Von dem Wissen erfüllt, dass er in das Geschehen nicht lenkend eingreifen konnte, da alles, was er zu sehen bekam, längst geschehen war, konnte Geary nur zuschauen, wobei er versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Sollten die ihm treuen Commander der Versuchung erliegen und einen Angriff auf die Syndiks unternehmen, dann wäre ein Blutbad unvermeidlich. Die dreißig Schiffe unter Cresidas Kommando waren zahlenmäßig den neununddreißig Syndik-Schiffen unterlegen, und das galt auch für ihre Feuerkraft. Immerhin hatten die Syndiks zehn Schlachtschiffe vorzuweisen. Das Kräfteverhältnis war ungleich genug verteilt, um die Syndiks zu einer Verfolgung der scheinbaren Angreifer zu verleiten, worauf Geary auch hoffte. Er war davon überzeugt, dass Cresida nicht so dumm war, sich auf einen Nahkampf einzulassen, doch ein unbeabsichtigter Fehler auf ihrer Seite oder ein geschickter Zug der Syndiks konnte genau das nach sich ziehen.
Es lief alles darauf hinaus, dass er Cresida vertraute. Nach der Bescherung, die Numos mit dem Kommando über die ihm unterstellte Formation bei Kaliban angerichtet hatte, wollte Geary niemandem mehr die Befehlsgewalt über einen Teil der Flotte übertragen, dem er nicht vertraute. Aber es war viel leichter, nicht zu vertrauen und seinen Untergebenen alles vorzuschreiben, anstatt sie einfach ihre Arbeit machen zu lassen. Schon witzig, dass sich daran nie etwas ändert. Man muss es als Junioroffizier lernen, und als Senioroffizier muss man sich daran halten. Vorausgesetzt, man will ein guter Commander sein.
Vor zwei Stunden, was aber für den Rest der Flotte erst jetzt erkennbar wurde, hatte Cresida geschickt agiert und einen Kurs gewählt, der beinahe zu einer Kollision mit dem Gegner führte, nur um abrupt den Kurs zu ändern und im Vorbeiflug einige Salven abzufeuern. Es blieb nicht genug Zeit, um zu reagieren, zudem verhielten sich die Schiffe auffallend träge, was Gearys Einschätzung bestätigte, dass deren Besatzungen noch keine Kampferfahrung besaßen. Die Syndik-Formation versuchte, sich um die Achse des Flaggschiffs zu drehen, um sich der Eingreiftruppe als Wand aus geballter Feuerkraft zu präsentieren. Aber einige Schiffe drehten sich erst mit Verspätung und schossen an anderen vorbei, wieder andere beschrieben ihre Wendung dort, wo bereits benachbarte Schiffe manövrierten. Nur mit waghalsigen Bewegungen konnten sie einer Kollision aus dem Weg gehen, was in der Formation für zusätzliche Unordnung sorgte und die der Eingreiftruppe zugewandte Flanke völlig schutzlos zurückließ. Während die Syndiks vergeblich versuchten, das Feuer auf die herannahenden Allianz-Schiffe zu konzentrieren, konnte die Eingreiftruppe sich auf die ungeschützte Flanke konzentrieren und sie unter massiven Beschuss nehmen.
Geary atmete erleichtert auf, als die Sensoren der Dauntless ihm die Verluste der Syndiks auflisteten. Ein Schlachtschiff trieb tot im All, zwei Schlachtkreuzer waren schwer beschädigt. Alle vier Schweren Kreuzer an dieser Flanke sowie fünf Jäger wurden vernichtet. Die Statusmeldungen trafen jetzt zusammen mit dem Licht des Gefechts ein und ließen erkennen, dass nur einige von Cresidas Schiffen minimale Schäden erlitten hatten, während die anderen völlig unversehrt geblieben waren. »Gut gemacht«, lobte Captain Desjani.
»Sehr gut sogar«, bekräftigte Geary. Dann versteifte er sich abrupt. Die zwei Stunden alten Bilder zeigten, dass die Schiffe der Eingreiftruppe in einem weiten Bogen wendeten, als wollten sie ein weiteres Mal die überrumpelten Syndiks attackieren. Davon war keine Rede, Cresida. Tun Sie das nicht.
Bei der Geschwindigkeit, mit der die Schiffe der Eingreiftruppe unterwegs waren, dauerte es lange, und sie benötigten viel Raum, um ihre Wendung zu vollenden, auch wenn sie gleichzeitig abbremsten, um den Radius so klein wie möglich zu halten. Schließlich gab es keinen Zweifel mehr daran, dass Cresida einen zweiten Angriff fliegen wollte. Verdammt, sie hätte es besser wissen sollen.
