Sabine schloß die Augen bis zu einem schmalen Schlitz. Erregt nestelte sie an ihrer Kostümjacke.»Sie nehmen mich nicht ernst, Herr Dr. Portz.«
«So ernst wie nur möglich! Also in der New York Times stand es. Kann Peter überhaupt so gut Englisch? Vielleicht hat er den Marktbericht falsch übersetzt?«
«Wir sitzen an diesem Abend friedlich wie immer im Zimmer. Er liest, ich sitze im Sessel an der Terrassentür und stricke. Einen Pullover für mich, Angorawolle, orangenfarbig, seidenweich, ganz auf Figur.«
«Bezaubernd. Wie ich die Stricknadeln beneide — «
«Und während ich so stricke, springt er plötzlich auf. Ich bekomme einen Schrecken. >Peterlein, was ist dir?<, frage ich besorgt. >Ist dir unwohl?<, und was tut er?«
«Na, was tut er?«
«Er schiebt mir die New York Times zu und sagt: >Da, lies mal! Da steht was drin von sogenannten Stummen Ehen. Ganz interessant. Ein amerikanischer Psychologe schreibt, daß die Ehe im siebten Jahr beginnt, spröde zu werden. Um den Zerfall aufzuhalten, braucht man eine Art seelischer Zellularfrischbehandlung. In Form von einigen Wochen Auseinandergehen! Der Gedanke ist gut, was, Sabi-ne?< Und als ich nicht sogleich antworte, weil mir der Unterkiefer herabgefallen ist, fügt er hinzu: >Ich habe mich entschlossen, es auch so zu machen. Wir fahren sechs Wochen getrennt in die Ferien.<«
«Hat Peter das gesagt?«Dr. Portz schlug die Augen nieder und faltete ergeben die Hände.»Es ist unglaublich«, sagte er ehrlich.
«Ich sagte zu Peter: >Peterlein, das ist doch nicht dein Ernst?< Und da brüllt er los: >Mein vollster. Am 10. fahre ich weg! Und du auch! Und am 28. August sehen wir uns wieder! Keine Widerrede!««
Sabine zog ein Taschentuch aus ihrer kleinen Handtasche und tupfte damit gegen die Wimpern.
«Was sollte ich da noch machen?«klagte sie.
«Heroisch leiden.«
«Peter wird seinen wahnwitzigen Plan ausführen! Unsere Ehe ist in Gefahr. Nach sieben glücklichen Jahren kommt er mit so einer Idee. Ich kenne Peter nicht wieder.«
«Ich auch nicht«, sagte Dr. Portz seufzend.
Sabine zuckte hoch.»Sie haben ihn gesprochen?!«
«Nein! Nein! Ihre plastische Schilderung der geistigen Verwirrung und moralischen Verirrung Peters greift mir als seinem Freund vom Windelalter an ans Herz. Er muß den Verstand verloren haben. Überarbeitung wird es sein. Man sollte ihn in einen Heilschlaf versenken.«
«O, das wäre gut!«rief Sabine begeistert.»Dann kann er nicht wegfahren.«
«So etwas geht nur mit Einverständnis des Patienten. Wer will Peter dazu bewegen?«
«Niemand!«Sabine tupfte wieder gegen die Wimpern.»Es bleibt nur eines übrig: Sie müssen Peter beobachten lassen.«
«Was?!«Dr. Portz spürte elektrische Schläge durch seinen Körper zucken.
«Sie müssen erfahren, wo er in Paris wohnt, mit wem, was er dort treibt. Sie müssen alles erfahren. Ich, ich glaube. «Plötzlich weinte sie. Und es waren echte Tränen, die sie wegtupfte. Ihre großen Augen waren ganz blank wie frisch geputzte Scheiben.». daß Peter irgendwo eine andere Frau liebt.«
«Unmöglich!«sagte Dr. Portz fest.
«Das sagen Sie als Scheidungsanwalt?!«
«Gerade darum. Man bekommt einen Blick für Männer, die notorische Rockanbeter sind. Peter, beste Sabine, Peter ist für einen Seitensprung viel zu faul.«
«In der Ehe, ja!«Sie blickte zu Boden und schämte sich, darüber sprechen zu müssen. Welche Frau gesteht gern, vernachlässigt worden zu sein? Es geht gegen ihre Berufung, immer geliebt zu werden.»Ich denke nicht an einen Seitensprung«, sagte sie leise, stockend.»Es muß etwas Ernstes sein, etwas Zukünftiges.«
«Er kann sich doch nur verschlechtern«, sagte Dr. Portz.
Sabine lächelte unter Tränen.»Danke.«
«Ich glaube das nie und nimmer!«bekräftigte Dr. Portz, was er wirklich dachte.
