Wie gut er tanzen kann, wütete Sabine dabei innerlich. Nie hat er einen Tango mit mir getanzt. Ich kann das nicht, hatte er immer gesagt. Gerade Tango! Da komme ich aus dem Rhythmus. Davon war keine Spur mehr, er tanzte wie ein Turniermeister. Er tanzte blendend. Dieser Wolf im Schafspelz!
Beide schwiegen während des Tangos. Ihre Gedanken fraßen die Worte auf. Erst am Ende des Tanzes sagte Sabine heiser:
«Du bist so ernst, Seeräuber.«
Peter zuckte aus seinen Gedanken hoch. Er lächelte gequält.»Vor soviel Schönheit in meinen Armen versagt die Stimme.«
Deshalb bist du zu Hause so einsilbig, was, dachte sie giftig. Vor soviel Schönheit! Oh, du Lump!
Sie legte den Kopf an seine Wange und hauchte ihm einen Kuß auf die Maske. So, dachte sie. Mal sehen, was er jetzt tut!
Peter Sacher erstarrte, als Sabine ihn küßte. Einen fremden Mann küßt sie einfach. Sie wirft sich ihm an den Hals, nach zehn Minuten Bekanntschaft. Wie mag das erst mit dem langen Genueser sein?! Wie kann eine Frau, meine Frau, so schamlos sein?!
Er umarmte sie stürmisch, drückte sie an sich und küßte sie wild, fast verzweifelt, auf die herrlichen Lippen. Sie sträubte sich nicht, sie trank den glühenden Kuß wie eine Ertrinkende, sie umklammerte seinen Rücken, drückte sich an ihn und war für wenige Sekunden glücklich. Bis die Erkenntnis kam: Er küßt ja eine Fremde! Er weiß ja nicht, daß ich. Da wurde sie steif und riß sich von ihm los.
«Noch nicht so wild«, sagte sie schweratmend.»Die Nacht ist noch lang!«
Peter Sacher glaubte zu verbrennen. Einen fremden Mann hat sie wiedergeküßt. Und wie sie küssen kann! Wie! Er meinte, sich nicht erinnern zu können, jemals so von Sabine umarmt worden zu sein. So wild, so völlig hingegeben, so hemmungslos, wie er es jetzt bösartig nannte.
Das koste ich aus, dachte er grimmig. Ich will sehen, wie weit sie gehen kann! Ich werde sie verführen. Und wenn sie in meinem Zimmer steht, werde ich mir die Maske herunterreißen und ihr entgegenschreien: So, ich bin es! Wir sind für immer auseinander, du, du. Er wagte nicht, das Wort zu denken, was er sagen wollte. Es war ein unschönes Wort, aber sie hatte es dann verdient!
«Du küßt wunderbar«, sagte er stockend.
«Mich haben schon viele geküßt«, antwortete sie.
So, dachte sie. Das saß, mein Lieber! Das ist ein Köder an meiner Angel. Wenn du mich jetzt verführen willst, bitte, tue es! Aber wenn ich dann in deinem Zimmer stehe, werde ich mir die Maske vom Gesicht reißen und sagen: Ich bin es! Deine eigene Frau hast du verführt. Aber für dich war ich ja eine Fremde! Du hast mich betrogen! Ich lasse mich scheiden! Endgültig! Sie war gewillt, es wirklich zu tun.
An ihnen vorbei tanzte ein Spanier. Er hatte ein hellblondes, üppiges, ziemlich offenherziges Mädchen in den Armen und winkte Peter zu. Dann flüsterte er dem Mädchen etwas ins Ohr. Es kreischte auf und dehnte sich in seinen Armen wie eine Raubkatze.
«Wer ist das?«fragte Sabine. Sie wußte es.
«Ein Freund von mir. Aber du sollst keine anderen Männer haben neben mir, das oberste Gebot der Liebe. «Er küßte sie wieder und zog sie hinaus in den hell erleuchteten, von Lampions durchzogenen Park.»Die Nacht!«sagte er jünglinghaft.»Was wäre die Nacht ohne eine Orchidee. Ich halte sie im Arm! Ich bin der Glücklichste der Erde! Gehen wir in den Park. Ich bin ein guter Gärtner, unter dessen Händen sich die Blüten öffnen.«
Zu Hause kannst du dich nicht bücken, weil du Ischias hast, dachte Sabine. Da muß ich das Unkraut rupfen und die Rosenbeete harken!
Sie ließ sich mitziehen, und sie hatte plötzlich Angst vor dem, was kommen würde. Schließlich ist es ja nicht alltäglich, sich von dem eigenen Mann verführt zu sehen.
Sie ließ sich mitziehen. Dabei hob sie seine rechte Hand empor. Ein schmaler, goldener Reif glänzte an seinem Ringfinger. Er hat ihn nicht abgetan, frohlockte sie einen Augenblick. Ruckartig blieb sie stehen und spielte die Verblüffte.
