Victoria Rione starrte in die Ferne. »Ihre Überlegungen sind aber pure Spekulation. Oder gibt es irgendwelche Beweise?«
»Keine Beweise. Ein paar seltsame Entdeckungen im Kaliban-System, wo die Marines feststellten, dass der Syndik-Tresor mit der Hilfe von nichtstandardmäßigem Werkzeug geöffnet worden war. Und niemand konnte sich erklären, warum die Syndiks gewisse Maßnahmen ergriffen hatten, bevor sie das System verließen. Das beweist nichts, außer dass etwas Ungewöhnliches geschehen ist.«
Sie sah die Sternenlandschaft an. »Wie sollte jemand die Hypernet-Portale dazu bringen, zu explodieren und dabei die maximale Energie abzugeben? Ist es möglich, irgendein Signal durch das Hypernet zu schicken? Uns ist keine Methode bekannt, wie das bewerkstelligt werden könnte.«
»Aber uns ist auch vieles andere über ihre Funktionsweise nicht bekannt«, betonte Geary. »Ich glaube, solange keine von beiden Seiten diesen Krieg gewinnt, dürften wir in Sicherheit sein. Vorausgesetzt, ich liege mit meiner Spekulation richtig.«
»Eine schreckliche Spekulation, Captain Geary.«
Er nickte und sah sie lange an. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch darüber nachdenken könnten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir sagen könnten, dass ich mich irre. Aber behalten Sie diese Disk auf jeden Fall bei sich. Verstecken Sie sie, und verraten Sie mir das Versteck nicht.«
»Nicht einmal Sie würden sich versucht fühlen, diese Informationen zu benutzen.«
»Nicht einmal ich?« Geary stieß ein schroffes Lachen aus. »Nicht einmal ich? Gibt es tatsächlich noch etwas, von dem Sie glauben, ich würde es nicht tun, Madam Co-Präsidentin? Sollte ich Ihnen dafür dankbar sein?«
»Ja, und zwar so dankbar, wie ich es bin, da ich nun im Besitz eines Instruments bin, mit dem die ganze menschliche Rasse ausgelöscht werden kann!«, fuhr Rione ihn an.
Geary biss sich auf die Lippe. »Tut mir leid, aber es gibt sonst niemanden, dem ich glauben würde, dass er diese Informationen nicht benutzen wird.«
»Sie haben behauptet, Sie wollten keine Zivilisten töten und keine Planeten verwüsten.« Rione schien ihn anzuflehen. »Wollen Sie sagen, dass das auch nicht stimmte?«
Wut regte sich in ihm. »›Auch nicht‹? Hören Sie, Madam Co-Präsidentin, Sie müssen erst noch den Beweis erbringen, dass ich in irgendeiner Hinsicht gelogen habe! Solange Sie das nicht können, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nicht in einem Ton mit mir reden, als wäre ich bereits ehrlos.«
Ihre Miene verhärtete sich, dennoch nickte Rione. »Also gut, Captain Geary. Ich werde Sie nicht weiter als unehrenhaft bezeichnen, solange ich das nicht belegen kann.« Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran zu, dass sie davon ausging, den Beweis schon bald erbringen zu können.
»Danke«, erwiderte Geary kühl. »Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, ich hoffe, mir niemals zu wünschen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Aber ich habe mir vorgestellt, wie wir mit dem Rücken zur Wand stehen, während die Syndiks den Sieg über uns schon so gut wie in der Hand haben. Und ich fragte mich: Wenn alles verloren zu sein scheint, würde ich dann der Versuchung nachgeben und diese letzte Chance nutzen, auch wenn das Risiko besteht, dass die Energieentladung viel mehr vernichtet als nur den Gegner? Ich musste erkennen, dass ich diese Möglichkeit nicht mit absoluter Gewissheit ausschließen kann. Daher möchte ich erst gar nicht, dass mir diese Möglichkeit zur Verfügung steht.«
»Stattdessen wollen Sie, dass ich in Versuchung geführt werde!«
»Ich vertraue Ihnen mehr als mir selbst, Madam Co-Präsidentin. Mein Ziel ist es, diese Flotte nach Hause zu bringen. Sie dagegen haben ein Gesamtbild im Blick.« Einen Moment starrte Geary vor sich hin. »Für den Fall, dass es Ihnen nicht aufgefallen ist — ich habe Ihnen damit auch eine Waffe gegen Black Jack Geary in die Hand gegeben. Damit haben Sie die Möglichkeit, ihn zu stoppen, wenn es notwendig werden sollte.«
