»Und über einiges andere auch noch, darf ich annehmen«, sagte Rione. »Jetzt wissen Sie, woran Sie bei ihm sind.« Mit diesen Worten verließ sie ihn gleich wieder.
Geary schloss die Augen und rieb sich die Stirn in dem vergeblichen Bemühen, sich zu entspannen. Die Luke schloss sich, und er setzte sich wieder hin. Nachdem er eine Weile mit den Fingern auf die Armlehne getrommelt hatte, rief er Captain Desjani. »Hätten Sie Zeit, in meine Kabine zu kommen? Ich würde gern ein paar Dinge mit Ihnen besprechen.«
Wenige Minuten später war sie bereits eingetroffen und warf ihm einen fragenden Blick zu. »Sie wollten mit mir unter vier Augen sprechen, Sir?«
»Ja.« Geary deutete auf einen Sessel, in dem sie so steif Platz nahm, als sitze sie in Habtachtstellung da. Ich muss wissen, was andere Offiziere denken. »Captain, ich wüsste gern Ihre ehrliche Meinung über Captain Falco.«
Desjani zögerte. »Genau genommen steht Captain Falco über mir.«
»Ja, aber Sie haben den gleichen Dienstgrad, und er wird diese Flotte nicht befehligen.«
Nun schien sie etwas ruhiger zu werden. »Captain Falco ist mir nur seinem Ruf nach ein Begriff, und ich kenne die Geschichten, die ältere Offiziere über ihn erzählen, Sir.«
»Ich habe den Eindruck gewonnen, dass er gut angesehen ist.«
»Ja, im Sinne eines toten Helden. Captain Falco wurde als ein inspirierendes Beispiel angesehen.« Sie verzog den Mund. »Wollen Sie, dass ich offen spreche, Sir?« Geary nickte. »Wenn Black Jack Geary in der Flotte den Ruf genießt, ein Gott zu sein, dann wird Falco der Kämpfer als Halbgott angesehen. Die Offiziere loben seinen Kampfgeist und seine gesamte Einstellung.«
Wieder nickte Geary und dachte über die Ironie nach, dass die beiden Eigenschaften, die an Falco bewundert wurden, genau die waren, die er an dem Mann überhaupt nicht ausstehen konnte. »Hält man ihn immer noch für einen guten Befehlshaber?«
Desjani dachte sekundenlang nach. »Wenn ein anderer Captain als Sie das Kommando über die Flotte hätte, dann wäre Captain Falco sehr wahrscheinlich bereits der neue Befehlshaber.«
»Wie würde Ihnen das gefallen?«
Abermals verzog sie den Mund. »Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt, mit einem Commander zusammenzuarbeiten, der nicht darauf aus ist, dass ich auf der Flottenkonferenz für seine Vorschläge stimme, Sir. Wenn Sie sich erinnern, Sir, Sie hatten mich gelobt, als wir im Shuttlehangar standen. Das hat mir sehr viel bedeutet, weil Sie in der Lage sind, mich und mein Schiff beurteilen zu können. Als Captain Falco sein Lob aussprach …, da wusste ich, das hatte ich mir nicht verdient. Der Kontrast war sehr deutlich: Ein Commander respektiert meine Arbeit, ein anderer will mir nur schmeicheln, um mich später zu benutzen.«
Geary dankte insgeheim jenem Impuls, der ihn zu seinen Äußerungen veranlasst hatte. Vielleicht hatten ja manchmal doch die Vorfahren ihre Hand im Spiel. »Noch andere Eindrücke?«
»Er ist sehr engagiert, Sir«, antwortete sie nach längerem Zögern. »Ich dachte, Admiral Bloch sei schon gut gewesen, aber er hätte es mit Falco überhaupt nicht aufnehmen können. Inzwischen habe ich noch mal mit Lieutenant Riva gesprochen. Er und andere befreite Gefangene sind fest davon überzeugt, dass Captain Falco nichts stärker am Herzen liegt als das Wohl der Allianz. Er hat im Arbeitslager viel dafür getan, die Moral zu stärken und jedem zu versichern, der Sieg der Allianz sei nicht mehr fern. Lieutenant Riva glaubt, etliche Mitgefangene hätten ohne Falcos Vorbild den Mut und damit den Lebenswillen verloren.«
Das wäre alles einfacher, ginge es Falco nur um den Ruhm, überlegte er. Aber er ist ein so inspirierender Führer, und ihm ist die Allianz wichtig. Leider bedeutet seine Vision von der Errettung der Allianz, dass er aus ihr ein Spiegelbild der Syndikatwelten schaffen würde. Mögen uns die Vorfahren vor jenen Menschen beschützen, die von sich behaupten, sie verteidigen die Allianz, obwohl sie in Wahrheit alles zerstören, was diese Allianz ausmacht. »Danke, Captain Desjani. Ich habe Grund zu der Annahme, dass Captain Falco beabsichtigt, sich selbst zum rechtmäßigen Befehlshaber der Flotte zu ernennen.«
»Sir, wie ich schon sagte … wenn ein anderer als Sie die Flotte führen würde, und wenn Sie uns nicht schon erfolgreich hierher gebracht und diese Schlacht bei Kaliban gewonnen hätten, dann würde Captain Falco wohl innerhalb von ein paar Tagen das Kommando übernehmen. Er ist … ähm …«
»Etwas charmanter als ich?«, fragte Geary ironisch.