«Du bist verheiratet, Seeräuber?«
Peter betrachtete seine Hand und hob dann die Schultern. Jetzt werde ich es ihr sagen, dachte er gehässig.
«Ja! Stört es dich?! Ich kann den Ring abziehen! Seeräuber rauben nicht nur Waren, sondern auch Frauen.«
«Du liebst deine Frau nicht mehr?«fragte sie. Ihr Atem stockte. Peter starrte in den Nachthimmel. Es war ihm jetzt unmöglich, Sabine anzusehen.
«Sie liebt mich nicht mehr, das ist es! Seeräuber sind unbequeme Menschen, gewiß, aber wenn man ihr Wesen ein wenig verstehen lernt, wenn man einen Mann nicht nur nach dem bewertet, was er tut, sondern sich die Mühe machen würde, in seine Seele ein-zudringen, doch wozu sage ich dir das?! Du bist eine Zigeunerin, die Nacht Nizzas ist um uns! Wir wollen diese Nacht glücklich sein, ohne zu denken!«
«Ich glaube, du hältst deine Frau für dumm.«
«Sie ist es!«
Sabine biß die Zähne zusammen. Es war ein hartes Urteil. Ein ungerechtes Urteil. Wenn sich Peter nur einmal in den vergangenen fünf Jahren so benommen hätte wie heute, nur ein einziges Mal, wäre vielleicht alles anders geworden. Aber immer war er brummig, mißgelaunt und völlig ungenießbar, wenn er einen neuen Hausplan entwarf und durchdachte.
Von dieser Antwort wird sie sich nicht erholen, dachte Peter. Sie wird innerlich platzen vor Wut. Für sie bin ich ja ein Fremder, und notgedrungen muß sie jetzt an ihren Mann denken. Wenn sie jetzt noch mit mir geht, weiß ich, daß sie mich nicht liebt.
Sabine nahm die Rose aus dem Haar und küßte sie. Es war eine fürchterliche Waffe gegen Peter. Wenn er so ein Urteil über seine Frau zu einer anderen Frau sagt, kann er mich gar nicht lieben. Für ihn bin ich ja eine Fremde, die er seit einer Stunde erst kennt!
Sie steckte die Rose an Peters Piratenbrust.
«Komm«, sagte sie.»Hier sind zu viele Menschen um uns.«
Sie gingen in den Park. Der süßliche Duft von Tausenden Blüten umwehte sie. Schweigend gingen sie Arm in Arm durch die Palmenallee und über enge, von Zypressen gesäumte Wege. Vor einem kleinen Weiher, der versteckt zwischen Mandelbüschen und Jasmin schimmerte, blieben sie stehen. Das Mondlicht lag wie ein bleicher Überzug über dem stillen, unbewegten Wasser.
«Ein See aus Silber«, sagte Sabine. Ihre Stimme war nicht mehr ganz fest.
«Der See hat einen Namen«, erwiderte Peter Sacher.
«Das Auge des Mondes?«
«Nein. Der >See des Vergessens<.«
«Welch ein gelegen kommender Name.«
Er legte den Arm um Sabines Schulter und zog sie an sich. Sie schmiegte sich an seine Seite und zitterte. Jetzt betrügt er mich mit mir, durchfuhr es sie. Jetzt lerne ich kennen, wie er andere Frauen erobert.
Peters Gesicht war hart. Jetzt läßt sie sich verführen, dachte er grimmig. Jetzt werde ich erleben, wie sie sich benimmt, wenn andere Männer ihre Gunst erringen. Das Herz schlug ihm bis zum Kehlkopf. Er war unbändig eifersüchtig auf sich selbst.
«Jeder, der von dem Wasser dieses Sees trinkt«, sprach Peter stockend weiter,»wird für eine Nacht alles vergessen. Er wird nicht an morgen denken, und das Gestern ist weit, weit weg. Jeder, der die Hand in den See taucht und damit sein Gesicht wäscht, wird willenlos sein vor der Liebe.«
Du Verführer, dachte Sabine bitter. Nie hast du zu mir so gesprochen! Selbst nicht in der Zeit, als wir verliebt waren. Jetzt kann ich verstehen, was Heinz v. Kletow mir vor sieben Jahren sagte, als Peter und ich heiraten wollten.»Passen Sie gut auf den auf«, hatte Kletow gesagt.»Dem fallen die Frauen zu wie Äpfel, die man vom Baum schüttelt. «Damals hatte sie es als Witz aufgefaßt. Jetzt spürte sie, wie seine Stimme und sein Wesen selbst sie, nach sieben Jahren Ehe, zu betören begannen. Sie stemmte sich gegen dieses Gefühl, sie wollte nüchtern bleiben. Wer einen Mann überführen will, darf nicht von ihm gebannt sein.