Geary versuchte das zu erfassen, aber zum Glück war Cresidas Vergleich nicht allzu kompliziert geraten. »Was bedeutet das für uns?«
»Nun, Sir, wenn die Art und Weise, wie eine Matrix in sich zusammenfällt, sich auf die Menge Energie auswirkt, die dabei freigesetzt wird — was auch der Fall sein sollte —, und wenn die Matrix davon abhängig so zusammenfällt, wie die Trossen abgeschaltet werden, dann sollte es theoretisch möglich sein, durch ein gezieltes Abschalten einzelner Trossen die freigesetzte Energie zu beeinflussen.«
»So wie eine Nuklearwaffe mit einem wählbaren Wirkungsgrad?«
»In etwa, ja … Auch wenn der physikalische Prozess und die damit verbundene Wissenschaft völlig verschieden sind.«
»Was benötigen Sie, um diese Idee genauer zu untersuchen?«, wollte Geary wissen. »Und können Sie eine Antwort liefern, mit der sich etwas anfangen lässt?«
»Möglicherweise.« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Ich benötige vorrangigen Zugriff auf das flottenweite Netzwerk, Sir.«
»Auf alles?« Die Rechenkapazität des Netzwerks war etwas, das über Gearys Verstand hinausging, aber die Tatsache, dass sie es benötigte, vermittelte ihm einen Eindruck davon, wie komplex Cresidas Idee war. »Okay. Sollen Sie haben.«
Nachdem die Verbindung längst unterbrochen war, saß er noch eine Weile da und überlegte, ob er wirklich wollte, dass sie eine Antwort fand. Aber wenn sie mit ihrer Theorie richtig lag, dann bedeutete das einen taktischen Vorteil, den er sich nicht entgehen lassen konnte.
Die Gefechtssimulation, die Geary durchspielen ließ, während die Flotte auf den Sprungpunkt nach Sancere zuflog, lief zu seiner Zufriedenheit ab. Doch bei der anschließenden Flottenkonferenz störte es ihn, dass Offiziere wie Numos und Faresa nicht länger anwesend waren. Natürlich war es angenehm, nicht mit ihnen diskutieren zu müssen, aber ihr Fehlen erinnerte vor allem daran, dass sich vierzig seiner Schiffe auf einen Weg begeben hatten, der nach Gearys Ansicht nur in den Untergang führen konnte. Auch die anwesenden Offiziere sahen sich um und hielten nach vertrauten Gesichtern Ausschau, die nicht mehr zu finden waren.
Es war sicher nicht verkehrt, die Leute ein wenig abzulenken. »Hat jeder von Ihnen die modifizierten Einstellungen für den Sprungantrieb erhalten und übernommen, damit wir den Sprung bis nach Sancere schaffen?«
Alle Offiziere an dem nur scheinbar großen Tisch nickten, doch den Männern und Frauen war ihre Nervosität deutlich anzumerken. Er wusste, was ihnen Sorgen bereitete. Sich in den Kampf gegen einen menschlichen Gegner zu stürzen war eine Sache, aber sich auf eine zu weite Reise in den befremdlichen Sprungraum zu begeben, das war ein ganz anderes Thema. Schiffe, die einen zu großen Sprung unternommen hatten, waren nie wieder aufgetaucht. Geary kannte die Geschichten, die Matrosen sich erzählten. Geschichten über seit langer Zeit verschollene Schiffe, die plötzlich in einsamen Sternensystemen auftauchten, ihre Besatzungen auf eine grausame Weise zu Tode gekommen. Oder sie suchten nach wie vor ihr Schiff heim, da der Sprungraum sie zu etwas verändert hatte, das nicht länger leben, aber auch nicht sterben konnte. Ihm waren solche Geschichten in Bars und während der langen Nachtschichten an Bord von Schiffen zu Ohren gekommen, wenn die düsteren, verlassenen Korridore mit einem Mal eine unheimliche Stille ausstrahlten. Geary fragte sich, ob es wohl neue Versionen von den billigen alten Horrorfilmen über Untote aus dem Sprungraum gab.
