Geary nickte. »Aber im Lager ist nichts zu finden. Die Gefangenen sagten, sie hätten es selbst abgesucht, und sie müssten wissen, wenn sich dort etwas Ungewöhnliches befände.«
Wieder meldete sich Colonel Carabali. »Wir haben das Verwaltungsgebäude eingenommen und gehen jetzt die Akten durch. Alle Gefangenen sind mit Implantaten versehen, um ihre Position zu überwachen, außerdem verläuft um das Lager herum eine virtuelle Mauer, damit sie nirgendwo hingehen, wo sie nichts zu suchen haben. Wir deaktivieren derzeit die Implantate und die Mauer.«
»Gut.« Geary sah zurück zum Display. »Wenn die virtuelle Mauer abgeschaltet ist, können die Gefangenen das Lager verlassen und sich zu den Shuttles begeben«, sagte er zu Desjani.
»Verdammt!«
Abrupt drehte er sich auf seinem Platz herum, da ihn Riones lauter und untypischer Fluch völlig unvorbereitet getroffen hatte. Sie zeigte auf die Displays. »Außerhalb des Lagers, Captain Geary! Sie alle halten Ausschau nach Bedrohungen, die im Lager auf Sie warten könnten, aber die meisten Ihrer Shuttles sind außerhalb des Lagers gelandet!«
Geary spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, als ihm klar wurde, was Rione meinte. Er tippte auf seine Kontrollen, um Carabali zu rufen. »Außerhalb des Lagers, Colonel! Dort konnten die Gefangenen nicht hingehen, also konnten sie da auch nicht suchen! Wir haben uns bei unserer Suche ganz auf das eigentliche Lager konzentriert. Etliche Shuttles stehen da draußen, und dort sollen die Gefangenen hingebracht werden.«
Carabali presste die Lippen aufeinander. »Verstanden.«
Geary sah, wie das Kommando- und Kontrollnetzwerk der Marines aufleuchtete, als Carabali mit ihren Leuten Kontakt aufnahm. Einheiten, die unterwegs waren, um einen weiten Bereich zu sichern, begannen sich zurückzuziehen und schwärmten in Suchmustern aus, während andere aus dem Lager kamen, um die unmittelbare Umgebung abzusuchen.
»Nuklearwaffen hätten wir auch dort entdeckt«, wandte Desjani wütend ein.
»Richtig«, stimmte Geary ihr zu. »Aber da könnte auch etwas anderes vergraben sein.«
»Wir sind auf Minen mit verzögertem Auslöser gestoßen«, meldete sich plötzlich Carabali in kühlem Tonfall. »Eine Mischung aus Splitterbomben mit Chemikalien. Ältere Modelle, dennoch nicht so leicht zu entdecken. Hätten wir den Bereich jetzt nicht gesondert abgesucht, wären wir nicht auf die Dinger gestoßen. Meine Minenexperten vermuten, dass sie so eingestellt sind, dass sie erst reagieren, wenn sie genügend Menschen registrieren. Wir arbeiten mit hochenergetischen Impulsen, um die Zünder durchzuschmoren, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können.«
»Und wie sieht es weiter weg vom Lager aus?«, wollte Geary wissen.
»Da suchen wir im Augenblick.« Wut mischte sich in Carabalis sonst so ruhigen Tonfall. »Ich werde einen umfassenden Bericht meines Versagens hinsichtlich dieser Bedrohung vorlegen, damit Sie die entsprechenden disziplinarischen Maßnahmen ergreifen können, Sir.«
Geary konnte sich einen Seufzer nicht verkneifen, während er zu Rione sah, die nun wieder mit regloser Miene dasaß. »Danke, Colonel, aber wir haben diese Möglichkeit genauso übersehen, also können wir uns die Schuld teilen. Sie können sich bei Co-Präsidentin Rione bedanken, weil es ihr noch rechtzeitig eingefallen ist.«
Als Carabali sich wieder meldete, schimmerte in ihren Worten Selbstironie durch. »Bitte richten Sie der Co-Präsidentin meinen Dank aus, Sir.«
Geary schaute Rione an. »Haben Sie das gehört?«
Rione nickte dankend. »Ich bin daran gewöhnt, die mögliche Bedeutung von Worten zu untersuchen. Es gibt Momente, da ist sogar der verschlagene Verstand eines Politikers noch zu etwas gut, nicht wahr, Captain Geary?«
»Ja, allerdings«, stimmte er ihr zu. Er sah Captain Desjani grinsen und erkannte, dass ihre Meinung über Rione sich soeben deutlich gebessert hatte.