»Ja, Sir.« Sie schwieg einen Moment lang. »Ehrlich gesagt, wenn ich ihm vor Ihnen begegnet wäre, könnte ich anders darüber denken. Die Veränderungen, die Sie eingeführt haben, waren oft nur schwer zu akzeptieren. Aber Sie haben mir ein neues Bild von vorgesetzten Offizieren vermittelt.«
Geary sah zur Seite, da ihm so viel Lob peinlich war. »Was ist mit den übrigen Schiffskommandeuren? Glauben Sie, die denken genauso wie Sie?«
»Schwer zu sagen. Es gibt nach wie vor einen harten Kern, der lieber auf die ›ehrbare‹ Art kämpfen würde anstatt auf diese diszipliniertere Weise, die Sie eingeführt haben. Das sind Leute, die glauben, der Kampfgeist sei das wichtigste Element bei einem Gefecht. Die sind der Ansicht, es mangelt Ihnen an diesem Kampfgeist, Sir.«
Das war für ihn nichts Neues. »Ich weiß. ›Die Moral steht in einem Verhältnis von drei zu eins zum Material!‹ Eigentlich müsste diese Haltung doch genug Katastrophen nach sich gezogen haben, um auch diejenigen zur Einsicht zu bringen, die an diesem Glauben festhalten.«
Desjani lächelte humorlos. »Ein Glaube ist nun mal dazu da, dass man an ihm festhält.«
So wie der Glaube an ihn, oder besser gesagt an Black Jack Geary, den er sich zunutze gemacht hatte. Er nickte nachdenklich; »Da haben Sie recht. Gibt es genug von diesen … Gläubigen, dass sie Captain Falco an die Macht bringen könnten?«
»Nein, Sir. Es gibt immer noch viele Skeptiker, aber deshalb würden sie sich noch lange nicht hinter Captain Falco stellen. Viele waren von Ihren Leistungen sehr beeindruckt, Sir.« Sie musste seine zweifelnde Miene bemerkt haben. »Bei Kaliban haben Sie es ihnen allen gezeigt, Sir, auch wenn die Erkenntnisse aus dieser Schlacht eine Weile brauchen, bis sie überall in der Flotte Eingang finden. Und da Sie mich schon gebeten haben, offen zu reden, Sir, möchte ich anfügen, dass Ihre moralischen Standpunkte viele Offiziere und Matrosen tief beeindruckt haben, weil sie auf dem beruhen, woran unsere Vorfahren glaubten. Wir haben so vieles vergessen, oder wir haben uns gestattet, so vieles zu vergessen, aber Sie halfen uns, diese Dinge in Erinnerung zur rufen.«
Geary war zu verlegen, um ihr in die Augen sehen zu können. »Danke. Ich hoffe, ich kann einer solchen Einschätzung auch gerecht werden. Captain Desjani, bei der Flottenkonferenz, die ich gleich einberufen werde, könnte es Arger geben.«
»Das ist doch bei Flottenkonferenzen normal«, stellte Desjani fest.
»Ja«, stimmte er ihr mit einem flüchtigen Lächeln zu. »Aber diesmal dürfte es schlimmer werden als üblich. Zum Teil hat das damit zu tun, dass ich mit Captain Falcos Anwesenheit rechne, der sein Gewicht in die Waagschale werfen wird. Zum Teil hängt es mit dem Vorschlag zusammen, den ich dort verkünden will.«
»Was genau planen Sie, Sir?«
»Ich plane, mit dieser Flotte nach Sancere zu fliegen.«
»Sancere?«, wiederholte Desjani verwundert und versuchte zu überlegen, was es mit dem System auf sich hatte, dann machte sie plötzlich große Augen. »O ja, Sir, das wird allerdings Arger geben.«
Geary war auf dem Weg zur Brücke, sah auf die Uhr und traf noch kurz vor dem Abschuss der kinetischen Waffen ein. Er nahm in seinem Kommandosessel Platz, während Captain Desjani ihn mit einem angedeuteten Nicken begrüßte, als befände sie sich schon seit Stunden auf der Brücke und sei nicht erst wenige Minuten vor ihm eingetroffen.