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»Was meinen Sie, Sir?«, fragte Desjani.

Geary saß sekundenlang schweigend da und zeichnete mit einem Finger die verschiedenen Flugbahnen auf dem Display nach. Dabei verließ er sich ganz auf seine aus langjähriger Erfahrung geborenen Instinkte, um einzuschätzen, wie seine Flotte und die beiden Syndik-Flotten sich in Relation zueinander bewegen würden. »Es hängt alles davon ab, was sie machen«, erklärte er schließlich. »Wenn sie dumm sind, werden sie sich individuell in den Kampf stürzen, dann können wir jede der Flotten mit einer sehr bequemen Überlegenheit hinsichtlich Anzahl der Schiffe und ihrer Feuerkraft schlagen.«

»Werden sie einen Zusammenschluss wagen?« Desjani deutete auf das Hypernet-Portal. »Wenn die wissen, dass wir in der Lage sein könnten, das zu benutzen …«

Oh verdammt. Desjani war auf das Hauptziel konzentriert geblieben, während Geary sich in den möglichen Alternativen verloren hatte. »Nein, Sie haben recht. Diese neue Streitmacht wird die Anweisung erhalten, die Verteidigung des Portals zu unterstützen.« Oder das Portal zu zerstören. Aber was ist mit dieser anderen Flotte? »Die andere Flotte kann alles Mögliche machen, aber ich glaube, wenn sie sehen, dass wir auf dem Weg zum Portal sind, werden sie ihren Kurs dorthin ändern. Oder sie bekommen den Befehl, sich dorthin zu begeben, obwohl sie zu spät dort eintreffen werden, um uns noch aufzuhalten.«

»Damit kommen wir klar«, bekräftigte Desjani.

Ihre ruhige Gelassenheit hatte etwas Ansteckendes. »Ja.« Geary lehnte sich zurück. »Ich schätze, wir haben noch ein Zeitfenster von einer halben Stunde, bevor irgendetwas passiert. Dann werden wir für stundenlang mit neuen Informationen versorgt werden, sobald wir sehen, wie die Syndiks auf uns reagieren. Bis dahin werde ich noch schnell einen Happen essen gehen.« Desjani nickte, ihr Blick war auf das eigene Display gerichtet. »Kann ich Ihnen was mitbringen?«, fragte er halb im Scherz.

Sie klopfte mit der Hand auf ihre Uniformtasche und grinste: »Ich habe einen Verpflegungsriegel.«

»Sie sind ein besserer Matrose als ich«, meinte er lächelnd, stand auf und sah Co-Präsidentin Rione an, die auf ihrem Platz saß und ihn mit ausdrucksloser Miene betrachtete. Geary nickte ihr zu. »So weit, so gut.«

»So weit«, wiederholte sie, aber er konnte nicht erkennen, ob in ihrem Tonfall ein Hauch von Belustigung oder Ablehnung mitschwang.

Was sich in den folgenden Stunden abspielte, in deren Verlauf die Allianz-Flotte tiefer ins Sancere-System vordrang, war zum größten Teil absehbar. Zivile Schiffe waren auf dem Weg zu nahen Raumhäfen oder zogen sich in die leeren Regionen des Systems zurück, da sie hofften, dass die Allianz-Schiffe sich nicht die Mühe machen würden, Zeit mit einer Verfolgungsjagd zu vergeuden. In den orbitalen Schiffswerften herrschte hektische Aktivität, da Schlepper versuchten, wertvolle Materialien ebenso in Sicherheit zu bringen wie einige der größeren, noch im Bau befindlichen Kriegsschiffe. Allerdings waren nicht genug Schlepper da, um alles zu retten, bevor die kinetischen Projektile einschlugen. Die beiden nur teilweise fertiggestellten Kriegsschiffe, die aus der Schusslinie gezogen wurden, konnten sie später immer noch zerstören, wenn sie in das Gebiet flogen, trotzdem musste Geary die Hingabe bewundern, mit der die Syndiks ans Werk gingen. Sie gaben nicht auf, obwohl ihnen ihre Anstrengungen genauso vergebens erscheinen mussten, wie sie es in Wahrheit auch waren.

Lange nach dem Licht, das die Ankunft der Flotte ankündigte, folgte das kinetische Bombardement, das sich im System ausbreitete und unabwendbar Ziele ansteuerte, die tief im inneren System lagen, wo industrielle und militärische Anlagen dicht an dicht standen.