Er wusste, sie überwachte ihn. »Dann geben Sie also zu, dass Black Jack eine Gefahr für die Allianz darstellt.«
»Ich habe bereits zugegeben, dass er eine Gefahr für diese Flotte ist. Ich kann es mir nicht leisten, jemals zu glauben, dass ich der bin, den viel zu viele Menschen in der Allianz für Black Jack Geary halten. Aber ich bin mir sicher, Sie werden mir helfen, ein ehrlicher Mann zu sein.«
»Das versuche ich, seit Sie das Kommando über diese Flotte übernommen haben. Allerdings bin ich momentan der Ansicht, dass ich versagt habe.« Sie hielt die Disk hoch. »Und woher weiß ich, dass das wirklich die einzige Kopie ist? Wer sagt mir, dass Sie nicht noch eine weitere Kopie besitzen?«
»Warum sollte ich Sie belügen?«, wollte Geary wissen. »Welchen Nutzen sollte ich daraus ziehen können?«
»Das weiß ich nicht. Noch nicht.« Sie legte die Finger um die Disk, sodass sie seinen Blicken entzogen wurde. »Sie haben mir einmal etwas vorgemacht, Captain Geary, obwohl ich dachte, ich würde Sie kennen. Das wird sich nicht wiederholen.«
»Vielleicht machen Sie sich ja selbst etwas vor«, gab Geary zurück.
»Ja, vielleicht«, erwiderte sie, obwohl ihr Tonfall keinerlei Zustimmung signalisierte. »Ich weiß, was ich während der langen Reise nach Sancere tun werde. Was werden Sie in der Zeit machen?«
»Warum kümmert Sie das?«, konterte Geary. »Ich werde keinen Plan schmieden, wie ich die Allianz übernehmen oder einen weiteren Angriff auf das Heimatsystem der Syndiks durchziehen kann, falls Ihnen das Sorgen macht.«
»Sie scheinen zu glauben, Sie wissen, was mir Sorgen macht. Was macht Ihnen Sorgen, Captain Geary?«
Zu seiner Überraschung schien die Frage ehrlich gemeint zu sein. »Was mir Sorgen macht?« Er senkte den Blick und spürte einmal mehr, wie schwer das Kommando über die Flotte auf ihm lastete. »Mir macht Sorgen, dass die Syndiks diesen Zug vorausgeahnt haben könnten. Und dass vierzig Schiffe dieser Flotte unter dem Kommando dieses größenwahnsinnigen Dummkopfs Falco und seines schwachsinnigen Freundes Numos geradewegs in eine Falle fliegen.«
»Ich hätte noch eine weitere Sorge, die ich dazu beisteuern kann. Wenn Ihre Annahme zutrifft, was die Herkunft und den möglichen Zweck der Hypernet-Portale angeht, wagen Sie es dann zu siegen, Captain Geary?«
»Zu siegen?« Unwillkürlich musste er lachen. »Glauben Sie etwa, ich spiele mit dem Gedanken, diesen Krieg zu gewinnen? Ich will diese Flotte sicher nach Hause bringen, Madam Co-Präsidentin. Dabei wird es mir vielleicht möglich sein, den Syndiks den einen oder anderen Rückschlag zu bescheren. Aber ich bin nicht dem Irrglauben verfallen, diese Pattsituation auflösen zu können.«
»Aber Sie sind auf eine Waffe gestoßen, die genau das bewirken könnte.«
Geary atmete tief ein und ließ die Luft langsam aus seinen Lungen entweichen, ehe er antwortete: »Das ist eine Waffe, die ich aus freien Stücken nicht einsetzen werde. Ich hoffe, ich muss sie niemals einsetzen, aber ganz sicher nicht aus freien Stücken. Bewahren Sie sie sicher auf, Madam Co-Präsidentin. Wenn wir zu Hause angekommen sind, wird es bestimmt jemanden geben, dem Sie dieses Wissen anvertrauen können.«
Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Da irren Sie sich, Captain Geary. Niemandem kann man ein solches Wissen anvertrauen.«
»Wollen Sie die Disk zerstören?«
»Und wenn ich es mache?«
Einen Augenblick lang dachte er darüber nach. »Das werde ich wohl nie erfahren. Das ist ganz allein Ihre Entscheidung.«
Rione stand auf, kam näher und musterte ihn eindringlich. »Ich werde aus Ihnen nicht schlau. Jedes Mal wenn ich glaube, Sie zu kennen, tun Sie etwas, das nicht zu den Dingen passt, die ich über Sie weiß.«