Das Display schaltete auf die Darstellung der Planeten um, die Ziele der Waffen leuchteten auf. Geary ging sie noch einmal durch und dachte darüber nach, dass er die Macht besaß, ganze Welten in Schutt und Asche zu legen. Falco hatte den Eindruck erweckt, dass er genau das auch ohne zu zögern tun würde. Aber nach zwanzig Jahren auf einem kargen Felsblock wäre Geary vielleicht auch darauf versessen, diese Welt zum Teufel zu bomben. »Sie können wie geplant mit der Bombardierung beginnen.«
Desjani nickte wieder, dann gab sie dem Waffen-Wachhabenden ein Zeichen, der eine einzelne Taste drückte und den Autorisierungscode eingab.
Es schien alles so einfach, so sauber und ordentlich. Geary rief das Flottendisplay auf und wartete. Dann sah er, wie seine Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer ihre Salven abfeuerten. Robuste Flugkörper aus Metall, aerodynamisch geformt und mit einer speziellen Keramikschicht überzogen, damit sie beim Eintritt in die Atmosphäre nicht verglühten. Mit hoher Geschwindigkeit wurden die kinetischen Geschosse abgefeuert, die beim Anflug auf ihre planetaren Ziele durch deren Anziehungskraft weiter beschleunigten. Sobald sie die Oberfläche erreichten, wurde diese kinetische Energie in Form von Explosionen freigesetzt, die nur riesige Krater und Trümmer hinterließen.
Geary sah mit an, wie die auf Sutrah V gerichteten Flugkörper in die Atmosphäre eintauchten, und er fragte sich, was für ein Anblick das für diejenigen auf dem Planeten war. »Die müssen sich sehr hilflos fühlen.«
»Sir?« Desjanis Frage ließ Geary erkennen, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte.
»Ich habe nur überlegt, wie man sich fühlen muss, wenn man auf dem Planeten steht und das Bombardement kommen sieht«, gab er zu. »Keine Möglichkeit, es abzuwenden, keine Chance, noch davonzulaufen, wenn man sich dort aufhält, wo sie niedergehen sollen, und kein Schutzraum, der diesem Aufprall standhalten kann.«
Desjanis Blick trübte sich, als sie sich diese Bilder ebenfalls durch den Kopf gehen ließ. »So habe ich darüber noch nie nachgedacht. Allianzwelten haben das auch schon erlebt, und ich weiß, wie hilflos ich mich fühlte, als ich davon hörte, weil ich nichts dagegen unternehmen konnte. Ja, ich muss schon sagen, ich habe lieber etwas, das sich steuern und im Kampf einsetzen lässt.«
Inzwischen glühten alle auf Sutrah V gerichteten Geschosse, da sie in die Atmosphäre hinein flogen und sich wie ein Schwarm todbringender Glühwürmchen der Planetenoberfläche näherten. Von der Position der Dauntless aus konnte Geary sehen, dass über einen Teil der Welt die Nacht hereingebrochen war. Dort am dunklen Himmel wirkte das zerstörerische Farbenspiel noch prächtiger. »Es hat nichts Ehrbares an sich, hilflose Menschen zu töten«, murmelte er und gedachte dessen, wozu Falco ihn hatte drängen wollen.
Zu seiner Überraschung nickte Desjani zustimmend. »Das ist wahr.«
Er erinnerte sich daran, wie sie einmal ihr Bedauern darüber ausgedrückt hatte, dass die Null-Feld-Waffen nur eine kurze Reichweite besaßen und innerhalb eines Schwerkraftfelds keine Wirkung erzielten, weshalb sie nicht gegen Planeten eingesetzt werden konnten. Geary fragte sich, ob das immer noch ihre Meinung war.
Er veränderte den Maßstab seines Displays, damit er eines der Ziele genauer betrachten konnte, eine noch funktionstüchtige Industrieanlage, die in der multispektralen Darstellung die Wärme der Geräte und die Strahlung der elektronischen Signale aus den Kabeln anzeigte. Es gab keinen Hinweis darauf, dass sich dort noch Menschen aufhielten. Offenbar hatten sie seine Warnung ernst genommen und das Gebiet weiträumig evakuiert. Geary konnte nicht sehen, wie das Geschoss einschlug, weil dieser Moment für das menschliche Auge viel zu schnell ablief. Sein Verstand stellte sich dennoch vor, wie etwas Verwischtes auftraf, gefolgt von einem grellen Blitz, der von Sensoren der Dauntless sofort abgeblockt wurde. Als er die Darstellung etwas verkleinerte, konnte er beobachten, wie eine Druckwelle aus zu Staub zerfallenen Trümmern sich ausbreitete, die Gebäude erschütterte und die Planetenoberfläche erzittern ließ. Er ging mit der Kamera noch weiter zurück, bis er jene Rauchpilze in die Atmosphäre aufsteigen sah, an deren Anblick sich die Menschen längst viel zu sehr gewöhnt hatten. Binnen Sekunden waren Industrieanlagen und Raumhäfen zerstört worden, an denen die Menschen auf Sutrah V über Jahrhunderte hinweg gebaut hatten.
