Sabine tat etwas, was Peter Sacher den letzten Rest seiner nur noch mühsam aufrecht stehenden Beherrschung raubte. Sie beugte sich zu dem See hinab, tauchte die Hand in das Wasser und fuhr sich mit der nassen Handfläche über die Lippen. Dann wandte sie den Kopf zu ihm, schloß die Augen und hob die Lippen zu ihm empor.
«Küß mich«, flüsterte sie.
Das ist meine Frau, durchzuckte es ihn heiß. So betrügt sie mich!
Was tut er jetzt, zitterte Sabine. Wie betrügt man seine Frau? Er wird's jetzt zeigen!
Peter Sacher tat, was alle Männer in dieser beneidenswerten Lage getan hätten. Er riß Sabine an sich und küßte sie mit einer Wild-heit, die ihr den Atem nahm. Er war besonders wild, weil er wütend und voll Rachsucht war. Er preßte sie an sich, er küßte sie mit einer Verzweiflung, die sie als Leidenschaft empfand. Sie öffnete die Lippen und biß ihn. Das machte ihn rasend. Oh, schrie es in ihm. Wie grenzenlos leidenschaftlich kann sie sein bei anderen Männern! Er dachte plötzlich an den langen Genueser und an die Möglichkeit, daß auch er die Trunkenheit ihrer Liebe genossen haben könnte.
Da hob er sie hoch, wie leicht sie ist, stolperte mit seiner Last vom See weg in die Dunkelheit und wollte sie auf ein teppichdichtes Rasenstück legen.
Sabine wehrte sich. Sie wand sich in seinen Armen, sie stemmte die Beine gegen die Erde und riß sich los, als Peter fester zugriff. Zwei, drei Schritte wich sie zurück, ballte die Fäuste und stieß sie vor, als Peter sich ihr wieder nähern wollte.
«Bleib stehen!«sagte sie hart.»Du betrügst deine Frau!«
Peter Sacher lachte.»Die ist weit! Sie liegt auf Borkum im Sand und läßt sich von anderen Männern küssen.«
«Weißt du das so genau?«
«Ja!«
«Und du bist gar nicht eifersüchtig?«
«Aber nein! Ich werde nicht fragen, was sie auf Borkum gemacht hat. Ebensowenig, wie sie mich fragen wird, was ich in Paris oder Nizza getan habe.«
«So gleichgültig seid ihr euch geworden?«
«So gleichgültig!«
«Dann darfst du mich küssen!«Sabine kam auf Peter zu.»Auch ich bin verheiratet! Mein Mann ist ein Ekel! Er ist es wert, betrogen zu werden!«
Peter Sacher schnaufte durch die Nase. Er ballte die Fäuste hinter dem Rücken und war bereit, Sabine die Maske von den Augen zu reißen und. Ja, was und? Er wußte es im Augenblick nicht und verhielt sich deshalb so, als überwältigte ihn die Leidenschaft der fremden Frau mit der silbernen Maske.
«Komm«, sagte er leise und zog Sabine wieder an sich.»Tiefer in den Park hinein.«
«Komm auf mein Zimmer«, flüsterte sie an seinem Ohr.
Peter Sacher fror es über den Rücken. Sein Herz setzte eine Sekunde aus vor Erbitterung.
«Wo ist es?«fragte er tonlos.
«Im Majestic. Sie lassen dich nicht hinein. Die Kontrolle ist genau. Aber du kannst vom Garten aus über einen Balkon kommen. Es ist der vierte Balkon von links, in der ersten Etage. Ich warte. In einer halben Stunde.«
Sie riß sich los aus seiner Umklammerung, küßte ihn noch einmal flüchtig und rannte dann durch die Dunkelheit des Parkes davon, um den kleinen See herum, dem Kurhaus zu, schnell, atemlos, als werde sie von einem Untier verfolgt.
Mit geballten Fäusten blieb Peter Sacher zurück. Er starrte hinauf in den sternenübersäten Himmel und befand sich in einer Stimmung, in der man Amok laufen könnte.
Eine Hure ist sie, dachte er und verzehrte sich in diesem Gedanken. Einem Mann, den sie eine Stunde kennt, sagt sie ihr Zimmer, läßt ihn zu sich einsteigen und wartet dort auf ihn. Im Dunkeln, vielleicht schon im Bett liegend, heiß vor Sehnsucht. Meine Frau!
Als er ein Taschentuch aus der Hose nehmen wollte, stieß er mit den Fingern an den Kasten mit dem Rubincollier. Er trug es immer bei sich. Er nahm den Kasten aus der Tasche, klappte ihn auf und starrte auf das herrliche Schmuckstück. Dann sah er hinüber zu dem kleinen See und hob die Hand, um den Kasten ins Wasser zu werfen. Aber noch im ausholenden Schwung hielt er ein und steckte ihn wieder in die Tasche.
