Ungläubig musste Geary laut lachen. »Wie kann nach Kaliban noch irgendwer so etwas glauben? Wir haben diese Syndik-Flotte aufgerieben. Es ist niemand davongekommen.«
»Die Leute glauben, was sie glauben wollen«, stellte Rione fest.
»Sie meinen so, wie Black Jack Geary ein mythischer Held ist?«, frage er mürrisch. »Erst wollen sie mich anbeten, mich, den Krieger aus der Vergangenheit, der diese Flotte retten wird, indem er einen hundert Jahre alten Krieg gewinnt. Und dann wieder verbreiten sie Gerüchte über mich, ich sei unfähig oder ängstlich.« Schließlich setzte er sich hin und bedeutete Rione, ihm gegenüber Platz zu nehmen. »Und was verraten Ihnen Ihre Spione in der Flotte noch so alles, Madam Co-Präsidentin?«
»Spione?«, wiederholte sie überrascht, als sie sich hinsetzte. »Das klingt so abfällig.«
»Abfällig ist es nur, wenn die Spione für den Feind arbeiten.« Er stützte das Kinn auf eine Faust und musterte Rione. »Sind Sie mein Feind?«
»Sie wissen, ich misstraue Ihnen«, erwiderte sie. »Anfangs fürchtete ich die Heldenverehrung, die Sie für die Allianz zu einer genauso großen Bedrohung wie die Syndiks hätte machen können. Jetzt liegt es daran, dass Sie sich als sehr fähiger Mann erwiesen haben, was eine noch gefährlichere Kombination ergibt.«
»Aber solange ich im Interesse der Allianz handele, stehen wir auf der gleichen Seite, oder?«, fragte Geary mit einem Anflug von Sarkasmus. »Mir macht Sorgen, was mir der Hinterhalt mit dem Minenfeld über unseren Feind verrät, Madam Co-Präsidentin.«
Sie stutzte. »Was könnte Ihnen das über unseren Feind verraten, was wir nicht längst wissen?«
»Es verrät, dass die Syndiks ihren Kopf gebrauchen. Sie sind schlau, was sie auch schon bewiesen haben, als sie diese Flotte dazu veranlassten, das Hypernet zu benutzen, um in eine Falle zu laufen, die dem Krieg ein Ende hätte setzen können.«
»Was ihnen auch gelungen wäre, wenn nicht überraschend der über hundert Jahre alte Held der Allianz Captain Black Jack Geary eingegriffen hätte«, fugte Rione halb im Scherz hinzu. »Jener Held, der am Rande des Todes stehend in einer vergessenen Rettungskapsel gefunden wurde, ganz so, wie ein König aus der Antike einem Wunder gleich zum Leben erweckt wird, um sein Volk zu retten, wenn die Not am größten ist.«
Er verzog das Gesicht. »Für Sie mag das witzig sein, weil Sie nicht mit Leuten zurechtkommen müssen, die Sie für diese Person halten.«
»Ich sagte Ihnen schon, dass Sie diese Person sind, und nein, ich finde das nicht witzig.«
Geary wünschte, er würde sie besser verstehen. Seit seiner Rettung hatte er nur mit dem Militär zu tun, und einige der dortigen kulturellen Veränderungen nach einhundert Jahren Krieg waren für ihn schon böse Überraschungen gewesen. Aber seine einzige Verbindung zur zivilen Kultur stellte diese Frau dar, und die verschwieg ihm einiges. Wie viel sich zu Hause verändert hatte, konnte er aus ihr nicht herausholen, dabei hätte er es so gern gewusst.
Aber Rione wird mir nicht helfen, die zivile Kultur der Allianz besser zu verstehen, weil sie glaubt, ich könnte dieses Wissen benutzen, um eine größere Bedrohung für die Regierung zu werden. Vielleicht wird sie mir ja eines Tages so weit vertrauen, dass sie mir diese Dinge verrät. Er lehnte sich vor und bediente die Kontrollen auf der Tischplatte, mit denen er auch nach Monaten in dieser Kabine noch nicht vollständig vertraut war. Ein Bild von Sutrah nahm Gestalt an, gleich neben einer größeren Darstellung der Sterne in der Nähe dieser Sonne. »Wir werden den Rest des Weges sehr sorgfältig zurücklegen. Ich nehme an, die Syndiks haben an den anderen Sprungpunkten auch Minenfelder eingerichtet, aber wir können sie aufspüren und ihnen aus dem Weg gehen.«
Rione zeigte auf die Symbole auf dem Display. »Diese beiden Militärbasen der Syndiks … Stellen die eine Bedrohung dar?«
»Sieht nicht so aus. Allem Anschein nach sind sie veraltet, also genau das, was man von einem System erwarten kann, das nicht an das Syndik-Hypernet angeschlossen ist.« Eine Weile betrachtete er die Symbole der Basen und dachte darüber nach, wie sehr sich durch das Hypernet alles verändert hatte, was er kannte. Das Hypernet, das schneller war als die bisherigen Sprünge mit Überlichtgeschwindigkeit, hatte das interstellare Reisen revolutioniert und unzählige Sternensysteme wie abgebrochene Zweige eines Baums verkümmern lassen, wenn sie nicht Besonderes vorweisen konnten, das die Kosten für die Installation eines Portals rechtfertigte.