Die Syndiks hatten die Verschnaufpause genutzt, um ihre Formation in den Griff zu bekommen und die stärkste Feuerkraft auf den Gegner auszurichten. Da sie offenbar mit einer weiteren Attacke auf die geschwächte Flanke rechneten, befanden sich die überlebenden leichten Einheiten nun in der Mitte, während die verbliebenen Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer in zwei vertikal ausgerichteten Ebenen angeordnet waren und dabei wie zwei Scheiben wirkten, zwischen denen sich die schwächeren Schiffe befanden. Es hatte etwas Ironisches, dass die großen Schiffe als Eskorte der kleineren Fahrzeuge dienten, die ihrerseits doch die Eskorte hätten bilden müssen. Dennoch war Geary beeindruckt, dass die Syndiks so schnell einen Weg gefunden hatten, ihre Flanken gegen Cresidas Taktik zu schützen.
»Was glauben Sie, was sie gemacht hat?«, fragte Captain Desjani, die eher fasziniert als besorgt klang. Die Vergangenheitsform klang seltsam, wenn sie dabei gleichzeitig das Geschehen mitverfolgten, aber es erinnerte ihn daran, dass alles, was sie sahen, längst geschehen war.
»Das werden wir bald sehen«, erwiderte Geary, der sich bemühte, seine Verärgerung über Cresidas eigenmächtiges Handeln nicht zu zeigen. Er konnte sie nicht davon abhalten, er konnte nicht eingreifen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich ein zwei Stunden altes Ereignis anzusehen, dessen Licht jetzt erst die Dauntless erreichte.
Die Eingreiftruppe Furious hatte nun die Formation eines breiten, flachen Streifens eingenommen. Geary starrte auf die Darstellung und fragte sich, was Cresida mit dieser Formation bezwecken wollte. Die beiden Streitmächte steuerten aufeinander zu, die Eingreiftruppe beschleunigte so weiter, wie es die handverlesenen Schiffe zu leisten vermochten. Die Allianz-Flotte näherte sich den Syndiks mit einer kombinierten relativen Geschwindigkeit von nicht ganz 0,2 Licht. Beiden Seiten würden die relativistischen Störungen ernsthafte Schwierigkeiten bereiten, zielgenau auf den Gegner zu feuern; die Geschwindigkeit bewegte sich auch kaum noch innerhalb akzeptabler Gefechtsbedingungen.
Diese Schnelligkeit und die Probleme, den Gegner zu sehen, ließ den Syndiks weniger Zeit zu reagieren, als Cresida ihre Streitmacht abermals den Kurs ändern ließ. Die Kriegsschiffe der Eingreiftruppe Furious tauchten nach unten weg und flogen unter den wartenden Syndiks hindurch, wobei sie auf eine ungeschützte Ecke der rechteckigen Formation an der Backbordseite der gegnerischen Streitmacht zielten. Das einzelne Schlachtschiff an eben dieser Ecke musste einen Beschuss von jedem Mitglied der Eingreiftruppe einstecken, während es selbst jeweils nur Einzelschüsse auf die Gegner abfeuern konnte. Auch wenn viele Schüsse der Allianz-Schiffe wegen der Störungen durch das hohe Tempo das Ziel verfehlten, bekam das Syndik-Schlachtschiff immer noch genug Treffer ab.
Die Allianz-Formation flog weiter, zurück blieben die Trümmer eines Schlachtschiffs, das dem massiven Beschuss nicht hatte standhalten können.
Desjani lachte sanft. »Die werden auf Commander Cresida sehr wütend sein. Das war ein guter Zug, Captain Geary. Sie hat zweimal mit ihnen gespielt, und beide Male konnte sie ihnen Verluste beibringen. Sehen Sie, die Syndiks drehen bei, um sie zu verfolgen, aber sie fliegt nicht auf den fünften Planeten zu.«
»Nein.« Geary betrachtete die Flugbahn, auf die die Eingreiftruppe einschwenkte und die von den Steuersystemen der Dauntless schnell weiterberechnet wurde. »Cresida hat beschlossen, zu den Schiffswerften im Orbit um die vierte Welt zu fliegen.« Die gigantischen Industriekomplexe stellten vermutlich die kostbarsten Ziele in diesem System dar. Geary hatte Cresida ausdrücklich angewiesen, diese Anlagen nicht zu zerstören, weil er sie plündern wollte, aber die Eingreiftruppe konnte mühelos im Vorbeiflug das fast fertiggestellte Schlachtschiff und einen Schlachtkreuzer bombardieren, die beide hektisch weggeschleppt wurden, um sie vor den kinetischen Projektilen in Sicherheit zu bringen, die auf die im Bau befindlichen Schiffe abzielten.