Die Syndik-Streitmacht, die Geary insgeheim als Übungs-Flotte bezeichnete, die aber vom Gefechtssystem offiziell als Syndik-Streitmacht Alpha geführt wurde, hatte fast vier Stunden vor der Sichtung von Gearys Flotte Kurs auf den fünften Planeten genommen und damit unwissentlich den Abstand verringert. Als er dann sah, wie die Streitmacht eine abrupte Kursänderung beschrieb, wusste er, dass dieses Manöver bereits vor fünf Stunden stattgefunden hatte — und ihm wurde bewusst, dass er sich bereits seit mehr als zehn Stunden auf der Brücke aufhielt. Er verharrte dennoch an Ort und Stelle, bis erkennbar war, ob die Übungsflotte den Köder geschluckt hatte und auf die Eingreiftruppe Furious zusteuerte. Ein prüfender Blick auf die andere Syndik-Flotte führte leider zu der Erkenntnis, dass die kehrtgemacht hatte und zum Portal zurückflog. Geary betete, dass diese Syndiks das Portal benutzten, um aus dem System zu entkommen, da ihm so die Ungewissheit einer Konfrontation ebenso erspart bleiben würde wie die Möglichkeit, dass sie das Portal zerstörten, bevor seine Flotte es erreichen konnte.

Müde rieb er sich die Augen. Es dauerte immer noch gut vierundzwanzig Stunden, ehe die Flotte in die Nähe des Gasriesen gelangte, wo man eine Kursänderung vornehmen und geradewegs auf das Portal zusteuern wollte. Es gab Medikamente, die ihn tagelang hellwach halten würden, aber selbst die besten dieser Mittel hatten ihren Preis, den man für gewöhnlich dann bezahlen musste, wenn in einer Drucksituation eine schnelle Entscheidung erforderlich wurde. Der menschliche Verstand benötigte Schlaf, um sich zu erholen, und er wollte sich auch mit nichts anderem abspeisen lassen. Captain Desjani hielt ein Nickerchen in ihrem Sessel, der offenbar bequem genug dafür war. Die Geräuschkulisse der Brücke schien sie nicht zu stören.

Aber so bald würde es keine neuen Entwicklungen geben. Aktualisierte Informationen konnten eingehen, doch jede mögliche Bedrohung würde erst in einigen Stunden zur Gefahr für die Flotte werden. Geary tippte auf die Komm-Tasten. »An alle Schiffe: Sorgen Sie dafür, dass die Schichtwechsel Ihrer Crew eingehalten werden und dass jeder genug Zeit bekommt, um sich auszuruhen.« Er stand auf und streckte sich, fest entschlossen, seinen Untergebenen mit gutem Beispiel voranzugehen. »Ich gehe nach unten und lege mich eine Weile schlafen«, ließ er die Wachhabenden auf der Brücke wissen. »Rufen Sie mich, wenn sich irgendetwas Unerwartetes ergibt. Und ich will benachrichtigt werden, falls diese beiden Syndik-Flotten eine Kursänderung vornehmen.«

Mitten in einer Schlacht für sechs Stunden schlafen zu gehen, wirkte im ersten Moment völlig absurd, aber wenn sich diese Schlacht in Zeitlupe abspielte und sich zum Teil über Tage hinzog, dann war es eine durchaus sinnvolle Maßnahme. Wenn er noch länger wach blieb und zusah, wie sich nichts ereignete, würde er viel zu müde sein, sobald sich etwas ereignete. Das hielt sich Geary vor Augen, als er sich in seine Koje legte und die Decke anstarrte. Es hätte schlimmer kommen können. Die Verteidigung fiel angesichts so zahlreicher militärischer Einrichtungen in diesem System überraschend schwach aus. Offenbar waren die Syndiks nicht davon ausgegangen, dass Sancere ein ernsthafter Kandidat für einen Angriff der Allianz sein könnte. Aber Überraschungen konnte es jederzeit geben, und er musste einen klaren Kopf haben, wenn er dann zu einer schnellen und richtigen Reaktion in der Lage sein wollte.

Rastlosigkeit brachte ihn nach einer Weile dazu, durch das Schiff zu streifen und mit Offizieren und Matrosen zu reden, die auf ihren Posten waren oder zwischendurch etwas aßen. Jeder wirkte nervös und aufgeregt, voller Sorge über das, was vielleicht kommen würde, aber auch begeistert von der Aussicht, dem Gegner einen schweren Schlag zuzufügen. Einige von ihnen grübelten über das Hypernet-Portal nach, und Geary versicherte ihnen recht vage, das Portal sollte eingenommen werden, falls das überhaupt möglich war.

Sechs Stunden vor der Ankunft beim Gasriesen konnte die Flotte etwas Aufregendes beobachten, das sich von der Welle der Zerstörung unterschied, die die kinetischen Geschosse der Flotte verursachten, sobald sie auf ihre Ziele trafen. Die Eingreiftruppe Furious hatte auf dem Weg zu den inneren Planeten auf 0,2 Licht beschleunigt und war jetzt zwei Lichtstunden von der Flotte entfernt. Sie bremste nun auf 0,1 Licht ab und näherte sich schnell der Syndik-Streitmacht Alpha, der Übungsflotte.