Zwischen der Faszination dieser Zerstörungen und der Trauer angesichts ihrer Unvermeidbarkeit hin- und hergerissen, wählte Geary eine andere Einstellung aus und zoomte sie heran. Das Ziel in der Gebirgskette schien auf den ersten Blick noch recht unversehrt zu sein, doch das lag nur daran, dass dieses kinetische Geschoss so ausgelegt war, beim Aufprall tief in den Fels vorzudringen, bevor es detonierte. Die Folge davon war ein tiefer, aber kleiner Krater, der dort entstanden war, wo sich zuvor noch ein geheimer Kommandoposten befunden hatte. Geary fragte sich, ob die hochrangigen Offiziere, die sich dort verkrochen hatten, während sie die Bevölkerung schutzlos einem Bombardement überließen, wohl noch Zeit genug gehabt hatten, um einzusehen, dass sie sich keineswegs in einem sicheren Versteck aufhielten.
»Ich weiß, die Syndik-Militärbasis ist für Sie nur eine Altlast«, merkte Desjani an. »Aber es hätte uns nicht viel gekostet, sie auch noch auszulöschen, wenn wir den Syndiks sowieso schon eine Lektion erteilen.«
Geary schüttelte den Kopf, sein Blick ruhte immer noch auf den Überresten des geheimen Bunkers. »Das kommt darauf an, welche Lektion wir erteilen wollen, nicht wahr? Ist es Rache? Oder Gerechtigkeit?«
Desjani schwieg lange Zeit. »Rache ist leichter zu verüben, richtig?«
»Ja, weil man nicht viel nachdenken muss.«
Bedächtig nickte sie. Auch wenn seine Lektionen in erster Linie den Syndiks galten, schien Desjani in letzter Zeit ebenfalls viel und häufig nachzudenken.
Auf seinem Display sah er den Schwarm aus Projektilen, die nach Sutrah IV unterwegs waren. Die Menschen dort hatten zweifellos die Einschläge auf der Nachbarwelt mit angesehen und wussten, welches Schicksal vielen Standorten auf der Welt bevorstand, die sie als ihre Heimat betrachteten. Sie würden auch noch gut eine Stunde lang mitverfolgen können, wie sich die Geschosse ihrer Welt näherten, was dieses Erlebnis nur umso schlimmer machte. Ob sie wohl der Allianz die Schuld geben würden? Oder vielleicht den Syndik-Anführern, die rücksichtslos das Leben der Bewohner aufs Spiel gesetzt hatten?
Eine weitere Konferenz war einberufen worden, und es herrschte eine angespannte Stimmung, weil jeder anwesende Commander wusste, dass Geary seine nächsten Schritte bekannt geben würde. Neben Geary war wie üblich nur Captain Desjani tatsächlich anwesend, und wieder fehlte Co-Präsidentin Rione. Diesmal fragte sich Geary unwillkürlich, ob ihre Abwesenheit etwas mit den Gerüchten zu tun hatte, die über ihr Verhältnis zueinander verbreitet wurden.
Dass Captain Falco durch Abwesenheit glänzte, war zwar eine angenehme Überraschung, dennoch begann Geary zu grübeln, was der Mann beabsichtigte. Falco war nicht der Typ, der so leicht aufgab, und es wäre Geary lieber gewesen, dessen politische Spielchen mit ansehen zu können, anstatt nur zu spekulieren, in welcher düsteren Ecke er womöglich Intrigen schmiedete. Er hoffte, dass Riones Spione ihr mitteilen würden, wenn sie etwas Bedenkliches erfuhren — und dass Rione diese Berichte an ihn weiterleitete.
Geary sah sich am Konferenztisch um. Er wusste, er würde einen Sturm der Entrüstung entfesseln, aber es gab einfach keine Alternative. »Ladies und Gentlemen, die Syndiks ziehen ihr Netz enger um uns. Die Fallen, auf die wir in diesem System gestoßen sind, sprechen eine deutliche Sprache: Die Syndiks kalkulieren unsere nächsten Schritte gut genug, um auf unsere Ankunft gefasst zu sein. Wie Sie alle wissen«, oder wissen sollten, fügte Geary in Gedanken an, »hatten die Syndiks an allen Sprungpunkten in diesem System leichte Kriegsschiffe postiert, von denen drei zum Sprung ansetzten, als sie das Licht von unserer Ankunft erreichte. Diese Portale führen zu drei möglichen Zielen, und jedes System ist längst gewarnt worden, um sich auf unser möglicherweise bevorstehendes Eintreffen gefasst zu machen.«