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»Vielleicht strengen Sie sich einfach zu sehr an«, meinte er und grinste humorlos. »Ich bin gar nicht so komplex.«

»Unterschätzen Sie sich nicht, Captain Geary. Sie sind sogar noch komplexer als die Theorie, auf denen die Hypernet-Portale basieren. Ich hoffe nur, dass ich letzten Endes doch noch aus Ihnen schlau werde.«

Er nickte. »Wenn Sie das geschafft haben, dann sagen Sie mir Bescheid, damit ich auch weiß, wer ich bin.«

»Das werde ich machen.« Rione wandte sich zum Gehen, sah aber über die Schulter zu ihm. »Entweder sind Sie der gefährlichste Demagoge, der sich nach außen hin so ehrlich und anständig gibt, dass ihn niemand hassen oder ihm misstrauen kann, oder aber ich habe Sie schon wieder falsch eingeschätzt. Ich hoffe sehr, dass ich mich irre, Captain Geary. Sonst sind Sie nämlich sogar noch gefährlicher, als ich es bis jetzt geglaubt habe.«

Er sah ihr nach und verspürte trotz ihres offensichtlichen Misstrauens und ihrer Feindseligkeit ein Gefühl von Bestätigung. Wenn es in dieser Flotte jemanden gab, dem er diese Disk anvertrauen konnte, dann diese Frau. Gefährlich. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich über dieses Attribut noch gelacht, aber jetzt weiß ich, dass eine Waffe existiert. Was ich mit diesem Wissen mache, könnte nicht nur für die Allianz den Untergang bedeuten.

Was wissen die Syndiks? Sie haben diesen verdammten Krieg begonnen. Warum? Wussten sie irgendetwas, das sie zu diesem Schritt zwang?

Geary hatte das seltsame Gefühl ganz vergessen, das auftrat, wenn man sich zu lange Zeit ununterbrochen im Sprungraum aufhielt. Es war so, als wäre die Haut nicht mehr die eigene und als würde sie nicht mehr richtig sitzen. Aber davon nahm er jetzt kaum etwas wahr, da er auf der Brücke der Dauntless saß und darauf wartete, dass die Flotte den Sprung verließ. Nur noch ein paar Minuten, und er würde wissen, ob seine Taktik zumindest teilweise erfolgreich wäre. Und innerhalb weniger Tage würde er höchstwahrscheinlich erfahren, was geschah, wenn ein Hypernet-Portal vernichtet wurde.

Das Display für Sancere trieb gleich neben seinem Platz. Die Allianz besaß nur wenige Informationen über das System, und selbst die Syndik-Sternenkarte bot kaum mehr Brauchbares, weil die Standorte von Verteidigungsanlagen und deren Personalausstattung geheim waren. Sicher war nur, dass Sancere reich an Ressourcen und Sprungpunkten war. Acht nennenswerte Planeten kreisten um die Sonne, zwei kleinere in einem engen Orbit, zwei in einer Entfernung, die sie bewohnbar machte — einer von ihnen mit nahezu perfekten Bedingungen —, dann ein kälterer, aber immer noch brauchbarer Planet sowie drei weit entfernte Gasriesen mit beträchtlichen Rohstoffvorkommen. Die Allianz-Flotte würde jenseits des Orbits des äußersten Gasriesen in den Normalraum zurückkehren, womit sie vom Stern selbst rund dreieinhalb Lichtstunden entfernt waren.

»Eine Minute bis Sprungende«, meldete Captain Desjani ruhig.

Geary sah sich auf der Brücke um. Alle Wachhabenden wirkten nervös, aber auf eine aufgeregte, nicht auf eine verängstigte Weise. Unwissenheit ist ein Segen, dachte er. Nein, das kann nicht richtig sein. Es macht mich wahnsinnig, wenn ich etwas nicht sofort weiß. Unwissenheit kann nur dann ein Segen sein, wenn einem gar nicht klar ist, dass man etwas nicht weiß.

Er dachte noch immer darüber nach, als sich die Luke zur Brücke wieder öffnete und Co-Präsidentin Rione hereinkam, um sich auf den Beobachterplatz zu setzen, der seit ihrem Streit mit Geary im Sutrah-System leer geblieben war. Als er zu Rione sah, trafen sich ihre Blicke. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, und ihre Augen ließen nicht erkennen, was sie in diesem Moment fühlte. Geary musste zurückdenken an seine Zeit als Oberfähnrich, wenn die Prüfer im Schiffssimulator hinter ihm standen und darauf lauerten, dass ihm irgendein Fehler unterlief.

