«Wo?«
«In der Luft.«
«In der. «Bornemeyer war beleidigt. Er nagte an der Unterlippe und setzte sich neben Sabine in das Zelt.
«Sie sollen gehen, Signore Ferro! Ich habe Wichtigeres zu tun, als Ihre Tiraden von Favorita und Madonna anzuhören.«
«Was ist denn da hinten so interessant?«Bornemeyer tastete mit Blicken den Strand ab. Außer einigen netten Mädchen und ein paar kräftigen Männern war nichts zu sehen. Es war nicht anzunehmen, daß Sabine Sacher ein solch reges Interesse für wohlgebaute Männer entwickelte.
«Ich habe ein wildes Schaf entdeckt!«
«Ein was?«
«Sie werden es nie verstehen, Ferro! Was ich immer annahm und dafür ausgelacht wurde, sehe ich jetzt endlich! Ich bin dabei, mich
seelisch zu zerfleischen.«
«Grausam!«Bornemeyer rätselte.»Darf ich auch mal durch das Glas sehen? Vielleicht verstehe ich Sie dann.«
«Ich werde Ihnen vielleicht heute abend alles erklären, Signore Ferro.«
«Heute abend ist im Kurhaus ein Maskenball. Ich wollte dich dazu einladen, Madonna.«
Sabine schüttelte den Kopf. Das Mädchen kam aus der Zeltburg. Heinz v. Kletow folgte ihr. Peters Kopf kam hervor, seine Arme. Er winkte ihnen zu. Er rief etwas. Sabine war es, als könne sie es verstehen.»Auf Wiedersehen!«
Ihr Kopf fuhr zu Ferro herum.»Wir gehen zum Maskenball!«
«Favorita!«schrie Bornemeyer. Er wollte sie in den Nacken küssen, aber Sabine wehrte ihn ab.
«Und nun gehen Sie!«sagte sie.»Ich will allein sein. Fragen Sie nicht länger. «Gehorsam entfernte sich Ferro.
Peter Sacher zog sich an, als Heinz v. Kletow mit seiner neuen Strandbekanntschaft gegangen war. Er wollte zur Nationalbank gehen, um nachzufragen, ob das Geld noch nicht eingetroffen sei. Das war zwar schlecht möglich. Aber die Düsseldorfer Bank konnte das Geld auch telegrafisch überweisen. Dann war es bereits in Nizza. Und dann würde Peter Sacher spätestens übermorgen zurück nach Düsseldorf fahren und zu Sabine sagen:»Es ist alles Blödsinn, was wir jahrelang gesagt und gedacht haben. Es gibt nur eins!«
In einem hellgrauen Anzug, elegant und sportlich, ging er über die Promenade. Sabine verfolgte ihn mit dem Fernglas, bis er im Gewühl der anderen Spaziergänger verschwand. Da rannte sie durch Seitenstraßen zu ihrem Hotel zurück auf ihr Zimmer und stand einen Augenblick vor dem Telefon. Sollte sie Dr. Portz anrufen? Oder sollte sie mit Peter allein alles regeln?
Sie zog ein neues, in Borkum gekauftes Kleid an, das Peter noch nicht kannte, kaufte sich in der Halle des Hotels, beim Hotelfriseur, eine große, ganz dunkle Sonnenbrille und band sich einen weißen Perlonschal um die Haare. Als sie in den Spiegel sah, erkann-te sie sich selbst nicht mehr.
So verkleidet eilte sie zurück auf die Promenade. Es war ein Glücksumstand, wenn sie Peter wiederfand. Ruhelos wanderte sie hin und her, immer am Strand entlang, zwei Stunden lang, die Füße schmerzten ihr, in den Waden zuckte es. Sie biß die Zähne zusammen und ging weiter.
Vier Meter von ihr entfernt, hinter der Scheibe eines Cafes, saßen Peter Sacher und Heinz v. Kletow und starrten auf die Promenade. Immer wieder wischte sich Peter mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Er war bleich und ernst.
«Sie ist's!«sagte er leise, als könnte man es draußen hören.»Es ist Sabine.«
«Du spinnst!«Kletow drückte die Nase an der Scheibe platt.»Schließlich kenne ich Sabine auch! Das ist eine Französin reinsten Wassers. Und sie geht auf Männerfang. Sabine sieht ganz anders aus.«
«Ich wollte, du hättest recht. Da, wie sie stehenbleibt und den Kopf zurückwirft. Das ist Sabine! So steht sie immer da, wenn ich abends später nach Hause komme und sie zu mir sagt: Jetzt ist das Essen kalt. Dreimal habe ich es gewärmt! Ich bin nicht deine Sklavin!«
«Recht hat sie!«
«Und da, wie sie sich herumdreht, jetzt macht sie die Tasche auf. Sie muß ein weißes Taschentuch mit rotem Stickrand haben. Hah! Das ist's! Es ist Sabine!«Peter sprang auf, aber Kletow riß ihn am Rock auf den Stuhl zurück.
