Genüsslich konterte Geary: »Ich bin tatsächlich schon etwas länger Captain als Sie. Genau genommen sind das fast hundert Jahre. Aber natürlich danke ich Ihnen für Ihre Bereitschaft, der Allianz Ihre Dienste anzubieten.« Das war ein Satz aus Gearys Zeit, der üblicherweise zum Einsatz kam, bevor ein besonders unangenehmer Befehl erteilt wurde. Jetzt erschien es ihm als passende Phrase, um Falcos Ansinnen abzulehnen und dabei auch noch respektvoll zu klingen. »Als dienstältester Offizier und als der Offizier, dem von Admiral Bloch unmittelbar vor dessen Tod das Kommando übertragen wurde, werde ich auch weiterhin diese Flotte befehligen.« Ein Teil von ihm war schockiert. Wie oft hatte er sich gewünscht, irgendwem in dieser Flotte das Kommando zu übertragen! Aber nicht diesem Mann! Es hatte nicht nur damit zu tun, dass der seine Autorität herausgefordert hatte, sagte sich Geary. Nein, Falco erschien ihm auch wie jemand, der mehr Wert auf sein Auftreten legte als darauf, was er tatsächlich leistete.
Geary sah, dass Rione ihn beobachtete und zweifellos an all die Male dachte, als er in ihrem Beisein geschworen hatte, die erstbeste Gelegenheit zu nutzen, um das Kommando abzugeben. Aber er wusste auch, was Rione von »Helden« hielt, und sie würde sicher nicht von ihm erwarten, dass er das Kommando über die Flotte einem Mann wie Falco in die Hände legte.
Die Erkenntnis, wer vor ihm stand, hatte Falco vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht. Geary deutete unterdessen auf Desjani. »Dies ist Captain Tanya Desjani, Befehlshaberin der Dauntless.«
Falco nickte rasch und sah Desjani an. Als habe er etwas benötigt, worauf er sich konzentrieren konnte, erlangte er die Ausstrahlung eines Vorgesetzten zurück, der zugleich ein Kamerad war. »Es ist immer eine Freude, einem tapferen Offizier der Allianz-Flotte zu begegnen. Es ist nicht zu übersehen, dass Sie Ihr Schiff gut im Griff haben, Captain Desjani.«
Sie reagierte mit einem höflichen Nicken. »Vielen Dank, Captain Falco.«
»Und dies«, fuhr Geary mit einer Geste zu Rione fort, »ist Victoria Rione, Co-Präsidentin der Callas-Republik und Senatsmitglied der Allianz.«
Diesmal drehte sich Falco um, nickte langsam und höflich, was von Rione erwidert wurde. Das Funkeln in ihren Augen verriet Geary, dass sie Falco nicht im Mindesten leiden konnte. Er fragte sich, was sie über ihn wusste, um so zu reagieren. Ihm fiel auf, dass Falco Desjani mit einem Kompliment bedacht hatte, das zweifellos frei erfunden sein musste, da er keine Grundlage für die Behauptung besitzen konnte, sie habe ihr Schiff gut im Griff. Gegenüber der Senatorin verhielt er sich allerdings viel zurückhaltender, ja, er behandelte sie wie eine Rivalin. Jemand, mit dem man sich arrangieren musste. Jemand, der nicht zu seinen von Bewunderung erfüllten Untergebenen gehörte.
Desjani war aufmerksam genug, um das ebenfalls zu bemerken. Er sah ihrem Blick an, dass es ihr nicht gefiel, für jemanden gehalten zu werden, den man mit ein paar schmeichelnden Worten einlullen konnte. Rione wiederum reagierte mit einer Bemerkung, der es an jeglicher Wärme fehlte. »Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, Captain Falco.«
Geary rätselte noch, was sie damit meinte, als ihm auffiel, dass die anderen befreiten Gefangenen ihn mit dem gleichen hoffnungsvollen und bewundernden Blick bedachten, den Lieutenant Riva schon zur Schau gestellt hatte. Geary, der versuchte, nicht mit Ablehnung zu reagieren, bemerkte, dass Captain Falco etwas Neues gefunden hatte, das sein Missfallen erregte. Er mag es nicht, dass sie mich so ansehen. Aber nicht aus dem Grund, der Rione Sorgen macht. Nein, wenn ich Captain Falco richtig einschätze, ist er eifersüchtig.
