.
«Ich gehe, Favorita. Wann sehen wir uns?«
«Am Abend. Beim Essen.«
«Erst am Abend?«
«Ich habe noch etwas zu besorgen.«
«In Nizza? Aber du kennst doch Nizza gar nicht.«
«Was ich suche, habe ich schon gesehen. Also, bis zum Abendessen!«
Sie schob den unglücklichen Bornemeyer aus dem Zimmer und
schloß hinter ihm ab.
Eine Stunde später klomm Sabine Sacher den etwas steilen Felsweg zur weißen Villa hinauf. Ab und zu blieb sie stehen und blickte über den weißen Strand, die Stadt Nizza, über das tiefblaue Meer mit den weißen Segelbooten und Jachten, den Wasserskifahrern und den Schwimmern, die sich auf Gummiflößen treiben ließen. An einer Biegung des Weges blieb sie plötzlich stehen. Ein Mann stieg unterhalb des Felsens aus dem Wasser. Er tauchte aus der Brandung wie ein großer, leuchtender Fisch auf und legte sich auf die Steine einer Felsenspitze in die Sonne. Der Mann war nackt, das sah Sabine. Sonst war die Entfernung zu weit, um zu erkennen, wie er aussah.
Der muß gut schwimmen können, dachte sie und ging weiter. Bei dieser Brandung durch die Klippen zu schwimmen. Schnell ging sie weiter. Vielleicht beobachtete man sie, und es wäre peinlich gewesen, sie bei der Betrachtung eines nackten Mannes zu überraschen.
Das Schicksal hatte einen Witz gemacht. Der Mann, der unten auf der Klippe lag, schwer atmend und doch vergnügt wie ein Junge, war Peter Sacher.
Heinz v. Kletow umschwamm die Felsnase, auf der die Contessa liegen mußte. Heute lag sie nicht da. Es war noch zu früh. Erst wenn die Sonne voll auf das Meer schien, kam sie mit ihrem großen, weißen Badetuch.
Nach einer halben Stunde stand Sabine Sacher vor einem großen, schmiedeeisernen Tor. Es bildete den Eingang zur Villa. Ein weißer Kiesweg führte durch einen kleinen, fast tropischen Park. Im Hintergrund sah man das Haus. Marmorterrasse zum Meer, bunte Sonnendächer vor den Fenstern, Palmen und Riesenagaven.
Sabine suchte nach einer Klingel. Sie fand keine und drückte vorsichtig das große Tor auf. Langsam ging sie über den Kiesweg dem Hause zu. Unter hohen, schmalen Säulen lag eine breite Glastür mit einem weißen Gitter. Durch die Tür blickte man durch das Haus hindurch, durch eine große Halle, deren Rückwand nur aus Glas bestand und die Bläue des Meeres ins Haus holte. Es war, als bran-dete das tintenblaue Wasser in die Halle und schwämmen die Palmen und weißen Jalousien darin wie bizarre Fische.
Das ist nichts für uns, dachte Sabine. Das ist unerschwinglich, auch gemietet. Darüber würde Peter nicht glücklich sein, sondern schimpfen. Es wäre Verschwendung, hier zu wohnen.
Sie wollte sich abwenden und wieder zur Felsenstraße gehen, als ein großer, breitschultriger Mann um die Ecke des Hauses bog. Er trug einen riesigen, aus Stroh geflochtenen Sonnenhut auf dem dicken Schädel und hielt eine Gartenharke in den behaarten Händen. Wie ein Gorilla sah er aus. Er grinste auch so, als er die junge Frau an der gläsernen Tür stehen sah, verlegen, nach Worten suchend.
Mit ausgestreckten Armen kam der Gorilla auf Sabine zu. Sein breites Gesicht war ein niederwerfendes Leuchten.