»Die Zahl der Gefangenen und die Daten der Syndiks stimmen überein«, gab Carabali bekannt. »Meine Leute erfassen jetzt die ehemaligen Gefangenen und werden sie an Bord der Shuttles gehen lassen, sobald der Landebereich keine Gefahr mehr darstellt.«
Geary tippte auf eine Kontrolle und ließ die gesamte Oberfläche von Sutrah V darstellen. Quer über die ganze Karte waren unzählige Ziele markiert, und als Geary den Bereich heranzoomte, der die meisten Symbole aufwies, veränderte sich die Darstellung und zeigte die tatsächliche Landschaft. Die meisten industriellen Anlagen waren längst erkaltet, da sie seit langer Zeit nicht mehr in Betrieb waren. Der Raumhafen war heruntergekommen und baufällig. Als Geary andere Ziele betrachtete, wurde ihm klar, warum die Syndiks ein vergeltendes Bombardement riskiert hatten. Diese Welt verfügte über keinerlei aktive Industrie, sie besaß keine Ressourcen und militärisch war sie ohne Wert. Nur rund hunderttausend Menschen, die hierzu überleben versuchen. »Captain Desjani, verfügen wir über Daten zu Sutrah IV?«
Desjani konnte sich ein genüssliches Grinsen nicht ganz verkneifen, als sie die Daten auf Gearys Display übertrug. Sutrah IV ging es im Vergleich wesentlich besser als der Schwesterwelt. Okay, wir können die Syndiks nicht in dem Glauben lassen, dass wir ihnen das durchgehen lassen. Aber ich will keine Zivilisten töten, worauf die Syndiks vermutlich hoffen, weil sie das für ihre Propaganda ausschlachten können. Geary markierte die großen Raumhafen auf Sutrah IV, die Militärbasis, den Regierungskomplex in der Hauptstadt und zum guten Schluss alle orbitalen Einrichtungen. Dann schaltete er zurück zu Sutrah V und markierte den größten Raumhafen und die noch aktiven Industriegebiete.
Dann hielt Geary inne und musterte wieder die Militärbasis. Er zoomte den Ausschnitt heran und überflog die geheimdienstlichen Informationen, die daneben angezeigt wurden. Die Konvois mit Zivilisten waren noch immer unterwegs, und die meisten Militärs hielten die Stellung in der Basis. Wo sind diese sogenannten Anführer? Er veränderte den Maßstab und bekam die Daten geliefert. Linsen, die so entwickelt waren, dass sie über Milliarden von Kilometern Details erfassen konnten, zeigten ihm den Eingang zum Kommandobunker, wo sich die ranghöchsten Offiziere verkrochen hatten. Geary merkte, wie grimmig er grinste, als er dieses Ziel für eine kinetische Salve kennzeichnete, die beim Einschlag tief bis ins Innere vordrang.
Als er über das Schicksal von zwei Welten entschieden hatte, verließen soeben die ersten Shuttles Sutrah V, und die Allianz-Flotte kehrte von ihrer Schleife zurück, um jene Stelle zu passieren, an der sich vor Kurzem noch die fünf Monde befunden hatten. Viele kleine Trümmerstücke waren vom Schwerkraftfeld von Sutrah V erfasst worden und würden vielleicht eines Tages einen dünnen Ring um den Planeten bilden.
»Captain Geary«, meldete Colonel Carabali. »Alle Personen sind an Bord. Die letzten Shuttles sollten bei Zeit eins sechs starten.«
»Verstanden, Colonel, vielen Dank.« Geary übertrug die Zielerfassungsdaten an das Gefechtssystem, das die Ziele bewertete, die auf jedem Schiff verfügbaren Waffen erfasste und die Abschusswinkel berechnete, ehe es zwei Sekunden später einen detaillierten Plan ausspuckte. Geary überflog diesen Plan, überprüfte, wie viele kinetische Waffen ihn sein Vergeltungsschlag kosten würde, und kam zu dem Schluss, dass ihm genügend Geschosse zur Verfügung standen, selbst wenn die Titan und ihre Schwesterschiffe keinen Nachschub würden herstellen können. Beim Blick auf die geschätzte Zahl der Opfer hielt er inne. »Ich muss eine Nachricht an alle Syndiks in diesem System schicken.«
Desjani nickte und gab dem Kommunikationsoffizier ein Zeichen, der sofort einen Kanal öffnete und dann den Daumen hochreckte. »Sie können, Sir.«
Geary sammelte sich. Er vergewisserte sich, dass die letzten Allianz-Shuttles den Planeten verlassen hatten. »Bewohner des Sternensystems Sutrah, hier spricht Captain John Geary, Befehlshaber der Allianz-Flotte, die Ihr System durchfliegt. Sie wurden von Ihren Führern verraten. Deren hinterhältige Attacken auf diese Flotte und auf die Streitkräfte, die Kriegsgefangene befreit haben, zwingen uns, diese Taten mit einer Bombardierung Ihrer Welten zu vergelten.« Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. »In der Hoffnung, einige unserer Schiffe zu beschädigen, haben diese Führer Ihr Zuhause und Ihr Leben in unsere Hände gelegt. Sie können sich glücklich schätzen, dass die Allianz-Flotte keinen Krieg gegen Zivilpersonen führt.« Jedenfalls nicht mehr. Zumindest nicht, solange Geary das Kommando hatte. Hoffentlich würden seine »altmodischen« Einstellungen eines Tages auch auf die anderen Offiziere abfärben.