Das wird meine letzte Rache sein, dachte er, bevor wir uns scheiden lassen. Es wird der merkwürdigste Prozeß sein, der jemals über das Düsseldorfer Landgericht lief. Scheidung wegen Ehebruchs mit dem eigenen Mann!
Wenn die ganze Welt verrückt ist, warum soll es nicht diese Ehe sein?
Langsam ging er zurück zum Kurhaus. Unterwegs traf er Heinz v. Kletow. Er saß mit der üppigen Blonden unter einer Riesenagave auf einer weißen Bank und war intensiv und angenehm beschäftigt.
Peter Sacher machte einen Bogen um das Paar. Er war nicht in der Stimmung, den Anblick glücklicher Menschen zu ertragen.
Ferro-Bornemeyer irrte zwei Stunden durch die Säle des Kurhauses und suchte Sabine. Dann gab er die Suche auf, setzte sich in eine Ecke des großen Saales, ließ die Paare an sich vorbeitanzen und trank so lange, bis die Musik wie in Watte gepackt klang und die Paare vor seinen Augen den Boden nicht mehr berührten.
Da ging er nach Hause. Die Unmöglichkeit des eigenen Gehens einsehend, ließ er sich von einem Saaldiener bis zu einer Taxe bringen. Vor dem Hotel nahm ihn der Portier in Empfang, in der Halle ein Boy, der ihn aufs Zimmer brachte und aufs Bett legte.
Bornemeyer schlief sogleich ein, noch bevor er richtig lag. Er träumte sehr unruhig von Dr. Portz.»Sie Schwein!«schrie ihn Dr. Portz an. Und dann erschlug er Bornemeyer mit dessen Rechtfertigung.
Sabine wartete auf ihrem Zimmer. Sie hatte sich nicht umgezogen. Mit der silbernen Maske vor dem Gesicht saß sie in der Dunkelheit des Zimmers. Die Balkontür hatte sie einen Spalt offengelassen. Der leichte Nachtwind bewegte die Gardine, stieß sie ins Zimmer. Wie ein Hochzeitsschleier wehte sie. Ab und zu sah Sabine auf die Uhr. Die halbe Stunde war gleich vorüber. Gleich würde Peter in das Zimmer einer ihm fremden Frau steigen und Sabine betrügen. Seine Ernüchterung würde grausam sein, und dann würde sie die Scheidung einreichen. Sofort!
Sie saß in der Ecke des Zimmers in einem kleinen Sessel und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Wie die Statue einer Rachegöttin saß sie da, unbeweglich, starr, aus Stein gehauen. Sie lauschte, sie starrte auf die geöffnete Balkontür, sie wartete auf den Schatten, der hinter der Gardine über die Balkonbrüstung hervorgleiten mußte.
Sie wartete auf ihre Rache.
Hinter dem Hotel schlich wie ein Einbrecher Peter Sacher herum. Er stand im Garten des Hauses und war der Verzweiflung nahe.
Der vierte Balkon von links in der ersten Etage, hatte Sabine angegeben. Aber es gab zwei vierte Balkons von links! Zum Garten hinaus hatte das Hotel zwei Flügel, die im rechten Winkel an den Hauptbau angebaut worden waren. Es konnte also der linke Flügel sein, oder der rechte. Auf jeder Seite gab es sieben Balkons! Peter Sacher schlich die beiden Flügel ab. Der Balkon, wo die Tür offensteht
— der mußte es sein! Aber sowohl beim vierten Balkon des linken Flügels als auch bei dem des rechten Flügels standen die Türen offen.
Er schaute auf seine Uhr. Die Zeit war abgelaufen. Irgendwo hinter diesen vielen Fenstern wartete Sabine auf einen Mann, den sie gerade eine Stunde kannte! Sie wollte ihren Mann betrügen! Mein Mann ist ein Ekel, hatte sie sogar gesagt.
Peter Sacher gab der Verzweiflung nach. Er nahm den linken Flügel und dort den vierten Balkon von links. An einem dichten Rankenwerk von wildem Wein kletterte er auf den Balkon, zögerte einen Augenblick, lauschte in das Zimmer hinein, schob leise die Tür weiter auf und schlüpfte, die Gardine zur Seite wehend, in das völlig dunkle Zimmer.
Sie macht es spannend, dachte er gemein. Vielleicht liegt sie schon nackt im Bett.
«Silberne Maske?«flüsterte er in die Dunkelheit hinein.
Aus dem Hintergrund des Zimmers hörte er ein fast asthmatisches Pfeifen. Dann ging, nach der Dunkelheit fast blendend, die Nachttischlampe an. Im Bett, das hinten an der Wand stand, saß kerzengerade ein weißhaariger, bärtiger Mann und starrte den Mann in der Balkontür an.