Geary tippte auf die Aktualisierungstaste, damit die jüngsten Informationen zum Sutrah-System angezeigt wurden. Die einzige Veränderung fand sich bei den leichten Syndik-Kriegsschiffen, die seine vier Schiffe in das Minenfeld gelockt hatten. Die waren noch immer auf der Flucht und zogen sich mit einer Geschwindigkeit von 0,2 Licht zurück. Sie hatten ihre Schiffe so extrem beschleunigt, dass die Trägheitskompensatoren am Rande ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sein mussten und die Crew zweifellos in ihre Sitze gepresst wurde. Eine Verfolgung war sinnlos, denn sie konnten einfach weiter davonfliegen, während die Allianz-Flotte sich früher oder später zu einem der Sprungpunkte begeben musste, um Sutrah verlassen zu können. Dennoch löste der Anblick der Schiffe bei Geary Verärgerung aus, da er wusste, dass Vergeltung nicht zur Debatte stand.
Doch die List der Syndiks störte ihn noch aus ganz anderen Gründen, die Rione nicht zu verstehen schien. Das Überleben dieser Flotte hing davon ab, dass Geary die richtigen und das Syndik-Kommando die falschen Entscheidungen traf. Wenn die Syndiks ihre Selbstüberschätzung abgelegt hatten und sorgfältig zu planen begannen, dann war Geary möglicherweise nicht mehr in der Lage, dem Feind einen Schritt voraus zu sein, und die Allianz-Flotte lief Gefahr, von den Syndiks einen schweren, einen tödlichen Schlag versetzt zu bekommen.
Aber auch die kleinen Schläge konnten sich zu etwas Gravierendem addieren. Auf die Hunderte von Schiffen dieser Flotte umgelegt, war der Verlust der vier Ausreißer noch zu verschmerzen. Doch auch auf diese Weise konnte eine Flotte aufgerieben werden, wenn sie bei jedem Stern ein paar Schiffe verloren. Schließlich lagen noch zahlreiche Sterne vor ihnen, bis sie die Heimat erreichen würden.
Er sah sich das Display an und wünschte, Sutrah wäre näher am Territorium der Allianz. Oder das System verfüge über ein unbewachtes Hypernet-Portal. Aber wenn er schon dabei war, konnte er sich genauso gut wünschen, er wäre vor hundert Jahren auf seinem Schiff gestorben. Dann hätte er nicht das Kommando über diese Flotte, und all die Schiffe und Menschenleben würden nicht von ihm abhängen. Reiß dich zusammen, Geary. Du hattest allen Grund, deprimiert zu sein, als sie dich auftauten. Aber das liegt jetzt hinter dir.
Der Kommunikator machte summend auf sich aufmerksam. »Captain Geary, wir sind auf etwas Interessantes gestoßen.« Desjani unterdrückte irgendeine Gefühlsregung, die er nicht so recht einordnen konnte.
»Etwas Interessantes?«, wiederholte er. Wäre es eine Bedrohung gewesen, dann hätte sie das sicherlich gesagt.
»Auf der fünften Welt findet sich etwas, das wie ein Arbeitslager aussieht.«
Geary sah zu Rione, um festzustellen, wie sie auf diese Meldung reagierte, aber sie schien das auch nicht für etwas besonders Interessantes zu halten. Auf vielen Syndikatwelten gab es Arbeitslager, weil die Syndiks viel Zeit und Mühe darauf verwandten, sich mit echten oder angeblichen Feinden in den eigenen Reihen zu beschäftigen. »Ist an dem Lager irgendetwas ungewöhnlich?«
Diesmal konnte er deutlich hören, wie angestrengt Desjanis Stimme klang. »Wir empfangen Komm-Verkehr aus dem Lager, der darauf hindeutet, dass dort Kriegsgefangene der Allianz einsitzen.«