Captain Desjani begrüßte Rione höflich, gab sich aber abweisend. Ihr war die frostige Atmosphäre zwischen Geary und Rione nicht entgangen, und Tanya Desjani konnte gar nicht anders, als sich hinter Geary und damit gegen jeden zu stellen, der etwas gegen ihn hatte. Da er einen offenen Schlagabtausch auf der Brücke der Dauntless vermeiden wollte, bei dem er zwischen den Fronten stehen würde, suchte er nach einer Ablenkung. »Captain Desjani, ich möchte der Crew der Dauntless eine Mitteilung machen.«

Sie wandte ihren Blick von Co-Präsidentin Rione ab und nickte Geary zu. »Selbstverständlich, Sir.«

Er tippte auf die notwendigen Kontrollen. Natürlich hätte er Desjani nicht erst fragen müssen, aber es wäre aus seiner Sicht unangemessen gewesen, sich an die Crew zu wenden, ohne zuvor den Captain um Erlaubnis zu bitten. »An die gesamte Besatzung, hier spricht Captain Geary. Wir erreichen in wenigen Augenblicken das Sancere-System. Ich weiß, Sie alle werden Ihr Äußerstes geben, um die Ehre der Flotte und der Allianz zu wahren. Mögen die lebenden Sterne uns einen ruhmreichen Sieg bescheren, und mögen unsere Vorfahren uns wohlgesinnt sein.« Einerseits hätte er gar nichts sagen müssen, weil es Selbstverständlichkeiten waren. Andererseits aber waren das aufmunternde Worte von der Art, die ein echtes menschliches Bedürfnis erfüllten. Unwillkürlich fragte er sich, ob diejenigen, die der Menschheit die Hypernet-Portale gegeben hatten, wohl ähnlich dachten und empfanden.

»Unsere Vorfahren haben uns bis hierher geführt«, merkte Desjani in viel sanfterem Tonfall an. Sie sah ihn an und ließ unausgesprochen, dass die Vorfahren auch Geary selbst zur Flotte geführt hatten. Doch ihm war nur zu bewusst, dass sie das in Gedanken anfügte.

Ihr Glaube konnte bisweilen zermürbend sein, aber sie war nur eine von vielen Tausenden in der ganzen Flotte, die so dachten. Ich frage mich, ob Captain Falco je das Gefühl empfand, dem Glauben nicht gerecht zu werden, den andere an ihn hatten. Machte er sich überhaupt darüber Sorgen, solange die Leute ihn nur für großartig hielten? So wie ich ihn kennengelernt habe, verbringt Falco nicht viel Zeit damit, sich über andere Menschen Sorgen zu machen. Und das betrifft auch seine eigene Fähigkeit, den Glauben der anderen in ihn zu rechtfertigen. Ich schätze, wenn man von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt ist, erledigen sich einige Ängste ganz von selbst. In der letzten Nacht hatte Geary lange Zeit mit seinen Vorfahren gesprochen, ihnen seine Ängste geschildert und sie um Hilfe gebeten. In Zeiten wie diesen ohne einen Glauben zu leben musste schwierig sein, und er fragte sich, wie andere sich ruhig und gelassen einer Krise stellen konnten, die diesen moralischen Rückhalt nicht besaßen.

»Bereithalten für Sprungende«, meldete ein Wachhabender. »Jetzt.«

Gearys Magen drehte sich leicht um, seine Haut saß gleich wieder fest und straff, und die Sterne erstrahlten wie gewohnt auf den Bildschirmen. Auf dem Display des Sancere-Systems flammten in rascher Folge unzählige Lichtpunkte auf, die Verteidigungsanlagen und Einrichtungen der Syndiks kennzeichneten. Die hatten alle schon existiert, lange bevor sie hier eingetroffen waren, doch die Sensoren der Flotte entdeckten sie in diesen Sekunden zum ersten Mal. Berichte kamen herein, und die Wachhabenden wiesen auf die wichtigsten und bedenklichsten dieser Anlagen hin. Die menschliche Schnittstelle mochte ungenauer und langsamer als die automatisierten Systeme sein, doch all seiner Schwächen und Mängel zum Trotz war der menschliche Verstand immer noch das beste Mittel, um Informationen zu filtern und die wichtigsten hervorzuheben.

»Die Warhelm meldet einen Überwachungssatelliten der Syndiks in der Nähe ihrer Position. Sie meldet, dass sie den Satelliten zerstört hat. Schiffe wurden zwanzig Lichtminuten nach Steuerbord auf der Systemebene ausgemacht und sämtlich als unbewaffnete Mineraltransporter identifiziert. Keine Minen zu entdecken. Sechs, ich wiederhole, sechs Schlachtschiffe der F-Klasse in der Schiffswerft im Orbit um den vierten Planeten. Nur eines von ihnen erscheint einsatzbereit. Acht, ich wiederhole: acht Schlachtkreuzer der D-Klasse an der zweiten Schiffswerft im Orbit um den vierten Planeten. Einsatzstatus unbestimmt. Syndik-Militärbasis in vierzig Lichtminuten Entfernung auf einem Mond des achten Planeten lokalisiert. Neun … nein, zehn Massebeschleuniger in Verteidigungsposition um die Basis herum …«