»Sie wurden von mir ausgesucht, weil Ihre Dienstakten Sie alle als tapfere und zuverlässige Offiziere ausweisen«, erläuterte Geary. »Wenn wir Sancere erreichen, dann wissen wir nicht, was uns dort erwartet. Es ist unwahrscheinlich, dass die Syndiks uns mit einer Streitmacht konfrontieren, der wir hoffnungslos unterlegen sein werden«, betonte er mit bewusster Zuversicht. »Aber es wird genug sein, um uns Verluste zuzufügen, wenn wir nicht richtig darauf reagieren. Ich erkläre Ihnen nun, was Sie tun müssen. Commander Cresida von der Furious wird das Kommando über eine spezielle Eingreiftruppe übernehmen, die sich aus Ihren Schiffen zusammensetzt. Die Eingreiftruppe Furious wird sich nicht vom Rest der Flotte absondern, wenn wir Sancere erreichen. Was Sie aber tun werden, ist Folgendes: Sie werden vortäuschen, dass Sie aus der Formation ausbrechen, zuerst die Furious, dann nach und nach die anderen, als würden Sie völlig undiszipliniert auf eigene Faust auf die stärksten Syndik-Schiffe losgehen, die wir finden können.«
Commander Cresida und die anderen konnten ihr Erstaunen nicht verbergen. »Sie wollen, dass wir die Formation verlassen?«, fragte Cresida. »Damit es so aussieht, als wären wir so aggressiv, dass wir uns nicht um Ihre Befehle kümmern?«
»Genau.« Geary zeigte auf die Darstellung des Sancere-Systems. »Stürmen Sie auf den Feind los. Sie sind nicht schlagkräftig genug, um es mit der zu erwartenden Zahl an Syndik-Schiffen aufzunehmen, die Sancere beschützen oder die dort repariert oder umgerüstet werden. Das ist der Sinn der Sache. Es soll so aussehen, als wären Sie eine kleine Gruppe, die sich völlig unüberlegt von der Flotte gelöst hat und die mühelos zerschlagen werden kann. Sie fliegen mit hoher Geschwindigkeit auf den Feind zu, allerdings nur so weit, dass Sie nicht in dessen Feuerreichweite gelangen. Dann machen Sie kehrt, aber nicht im geordneten Rückzug, sondern immer noch wie eine Gruppe, in der jeder macht, was er will. Sie fliehen vor den Syndiks und dem Rest der Flotte nach unten.« Mit dem Zeigefinger beschrieb Geary die Flugrichtung innerhalb des Systems.
Cresidas Miene zeigte einen entsetzten Ausdruck. »Als würden wir vor dem Feind davonlaufen?«
»Exakt.« Keiner der Anwesenden schien darüber glücklich zu sein. »Es gibt einen guten Grund dafür. Der Gedanke dahinter ist der …«
»Sir«, unterbrach ihn Cresida besorgt. »Das werden die Syndiks uns nicht abnehmen.«
Einen Moment lang wollte Geary aufbrausen, weil es so aussah, als zeige sich Cresida plötzlich genauso verbohrt wie Numos. Aber seine Wut wurde im Keim erstickt, weil es so klang, dass es einen guten Grund für ihren Widerspruch gab. »Wieso nicht?«
»Wir fliehen nicht vor einem Kampf.« Der Stolz in Cresidas Stimme war nicht zu überhören. »Egal, wie aussichtslos der auch sein mag.« Die anderen Commander nickten zustimmend. »Die Syndiks wissen das, und eine vorgetäuschte Flucht können wir ihnen nicht weismachen.«
Das war ein Problem, und Geary wusste kein Argument, um Cresidas Einschätzung zu widerlegen; schon gar nicht, wenn alle übrigen handverlesenen Captains ihre Meinung teilten. Es passte auch zu dem Unsinn vom Kampfgeist um jeden Preis, den Falco von sich gegeben hatte. Wie sollte er einen Ratschlag derjenigen Offiziere verwerfen, die er bereits als besonders vertrauenswürdig eingestuft hatte? »Dann möchte ich Ihre Vorschläge hören. Von jedem von Ihnen. Wie lenken wir die Syndik-Verteidiger ab, damit sie die Eingreiftruppe verfolgen und nicht darauf achten, was der Rest der Flotte macht?«
Commander Neeson von der Implacable zuckte mit den Schultern. »Captain Geary, wenn Sie das erreichen wollen, dann würde ich einen Beschuss im Vorbeiflug empfehlen.