»Ich versichere Ihnen«, betonte er. »Diese Einstellungen werden funktionieren. Ich habe mehr als einmal Sprünge über solche Entfernungen unternommen.« Das schien nicht die beruhigende Wirkung zu zeigen, die er sich erhofft hatte. »Sie müssen sich dabei nicht allein auf mein Wort verlassen. Wenn Sie in der Datenbank der Flotte suchen, werden Sie auf verschiedene Berichte stoßen. Ich kann Ihnen die Quellenangaben nennen.« Diese Berichte gingen in der immensen Masse an Informationen fast unweigerlich unter, und er selbst hatte sie auch nur finden können, weil er genau wusste, wonach er suchen musste. Immerhin war er seinerzeit selbst dabei gewesen. Manchmal fragte er sich, wie viel gesammeltes Wissen unter der Fülle von Daten begraben lag, die unablässig zusammengetragen und gespeichert wurden. In früheren Zeiten ging das Wissen verloren, weil die Aufzeichnungen nicht länger existierten, heute dagegen existierten von absolut allem Aufzeichnungen, und in dieser Flut von Informationen etwas zu finden war noch schwieriger als die berühmte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen — und das selbst dann, wenn man wusste, dass bestimmte Informationen existierten.
Allein die Tatsache, dass es einen Beweis für Gearys Behauptungen gab, sorgte allgemein für bessere Laune. »Glauben Sie mir, es wird für die Syndiks eine sehr unangenehme Überraschung sein, wenn wir aus diesem Sprungpunkt bei Sancere zum Vorschein kommen. In ihren Augen wird die Allianz-Flotte das Unmögliche geleistet haben.« Endlich sah Geary hier und da an dem langen virtuellen Tisch ein Lächeln aufblitzen. »Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass wir sie völlig überrumpeln. Das wird uns einen entscheidenden Vorteil verschaffen, weil die Kommandoebene der Syndiks in Sancere wertvolle Zeit verlieren wird, bis man den ersten Schreck überwunden und verstanden hat, dass wir den Krieg zu ihnen gebracht haben.«
»In den Schiffswerften von Sancere entstehen zahlreiche Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer der Syndiks«, warf Captain Duellos ein.
»Selbst wenn nur die Hälfte von dem da ist, was wir erwarten«, sagte Geary, »werden es mehr als genug Ziele sein. Deshalb wird es auch extrem wichtig sein, dass wir unsere Angriffe aufeinander abstimmen. Wenn einfach jeder auf das losstürmt, was ihm besonders ins Auge sticht, kann es schnell vorkommen, dass ein Syndik-Schiff in seine Atome zerschossen wird, während ein halbes Dutzend andere Schiffe entkommt. Wir wollen aber nicht, dass uns auch nur ein einziges Schiff entwischt.« Dass es den Offizieren gefiel, so etwas zu hören, konnte er ihnen anmerken. Es sollte ihm helfen, sie im Zaum zu halten, wenn sie erst einmal mit einer ganzen Fülle von Zielen konfrontiert wurden.
»Captain Tyrosian.«
Sie nickte.
»Die Schnellen Hilfsschiffe in Ihrer Division haben hervorragende Arbeit geleistet, neue kinetische Bomben zu bauen und sie auf die anderen Schiffe zu verteilen. Den Besatzungen von Titan, Witch, Goblin und Jinn möchte ich für den Einsatz und die Hingabe meine Gratulation und meinen Dank aussprechen.« Tyrosian machte einen zu Recht zufriedenen Eindruck. Dank sei den lebenden Sternen, dass keines der Hilfsschiffe sich mit Falcos Gruppe davongemacht hat. Ich brauche diese Schiffe und das, was sie leisten können, um die Flotte nach Hause zu bringen.
Captain Tulev verzog skeptisch den Mund. »Wir haben zwar Grund zu der Annahme, dass wir die Syndiks völlig unvorbereitet erwischen, aber wir müssen auch davon ausgehen, dass die Verteidigung im Sancere-System auf dem neuesten Stand und nicht zu knapp bemessen sein wird.«
»Das sehe ich auch so«, entgegnete Geary. »Wenn wir in den Sprung wechseln, wird sich die Flotte in einer allgemeinen Angriffsformation befinden, aber das werden wir sofort anpassen, wenn ich ein Gefühl dafür bekommen habe, wie wir ihre Verteidigung am besten überwinden. Wie Sie meinem Angriffsplan entnehmen können, sollen die Schiffe der Eingreiftruppe Furious vorgeben, sie würden aus der Formation ausbrechen. Unsere Hoffnung ist, dass die Syndik-Kriegsschiffe sich an die Eingreiftruppe hängen und uns den Weg zum Hypernet-Portal freimachen.« Er hielt kurz inne, da er nicht den Enthusiasmus ersticken wollte, der bei der Erwähnung des Hypernet-Portals aufkeimte. »Wir müssen auch davon ausgehen, dass die Syndiks versuchen werden, das Portal zu zerstören, bevor wir es benutzen können.«