Geary fühlte sich zwischen ungläubigem Gelächter und einem Wutausbruch hin- und hergerissen. Mit der Handfläche schlug er auf die Tischplatte. »Das ist ja nicht zu fassen. Ich kann Ihnen versichern, dass niemand hier mehr an einer schnellen und sicheren Rückkehr in Allianz-Gebiet interessiert ist als ich.«
Kaum hatte er ausgesprochen, meldete sich ein anderer Offizier entrüstet zu Wort. »Wer zum Teufel glaubt denn einen solchen Quatsch?«
Entsetzt sah Geary zu dem Sprecher und erkannte, dass es sich um den Befehlshaber der Diamond handelte. Erst dann wurde ihm bewusst, dass die Diamond noch immer zwanzig Lichtsekunden entfernt war. Der Kommentar galt also nicht Gearys Beteuerung, sondern dem Gerücht.
»Eine solche Unterstellung ist eine Schande für diese Flotte!«, redete der Captain der Diamond weiter. »Mein Schiff war dort, und wer irgendwelche Zweifel hat, kann sich gern die Logbücher der Diamond ansehen. Das Portal war im Zusammenbruch begriffen, als wir es erreichten.« Er schaute zu Geary. »Ich gebe zu, ich gehörte anfangs zu denjenigen, die ihre Zweifel an Captain Geary hatten; Zweifel an dem, was er tat und wie er es tat. Viele von Ihnen wissen das. Ich hatte meine Bedenken, ob er aggressiv genug sein würde. Aber ich sage Ihnen, wir sind auf dieses Portal zugestürmt, und wir haben diese Syndik-Schiffe so schnell ausgeschaltet, wie wir nur konnten. Doch die hatten bereits zu viel Schaden angerichtet. Überprüfen Sie die Logbücher der Diamond, wenn Sie mir nicht glauben. Und wenn Sie schon damit beschäftigt sind, dann können Sie sich auch gleich mit den Anzeigen aus dem kollabierenden Portal befassen. Unglaubliche Werte, das kann ich dazu nur noch sagen. Captain Geary hat getan, was er konnte. Ich habe an seiner Seite in den Höllenschlund geblickt, und das würde ich jederzeit wieder machen, wenn es erforderlich sein sollte.«
Schweigen folgte seinen Ausführungen. Geary atmete tief durch, dann wurde ihm klar, dass noch etwas anderes angesprochen werden musste. »Ladies und Gentlemen, ich habe Ihnen bereits gesagt, wie sehr ich den Mut des Personals dieser Flotte bewundere. Ich gebe offen zu, ich hatte meine Probleme mit den Veränderungen, die zwischen meiner Zeit und der Gegenwart in der Allianz-Flotte Einzug gehalten haben. Veränderungen, die über ein Jahrhundert verteilt eingetreten sind, zudem in einem Jahrhundert des Krieges. Aber ich kann Ihnen sagen, dass mir erst heute eine Sache wirklich bewusst geworden ist.« Er ließ eine kurze Pause folgen, da er nach den passenden Worten suchte. »Die Flotte, die ich kannte, war kleiner, professionell und intensiver geschult. Aber uns hatte man nicht im Kampf auf die Probe gestellt. Nicht in dem Maß, wie es Ihnen ergangen ist. Als die Dauntless, die Daring und die Diamond vor diesem Portal standen und nicht zurückwichen, obwohl sie mit etwas konfrontiert wurden, das schrecklicher war als alles, was ich mir je hätte ausmalen können, da begann ich zu verstehen, wie tapfer Sie alle eigentlich sind. Jeder Offizier und jeder Matrose dieser Flotte hat das Recht, in einer Reihe mit denen zu stehen, die Großes für die Allianz geleistet haben. Sie könnten Ihren Vorfahren keine größere Ehre erweisen, als Sie es bereits getan haben, indem Sie mit Hingabe Ihren Dienst verrichten, indem Sie auch im Angesicht eines scheinbar ewigen Kriegs nicht verzagen, indem Sie bereit sind, jede Last zu tragen, um Ihre Heimat zu verteidigen. Ich fühle mich über alle Maßen geehrt, Ihr Befehlshaber zu sein. Ich werde diese Flotte nach Hause bringen, denn jeder von Ihnen verdient es, dass andere von Ihren Leistungen erfahren. Und jeder von Ihnen verdient es, sicher heimzukehren. Ich werde Sie nach Hause bringen. Das schwöre ich Ihnen.«
Er hörte auf zu reden, da er fürchtete, dass er zu viel Gefühl in seine spontane Ansprache gelegt und möglicherweise lächerlich oder großspurig geklungen hatte. Aber alle sahen ihn ernst und schweigend an, und schließlich war es der befehlshabende Offizier der Vambrace, der wieder das Wort ergriff. »Danke, Sir, die Ehre ist ganz unsererseits.« Niemand widersprach ihm. Zumindest nicht so, dass es jemand hören konnte.
