Ich könnte Falco vorsorglich festnehmen lassen, doch damit löse ich vermutlich auf einigen Schiffen eine Meuterei aus, zumal ich keinen Grund benennen kann. Ich könnte ihm den Befehl geben, auf die Dauntless zurückzukehren, doch wenn er die Rückkehr hinauszögert oder mich einfach ignoriert, dann muss ich ihm das entweder durchgehen lassen, oder aber ich lasse ihn festnehmen, was mich wieder vor das Problem einer Meuterei stellt.
Momentan kann ich nichts unternehmen, ohne Gefahr zu laufen, selbst die Probleme vom Zaun zu brechen, von denen ich glaube, dass Falco sie mir bereiten könnte.
Kurz entschlossen nahm er mit Captain Falco Kontakt auf, da es immer noch besser war, mit dem Mann zu reden, anstatt sich ständig Gedanken zu machen, was er vielleicht hinter Gearys Rücken anstellte. Ein nervös dreinblickender Captain Kerestes meldete sich. »Es tut mir leid, Captain Geary, aber die Flottenärzte der Warrior haben Captain Falco Bettruhe verordnet.«
»Captain Falco fühlt sich nicht wohl?« Er wollte das klar und deutlich ausgesprochen wissen, falls sie jemand belauschte.
»Nur eine vorübergehende Erkrankung«, antwortete Kerestes unübersehbar schuldbewusst.
»Verstehe.« Jeder weitere Versuch, zu Falco selbst durchgestellt zu werden, hätte bloß Gearys Unfähigkeit betont, dass er den Mann zu nichts zwingen konnte. »Richten Sie ihm bitte aus, ich hoffe, er fühlt sich bald wieder gesund genug, um im Interesse der Allianz und dieser Flotte zu handeln.«
»Ja, Sir, das werde ich machen.« Nachdem Kerestes die Verbindung unterbrochen hatte, konnte Geary sich lebhaft vorstellen, welche Erleichterung den Mann in diesem Augenblick überkam.
Aber von der Gewissheit abgesehen, dass Kerestes offenbar von Vorgesetzten möglichst nicht zur Kenntnis genommen werden wollte, hatte dieses Gespräch nichts ergeben.
»Madam Co-Präsidentin.« Seine Besorgnis hatte schließlich doch über seinen Stolz gesiegt.
Ihre Stimme klang frostig und distanziert. Den Bildschirm hatte sie abgeschaltet, sodass Geary sich nur wünschen konnte, ihren Gesichtsausdruck zu sehen. »Was wollen Sie, Captain Geary?«
»Ich muss wissen, ob Ihre Quellen in der Flotte auf irgendwelche Probleme aufmerksam geworden sind.«
Es dauerte einen Moment, ehe sie erwiderte: »Probleme?«
»Irgendetwas in Verbindung mit Captain Falco oder Captain Numos.«
Wieder vergingen ein paar Sekunden. »Es wird ein wenig geredet, weiter nichts.«
»Ein wenig Gerede? Das klingt nach weniger als bislang üblich.«
»Es ist auch weniger«, sagte Rione. »Aber sonst habe ich nichts gehört.«
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich wissen lassen würden, falls Ihnen etwas zu Ohren kommt.«
»Wovor fürchten Sie sich, Captain Geary? Vor Ihren eigenen Offizieren?« Diesmal war aus ihrer Stimme deutliche Verärgerung herauszuhören. »Das ist das Schicksal der Helden.«
»Ich bin kein …« Er hielt inne und zählte stumm bis fünf. »Ich mache mir Sorgen, dass etwas geschehen könnte, das viele Matrosen in dieser Flotte in Gefahr bringt. Ich hoffe, Sie können Ihre Verärgerung über mich zurückstellen und mir helfen. Sonst begeht noch jemand …«
»… eine Dummheit?«
»Ja.«
»Als Gegensatz zu einer Heldentat?«, fragte sie mit tiefgekühlter Stimme.
»Verdammt, Madam Co-Präsidentin …«
»Ich werde bei meinen Quellen nachfragen. Aus Sorge um das Wohl der Matrosen in dieser Flotte. Irgendjemand muss sich schließlich dieser Leute annehmen.«
Die Verbindung wurde unterbrochen, und Geary musste sich beherrschen, um nicht mit seiner Faust den Wandlautsprecher zu zertrümmern.