Schnelle und rücksichtslose Annäherung, alle Waffen auf die vordersten Schiffe richten und sie mit allem bombardieren, was wir zu bieten haben, um dann sofort wieder wegzufliegen.«
»Ja, genau.« Cresida nickte bestätigend. »Provozieren Sie sie. Und noch besser wäre es, wenn wir gleich danach auf ein weiteres Ziel zufliegen könnten. Etwas, das wir unter keinen Umständen erreichen sollen. Wir schießen auf sie und visieren ein wichtiges Ziel an.«
»Sancere müsste von wichtigen Zielen nur so übersät sein«, merkte jemand an. »Da sollten wir auf die Schnelle etwas identifizieren können.«
Geary ließ sich das Ganze durch den Kopf gehen und betrachtete dabei die Darstellung des Sternensystems. »Und wenn Sie dabei zu tief in die Verteidigungslinien der Syndiks geraten? Ich will kein Selbstmordkommando daraus machen. Ich will, dass Sie da wieder rauskommen, ohne in Stücke gerissen zu werden.«
Auch Neeson sah sich das Display an. »Das sollten wir schon schaffen. Sobald wir Kurs auf etwas Wichtiges nehmen, gehen die Syndiks auf Abfangkurs und beschleunigen. Dann drehen wir abrupt ab, und die Syndiks haben ihre ursprüngliche Position längst verlassen. Wovon sollen wir sie eigentlich ablenken, Sir?«
»Ich will unsere Flotte das Hypernet-Portal erreichen lassen, bevor die Syndiks erkennen, dass sie das Portal brauchen, um die Flucht zu ergreifen. Wenn wir die Kontrolle über das Portal erlangen und verhindern können, dass uns jemand entwischt, dann haben wir genug Zeit, um die Syndik-Einrichtungen zu zerstören, die ihren Kriegsanstrengungen dienen. Anschließend können wir das Hypemet-System benutzen, um in Allianz-Gebiet zurückzukehren.«
»Wenn die Syndiks das Portal zerstören …«, begann Cresida zögerlich.
»Dann müssen wir nicht befürchten, dass wir es auch noch mit deren Verstärkung zu tun bekommen«, erwiderte Geary.
»Aber der Energiestoß könnte uns in Gefahr bringen.«
Anscheinend hatte er die Expertin für Hypernet-Portale gefunden, nach der er bereits gesucht hatte. »Erzählen Sie mir mehr darüber.«
Sie deutete auf die Darstellung des Sancere-Portals auf dem Display. »Das Portal ist eine Art gebundene Energiematrix. Ein Hypernet-Schlüssel funktioniert in der Weise, dass er die Partikelmatrix in einem Portal auf die Partikelmatrix eines anderen Portals abstimmt, damit ein Pfad entsteht, den ein Schiff benutzen kann. Die Matrix wird von diesen Strukturen aufrechterhalten.« Sie deutete auf Objekte, die sich um das Portal wanden. »Wie Sie sehen, gibt es die zu Hunderten. Das sind die sogenannten Trossen, auch wenn es keine richtigen Trossen sind. Aber in gewissem Sinne halten sie die Partikelmatrix in der gewünschten Form. Ein Portal zerstört man, indem man die Trossen abschaltet oder zerstört. Aber wenn es dazu kommt, dann zerbricht die Matrix, und die gebundene Energie wird freigesetzt.« Einige der Anwesenden nickten bekräftigend.
»Eine gute Beschreibung, Commander«, gab Geary zurück, der sich vorstellen konnte, dass die tatsächliche Wissenschaft der Portale erheblich komplizierter war als das, was Cresida für ihn zusammengefasst hatte. Er wünschte, jeder wäre so gut wie sie in der Lage, schwierige technische Sachverhalte so vereinfacht und verständlich wiederzugeben. »Wie viel Energie, und in welcher Form?«
Cresida verzog den Mund. »Das ist eine theoretische Frage, weil es in der Praxis noch nie getestet wurde. Es wird die Ansicht vertreten, dass der Bruch einer Portal-Matrix einen Energiestoß erzeugt, der der Explosion einer Supernova entspricht.«
»Eine Supernova?«, wiederholte Geary ungläubig. »Eine Supernova setzt bei einer Explosion so viel Energie frei wie ein Stern bei einer Lebensspanne von zehn Milliarden Jahren. Eine solche Explosion würde nicht nur das betreffende Sternensystem auslöschen, sondern auch noch einige umliegende Systeme.«
»Richtig«, bestätigte Cresida. »Das wäre ein unerfreuliches Ergebnis.«
»Allerdings«, stimmte Geary ihr zu.
»Andere Meinungen gehen allerdings davon aus, dass sich die Energie innerhalb der Matrix in sich … nun … zusammenfaltet. So wie ein unendliches Origami. Dabei wird sie immer kleiner und kompakter, bis sie in eine andere Existenzebene gerät und unserem Universum entzogen wird. Der Energieausstoß läge in dem Fall bei null.«