Nach dem Ende der Besprechung setzte Geary sich, da die virtuellen Teilnehmer sich zurückgezogen hatten und nur Captain Desjani noch bei ihm war. Lächelnd salutierte sie und verließ den Raum, um ihre Miene und die Geste für sich sprechen zu lassen.
Schon oft war ihm die Frage durch den Kopf gegangen, warum das Schicksal ihm diesen Platz zugewiesen hatte, warum er alles Vertraute verloren hatte und ihm ein Kommando übertragen worden war, das seine frühere Verantwortung um ein Vielfaches überstieg. Dass er eines Tages für irgendetwas davon dankbar sein könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen. Aber wenn er daran dachte, wie unerschütterlich sich die Dauntless, die Daring und die Diamond im Angesicht des kollabierenden Portals gezeigt hatten, dann konnte er nur den Vorfahren danken, solche Schiffe und Matrosen an seiner Seite zu haben.
Die Schiffsnacht hatte begonnen, und Geary saß in seiner Kabine und starrte vor sich hin, die Gedanken beim Anblick des Höllenschlunds im Hypernet-Portal, als plötzlich die Türglocke betätigt wurde. Da er Captain Desjani erwartete, stutzte er, als Victoria Rione eintrat, deren Miene deutlich erkennen ließ, dass sie etwas auf dem Herzen hatte. Eigentlich sollte ich wohl wütend auf sie sein, weil sie mir seit Sutrah das Leben noch schwerer macht, als es das ohnehin ist. Aber verglichen mit dem, was mir Falco angetan hat, ist das noch harmlos gewesen. Rione wird nichts unternehmen, was den Verlust eines Teils dieser Flotte nach sich ziehen wird. Also stand Geary auf und erklärte höflich: »Madam Co-Präsidentin, ich gebe zu, Ihr Besuch überrascht mich. Sie waren schon eine Weile nicht mehr hier.«
»Sie meinen, außer wenn Sie darauf bestanden haben?«, gab Rione ruhig zurück.
»Ja. Ich hoffe, Sie beabsichtigen nicht, mich mit einem Problem von der Art zu konfrontieren, wie ich es Ihnen bei unserem letzten Zusammentreffen hier aufgetischt hatte.«
»Nein.« Sie hielt inne und schien sich für irgendetwas zu wappnen. »Captain Geary, ich möchte mich entschuldigen.«
Das war allerdings eine Überraschung. »Entschuldigen?«
»Ja.« Sie deutete auf das Sternendisplay, das über dem Tisch schwebte. »Seit unserem Streit bei Sutrah habe ich das getan, was ich dabei versprochen hatte: Ich habe Simulationen durchgespielt. Ich ließ diese Flotte von Sutrah aus jeden Kurs nehmen, den die Sprungpunkte möglich machten.« Sie zögerte und presste einen Moment lang die Lippen zusammen. »Sie liefen alle auf dasselbe hinaus. Kleinere Verluste in jedem System, die sich zu größeren Verlusten addieren, während durch immer mehr Syndik-Präsenz immer weniger Wege zur Wahl stehen, bis die Flotte zwischen überlegenen Streitmächten in der Falle sitzt.«
»Also hatte ich recht.« Geary konnte nicht anders, als das auszusprechen.
»Ja, Sie hatten recht«, stimmte Rione ihm mitschneidender Stimme zu.
»Was ich mir durch Gedankenspiele überlegt hatte, war also akkurat genug, um exakt das vorherzusagen, was Ihre Simulationen ergeben haben.«
Sie nickte knapp und sah ihn mit verbissener Miene an. »Sie haben die Wahrheit gesagt, und das gebe ich auch zu. Ich entschuldige mich dafür, dass ich Ihre Motive infrage gestellt habe.«
Er schüttelte den Kopf und machte keinen Hehl aus seiner Verärgerung. »Meine Motive? Verdammt, Madam Co-Präsidentin, Sie haben mich indirekt als Verräter an dieser Flotte und an der Allianz bezeichnet. Und Sie haben mich einen Lügner genannt, nicht wahr?«
»Ja, das ist wahr, und ich gebe zu, das war verkehrt von mir.« Wut blitzte in Riones Augen auf. »Werden Sie meine Entschuldigung nicht annehmen?«