«Benimm dich! Ändern kannst du's doch nicht!«
«Was macht Bienchen in Nizza?«
«Summsumm.«
«Ich erschlage dich!«keuchte Peter.»Sie soll auf Borkum sein. Wie kommt sie nach Nizza?! Allein fährt sie nicht nach Nizza! Das war gar nicht geplant.«
«Du bist ja auch nicht in Paris.«
«Das ist etwas anderes.«
«Ach nee!«
«Außerdem liegt Nizza in Frankreich. Ich bin also im Land geblieben. Aber von Borkum nach Nizza — das ist ein sehr verdächtiger Sprung! Da steckt ein Mann hinter! Heinz — wenn das wahr ist, es gibt einen Skandal!«
«Ruhe! Nur Ruhe!«Kletow sah Sabine nach. Sie trippelte weiter. Plötzlich blieb sie stehen. Ein großer, überschlanker Mann, Typ Italiener, blieb bei ihr stehen und küßte ihr länger als schicklich die Hand. Er trug ein Monokel, war braungebrannt und hakte jetzt Sabine unter.»Alles da!«sagte Heinz v. Kletow dumpf.»Willst du ein Messer oder einen Revolver benutzen?«
Peter Sacher starrte durch die Scheibe auf das ungeheuerliche Bild. Er war noch bleicher geworden. Sein Gesicht war kantig. Seine Finger zerknitterten die Speisekarte des Cafes. >Trinken Sie L'amour, den herzhaften Likör!< stand darauf.
«Wer ist das?«keuchte Peter.
«Geh raus und frag ihn.«
«Und sie guckt ihn an, als ob sie ihn auffressen wollte.«
«Kannibalismus bei Frauen ist immer sexueller Natur.«
«Er streichelt ihren Arm! Sie läßt es sich sogar gefallen.«
«Es wird das mindeste sein, was sich Frauen gefallen lassen.«
«Sie lacht!«
«Soll sie weinen? Bei solch einem strammen und eleganten Kavalier.«
Peter Sacher hieb mit beiden Fäusten auf den Tisch. Er sprang auf und stieß mit dem Kopf gegen die Scheibe. Wenn Sabine nicht weitergegangen wäre, hätte sie den Bums hören müssen. So ging er unter im Stimmengewirr und Autosummen auf der Promenade.
«Wo gehen sie jetzt hin?«
«Geh ihnen nach.«
«Ich blamiere mich doch nicht! Wenn meine Frau mit fremden Männern nach Nizza fährt, soll ich den Bajazzo spielen? Ich lasse mich scheiden. Sofort! Ich rufe Ernst an! Er soll in Düsseldorf alles vorbereiten! Du bist mein Zeuge!«
«Ich habe nichts gesehen!«
Peter fuhr herum und packte Heinz an der Schulter.»Was? Du stehst mir nicht bei? Bei solch einem eindeutigen Fall?! Sabine bricht die Ehe und du, du.«
«Es kann sich alles als harmlos herausstellen. Im Moment bist du nicht zurechnungsfähig! Frage sie erst, wie alles gekommen ist.«
«Fragen? Ich sehe doch! Ein Mann, per Arm in aller Öffentlichkeit, weil sie sich in Nizza sicher fühlt, Handkuß auf der Promenade. Ich wette: Sie haben auch das gleiche Hotel!«
«Wenn der Mann kein Idiot ist, sollte das als sicher gelten.«
«Und da stehst du ihr noch bei? Bist du mein Freund oder ihr ehemaliger Bewerber?«
«Beides!«
Peter rannte an die Tür des Cafes. Er konnte Sabine noch sehen. Im Arm Ferros ging sie über die Straße. Dann bogen sie nach links ab und verschwanden im Eingang eines Hotels. Peter keuchte.
«Sie wohnen im >Majestic<.«
«Geschmackvoller Laden. «Heinz v. Kletow zahlte den Kaffee und das Stück Kuchen, das sie gegessen hatten.
«Du mußt herausbekommen, in welchem Zimmer sie wohnt.«
«Willst du fensterln?«
«Ich werde Wache halten. Wenn ich hinter ihrem Fenster zwei Schatten sehe, stürme ich das Hotel.«
«Anfänger!«Heinz v. Kletow zog Peter aus dem Cafe.»Eine kluge Frau löscht vorher das Licht.«
Sie warteten noch ein wenig. Dann gingen sie über die Promenade. Ehe Heinz es verhindern konnte, hatte sich Peter losgerissen und stürmte in das Hotel. Der Portier sah ihn verblüfft an. Peter Sacher eilte bis zum Empfangschef. Er schob den Anmeldeblock weg und beugte sich über die Theke vor.