Wunderbar. Als hätte ich nicht schon genug Probleme. »Captain Falco, Lieutenant Riva«, erklärte er höflich. »Ich muss mich um dringende Angelegenheiten kümmern. Captain Desjanis Crew wird sich um Sie kümmern.«
Falco, dessen zwischenzeitlich gelassene Miene in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen nicht länger aufrechtzuerhalten war, verfiel wieder in einen mürrischen Gesichtsausdruck. »Angelegenheiten?«
»Eine Besprechung«, warf Rione wie beiläufig ein. »Captain Geary und ich müssen jetzt gehen. Im Namen der Allianz-Regierung«, fuhr sie laut genug fort, damit man sie überall im Hangar hörte, »heiße ich Sie alle in der Flotte willkommen.«
Schwacher Jubel kam in den Reihen der ehemaligen Gefangenen auf, während Rione Geary aus dem Hangar dirigierte. Geary hatte das Gefühl, dass sich Falcos Blick in seinen Rücken bohrte, da der Mann in ihm zweifellos das größere Problem sah. Er wollte jedoch nicht über Falco reden, solange irgendjemand etwas von ihrer Unterhaltung mitbekommen konnte. Also gingen er und Rione schweigend durch die Korridore, bis sie seine Kabine erreicht hatten. Erst als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, drehte sich Rione zu ihm um. »Dieser Mann stellt eine Gefahr dar.«
»Ich dachte, ich sei die Gefahr«, gab er mürrisch zurück und ließ sich in seinen Sessel fallen.
»Ja, und zwar weil Sie intelligent sind. Von Captain Falco geht eine andere Art von Gefahr aus.«
»Wie Sie sich denken können, weiß ich gar nichts über ihn. Wollen Sie damit sagen, dass er dumm ist?«
Rione machte eine wegwerfende Geste. »Nein. Ihr Dauerkontrahent Captain Numos ist dumm. Seine Dummheit ist sogar so unglaublich konzentriert, dass mich wundert, dass er nicht seinen eigenen Ereignishorizont besitzt. Aber Captain Falco ist auf seine Art sehr gerissen.«
Geary gelang es, über die allzu zutreffende Bemerkung über Numos nicht zu lachen. »Kannten Sie Falco, bevor er in Gefangenschaft geriet?«
»Halten Sie mich ernsthaft für so alt?«, gab Rione verwundert zurück. »Captain Falco wurde vor über zwanzig Jahren gefangen genommen. Ältere Politiker erzählten mir von ihm, als ich Senatsmitglied wurde. Captain Falco war zum Zeitpunkt seiner Gefangennahme ein sehr ehrgeiziger und charismatischer Offizier, der in der Lage war, ein Blutbad als großartigen Sieg zu verkaufen. Er ließ auch verlauten, dass die Syndiks nur dann vernichtend geschlagen werden könnten, wenn wir bereit wären, unser angeblich wirkungsloses demokratisches System vorübergehend zugunsten einer autokratischen Regierung aufzugeben, wie sie die Syndiks praktizieren.«
Kein Wunder, dass Falco gar nicht erst versucht hatte, Rione zu umschmeicheln. Selbst wenn ihm nicht aufgefallen sein sollte, was sie von ihm hielt, betrachtete er gewählte Politiker als Rivalen bei seinen Machtbestrebungen. Geary lachte humorlos auf. »Ich darf wohl annehmen, dass Captain Falco bei einer solchen autokratischen Regierung eine zentrale Rolle zukommen würde. Warum hat die Regierung ihn für eine solche Bemerkung nicht unehrenhaft entlassen?«
Rione seufzte. »Die Allianz suchte damals genauso verzweifelt nach Helden wie heute. Captain Falco schaffte es, genügend Senatoren so zu umgarnen, dass sie sich schützend vor ihn stellten. Und er war ausgesprochen beliebt. Sie haben ihn ja eben da draußen erlebt. Falco könnte eine Schlange überreden, Vegetarier zu werden. Der regierende Rat fürchtete sich vor der öffentlichen Empörung, die Falcos Entlassung nach sich gezogen hätte. Aber schließlich nahm seine Glückssträhne ein Ende, und er verschwand so spurlos wie viel zu viele von unseren Leuten. Dass die Flotte ihm nachtrauerte, habe ich nie verstanden, denn er hat mehr Allianz-Matrosen auf dem Gewissen als getötete Syndiks auf seinem Konto. Die Allianz-Regierung war nicht sonderlich betrübt, ihn los zu sein, auch wenn sie öffentlich ihr Beileid aussprach.«
»Und jetzt ist er wieder da«, sagte Geary. »Ich kann verstehen, warum die Flotte ihn mochte. Er ist einer von diesen Leuten, die einem ein Messer in den Rücken jagen und dabei noch das Gefühl auslösen, sie hätten einem damit einen Gefallen getan.«
»Ich sagte doch, er ist charismatisch, oder nicht?«
»Für meinen Geschmack viel zu charismatisch. Zu schade, dass mir kein Vorwand einfällt, um ihn den Syndiks zurückzugeben.«