«Aber warum will er dann begeistert sechs Wochen allein nach Paris?!«Sabine hatte ihre Tränen abgetrocknet. Ihr etwas vom Weinen gerötetes Gesicht zeigte wieder den Ausdruck von Kampfwillen und Wut, den Dr. Portz bei fast allen weiblichen Klienten feststellen konnte, wenn ihr Entschluß unabbiegbar geworden war.»Lieber Dr. Portz, können Sie nachforschen, was Peter in Paris tut?«
«Ihnen zuliebe sammele ich Steinchen aus den Mondkratern!«Ein wunderbarer Gedanke war ihm gekommen, als er schnell die Situation zwischen Peter und Sabine durchdachte. Bisher hatte er als Scheidungsanwalt Ehen auseinanderbringen müssen, mit allen juristischen Kniffen die Vorteile seiner Mandanten aushandelnd. Das war oft nicht schön, schmutzig fast, krämerhaft, als feilsche man um den Preis, endlich frei zu sein. Hier aber wuchs ihm eine völlig konträre Aufgabe zu: Zwei Menschen, die vom Leben überrollt waren, wollten zusammenkommen und konnten es nicht. Es galt hier, dem Schicksal etwas nachzuhelfen und denen, die auf das Schicksal warteten, einen Stoß in die Rippen zu geben und ihnen zu sagen: Geht nicht blind durchs Leben. Sehe jeder den anderen doch mit den richtigen Augen an und lernt euch begreifen. Auch der erwachsene Mensch, und sei er noch so erwachsen, ist irgendwo in einem Winkel seines Herzens ein Kind. Und das ist gut so, denn das Schrecklichste dieser Erde wäre der vollkommene Mensch!
«Wohin werden Sie fahren, gnädige Frau?«fragte Dr. Portz. Da-mit löste er Aufgabe Nummer 1 für Peter. Sabine zögerte ein wenig. Portz merkte es und wurde ernst.»Ich muß es ja wissen, um Ihnen Nachricht zukommen zu lassen.«
Sie nickte. Aus der Handtasche zog sie einen bunten Werbeprospekt und reichte ihn dem Anwalt über den Tisch.
«Ich fahre nach Borkum. Pension >Seeadler<.«
«Sie haben in der Saison noch ein Zimmer bekommen? Natürlich, wie könnte man Ihnen etwas abschlagen.«
«Es war reiner Zufall. Ein Gast erkrankte. Sonst wäre ich auf eine Insel nach Dänemark gefahren. Ich will Ruhe haben und über alles nachdenken.«
Dr. Portz nahm den Prospekt >zu den Akten<, wie es im herrlichen Juristendeutsch heißt. Er war sehr zufrieden. Paris und Borkum… das waren zwei Pole, zwischen denen man eine Leitung legen konnte. Mit Starkstrom!
Dr. Portz wuchs innerlich an seiner neuen Aufgabe. Paris und Borkum, das war genau das, was er brauchte. Diese Namen umschlossen feste Begriffe: Sommer, Wind, schöne Frauen, galante Männer, verbotene Küsse, Eifersucht.
Ich lasse sie beide ruhig fahren, dachte Dr. Portz. Ich mache erst gar nicht den Versuch, ihnen zur Vernunft zuzureden. Kinder wollen das neue Spielzeug mit ins Bett nehmen. Sollen diese beiden mit ihrem geistigen Spielzeug ruhig ein wenig klappern.
Und dann würde er von Düsseldorf aus die Fäden ziehen, an denen Peter und Sabine wie folgsame Marionetten hingen. Ein Spiel um vergrabene Herzen.
Dr. Portz rieb sich die Hände. Sogar den Anblick der Milch ertrug er dabei. Sabine hatte sich erhoben und tupfte etwas Makeup über die Nase und die Stirn.
«Ich kann mich auf Sie verlassen?«fragte sie und reichte die Hand hin. Dr. Portz küßte sie wieder.
«Es wird alles seinen Gang gehen«, sagte er weise.
«Ich muß schnell machen. Peter wartet im Wagen auf der Kö.«
«Grüßen lassen kann ich ihn ja wohl nicht«, meinte Dr. Portz heuchlerisch.»Aber ich wünsche Ihnen sechs Wochen Freude auf den Tag, an dem Sie wieder zusammenkommen.«
Dann war Sabine gegangen. Dr. Portz wartete ein paar Minuten, meldete dann ein Eilgespräch nach Borkum, Pension >Seeadler< an und rief Assessor Hubert Bornemeyer ins Zimmer.
«Ich habe etwas für Sie, Bornemeyer«, sagte er fröhlich.»Es ist nicht nur mit Essen, sondern auch mit Trinken und sogar etwas Scharfsinn verbunden. Setzen Sie sich mal hin und hören Sie genau zu.«
Zwei Tage später erhielt Peter Sacher per Eilpost einen Brief aus Paris.
Es war ein Glücksumstand, daß Sabine beim Friseur saß und sich die Haare vor der morgen stattfindenden Abreise noch einmal besonders schön legen ließ. Peter hatte mit tiefem Mißfallen diese Neuerung bemerkt.