»Captain Geary.« Desjanis Stimme klang ruhig und beherrscht. »Da tut sich etwas.«
Die Flotte war noch eine Stunde vom Sprungpunkt entfernt. Geary vergeudete keine Zeit damit, sich erst auf die Brücke zu begeben, stattdessen aktivierte er das Flottendisplay über dem Tisch in seiner Kabine.
Das »Etwas« wurde sofort deutlich. In der Formation der Flotte klafften Lücken und Löcher, da etliche Schiffe ihre Position verlassen hatten. Nach den Flugbahnen zu urteilen, die das System berechnet hatte, waren all diese Schiffe auf dem gleichen Kurs unterwegs. Geary erfasste ihre Namen. Warrior, Orion, Majestic, Triumph, Invincible, Polaris und Vanguard. Vier Schlachtschiffe und drei Schlachtkreuzer. Dazu sechs schwere Kreuzer, vier leichte Kreuzer und über zwanzig Zerstörer. Insgesamt fast vierzig Schiffe.
Geary ließ den Kurs weiterberechnen und erkannte, dass sie zu dem anderen Sprungpunkt unterwegs waren. Die Vorfahren mögen ihnen beistehen! Sie nehmen den direkten Weg zurück zum Allianz-Gebiet, und zweifellos vertrauen sie dabei ganz auf ihren »Kampfgeist«, um die Syndiks zu überwinden, die mit einer erdrückenden Überlegenheit bereits auf sie warten werden. Er öffnete den Kommunikationskanal und überlegte kurz, was er am besten sagen sollte. »Alle Einheiten: Kehren Sie umgehend in die Formation zurück.« Das war nutzlos. Wenn sie schon beschlossen hatten, seine Befehle zu ignorieren, würden sie jetzt nicht auf einmal darauf reagieren. »Sie sind auf dem Weg in ein massiv gesichertes Sternensystem der Syndiks. Sie werden es nicht schaffen, deren Verteidigung zu durchbrechen.«
Keine Reaktion. Die abtrünnigen Schiffe flogen weiter. Ich kann sie nicht umstimmen. Jetzt nicht mehr. Sie vertrauen auf Falco und ihre vermutlich überlegene moralische Stärke. An ihre Vernunft zu appellieren hilft da nicht weiter. Aber ich muss sicherstellen, dass sich ihnen nicht weitere Schiffe anschließen. Was soll ich sagen? »Ihre Pflicht gegenüber der Allianz verlangt von Ihnen, bei der Flotte zu bleiben, anstatt Ihre Kameraden im Stich zu lassen.« Das sollte ihnen einen Stich versetzen, was auch nur richtig war, immerhin liefen sie der Flotte davon. »Kehren Sie sofort auf Ihre zugewiesenen Positionen zurück, und es werden keine disziplinarischen Maßnahmen folgen.« Das würde auch nicht nötig sein, denn wenn Falco und Numos jetzt kehrtmachten, dann würden ihre Anhänger ihnen nicht länger vertrauen.
Schließlich kam eine Reaktion. »Hier spricht Captain Falco, Befehlshaber jener Schiffe, die willens sind, den Ruhm und die Ehre der Allianz-Flotte hochzuhalten. Ich rufe …« Ein Symbol leuchtete auf Gearys Kommunikationsdisplay auf, im gleichen Moment verstummte Falco.
»Hier ist Captain Desjani«, meldete sie sich auf dem internen Kanal der Dauntless bei Geary. »Ich habe den Widerruf des Flottenkommandos aktiviert, damit werden alle Signale von anderen Schiffen als unserem vollständig blockiert. Wir werden alles hören, was an uns direkt gerichtet ist.«
»Danke.« Hätte er doch eine ganze Flotte mit Befehlshabern, die so waren wie Tanya Desjani. Er selbst hatte zu spät daran gedacht, dass er Falco kein Forum geben durfte, um weitere Schiffe zum Desertieren zu überreden. Wieder wandte er sich an die Abtrünnigen. »An alle Schiffe! Es hat nichts Ehrbares, Ihre Kameraden im Stich zu lassen und rechtmäßige Befehle zu ignorieren. Wir kämpfen für den Sieg, für die Sicherheit unserer Heimat, aber nicht für den Ruhm. Alle Einheiten, kehren Sie sofort in die Formation zurück. Sie werden benötigt, wenn die Syndiks das nächste Mal zuschlagen.« Vielleicht konnte er ja so noch den einen oder anderen zur Umkehr bewegen.