Er ließ sich in seinen Sessel sinken und rieb sich die Stirn. Als ich die Flotte aufgeteilt habe, war mir gar nicht bewusst, dass ich die Echtzeitverbindung zu den meisten Schiffen verlieren würde. Aber wenigstens muss ich mir keine Gedanken machen, Numos könnte wieder irgendetwas verbocken. Dummerweise erinnerte dieser schwache Trost ihn an die fast vierzig Schiffe, die Falco gefolgt und inzwischen möglicherweise zerstört worden waren.
Desjani schüttelte den Kopf. »Mit Ihrer Erlaubnis, Captain Geary, würde ich mich gern nach unten begeben und ein paar Stunden echten Schlaf genießen. Momentan vergeude ich hier oben nur meine Zeit.«
Automatisch warf Geary wieder einen Blick auf das Display. Die Formation Delta rings um die Dauntless war fast einen Tag von den Orbitalanlagen um den dritten Planeten entfernt, auf den sie zusteuerte. Von Syndik-Schiffen war im ganzen System keine Spur zu entdecken, wenn man von der Streitmacht Alpha absah, die sich zwischen dem siebten und achten Planeten aufhielt und damit einen großen Abstand zur Eingreiftruppe Furious hielt. Geary fragte sich, wann der Syndik-Commander wohl einsehen würde, dass es für seine Karriere nicht förderlich sein konnte, in sicherem Abstand zu verharren und mit seiner Flotte zu überleben, während die Allianz in aller Ruhe das Sternensystem zerlegte. »Warum nur für ein paar Stunden?«, konterte er. »Ich werde erst mal eine Weile hier sein.«
»Danke«, sagte Desjani amüsiert. »Aber auch wenn Sie auf der Brücke sind, bin ich immer noch der Captain dieses Schiffs.«
»Wie wäre es, wenn ich Ihnen befehle, mindestens vier Stunden zu schlafen?«
»Einen ausdrücklichen Befehl kann ich wohl kaum verweigern«, erklärte sie mit sichtlichem Widerwillen, stand auf und streckte sich. »Sie scheinen sich besser zu fühlen, Sir, wenn ich das so sagen darf.«
»Es hilft eben, sich auszuruhen.« Co-Präsidentin Rione wählte ausgerechnet diesen Augenblick, um die Brücke zu betreten. Sie nickte Desjani kühl zu und ließ Geary zum Gruß die gleiche Geste zukommen. Er grüßte zurück, was er mit deutlich mehr Freude als in den letzten Wochen tat. Als er sich wieder umdrehte, sah er noch eben, wie Desjani ihren verwunderten Gesichtsausdruck hinter einer nichtssagenden Miene zu verbergen versuchte. Desjani hat es gemerkt? Wie kann das so offensichtlich sein?, fragte er sich. Wir haben nicht mal ein Wort gesprochen.
Captain Desjani wandte sich ihrem Senior-Wachhabenden zu. »Ich bin in meiner Kabine und ruhe mich aus.« Bei den letzten Worten warf sie Geary einen Seitenblick zu, und ihr Mundwinkel zuckte bei dem nicht ganz erfolgreichen Bemühen, sich ein Lächeln zu verkneifen. Als sie die Brücke verließ, blieb sie kurz bei Rione stehen. »Es ist ein Vergnügen, Sie an Bord zu haben, Madam Co-Präsidentin.« Soweit Geary sich erinnern konnte, hatte Desjani sich gegenüber Rione noch nie so geäußert.
Geary spürte, wie bei ihm Kopfschmerzen einsetzten, auch wenn Rione Desjani amüsiert nachschaute. »Wie ist das möglich?«, raunte er Rione zu.
»Ich fürchte, diese Information ist streng vertraulich«, erwiderte sie in einem sachlichen Tonfall.
»Mit anderen Worten, das ist was unter Frauen.«
»Wenn Sie es so sehen wollen.«
Er lehnte sich zurück und deutete auf das Display. »Was meinen Sie? Colonel Carabali war in Sorge, die Formation Beta könnte dem vierten Planeten zu nahe kommen. Sieht für Sie noch irgendwas anderes bedenklich aus?«
»Ich kann es mir anschauen. Aber Sie erwarten doch sicher nicht von mir, dass ich befähigt bin, eine militärische Einschätzung abzugeben.«
»Nein. Trotzdem kann jemand mit einer militärischen Ausbildung manchmal Dinge übersehen, die für einen Laien offensichtlich sind. Mir fällt auf, dass Sie überhaupt nicht beunruhigt wirken. Wenn wir sonst in Syndik-Gebiet unterwegs sind, dann überschütten Sie mich für gewöhnlich mit Warnungen, was alles schiefgehen könnte.«
»Und das gefällt Ihnen?«
»Sagen wir, ich habe mich daran gewöhnt. Außerdem haben Sie des Öfteren recht gehabt.«
Rione lächelte ihn flüchtig an, dann nickte sie und beugte sich vor, um das Display vor ihrem Sessel genauer zu studieren. Geary warf einen Blick auf die Uhr. Noch gut zwanzig Minuten, bevor Captain Duellos seine Nachricht erhalten würde. Und vermutlich rund eine Stunde bis zum Eintreffen der Antwort.
Wer hätte je gedacht, dass ein Krieg so langweilig sein könnte? So langweilig, dass man es irgendwann mit der Angst zu tun bekam.
Duellos bestätigte Gearys Anweisungen und ergänzte, er werde seine Schiffe möglichst in einer Position halten, bei der sich die Orbitalanlagen zwischen der Flotte und dem Planeten befanden. Vermutlich würden nicht mal die Syndiks vorsätzlich ihre eigenen Einrichtungen zerstören, um an den Feind zu gelangen.
Die Formation, zu der die Dauntless gehörte, hatte den Orbit der vierten Welt zum Teil hinter sich gebracht und war auf dem Weg zum dritten Planeten. Bei der kürzesten Distanz war Geary vier Lichtminuten von der Formation Beta entfernt. Auf seinem Display markierten kleine Symbole die von den Recce-Drohnen weitergeleiteten Daten über die vierte Welt, wobei die Übertragung zeitweilig von statischem Rauschen überlagert wurde, wenn der Staub in der oberen Atmosphäre zu sehr störte.
Als visuelle Darstellung zeigten die Bilder eine recht ansprechende Welt mit großen Städten und Siedlungen sowie weiten Naturgebieten, die hier und da Narben aufwiesen, wo Bodenschätze gefördert wurden. Nach diesen Bildern zu urteilen handelte es sich um eine nahezu verlassene Welt; Straßen und Plätze waren fast frei von Menschen und Fahrzeugen. Die wenigen Fahrzeuge, die man entdecken konnte, waren eindeutig offizieller Natur und bewegten sich größtenteils in Konvois. Die restliche Bevölkerung hatte wohl in Kellern und Bunkern Zuflucht gesucht, obwohl die keinen Schutz geboten hätten, wäre die Allianz zu dem Entschluss gekommen, den Planeten massiv zu bombardieren.
Vereinzelt waren Krater zu sehen, wo die kinetischen Bomben eingeschlagen waren. Alle Bilder von diesem Planeten wirkten gräulich und verwaschen, als würde man einen sehr bewölkten Tag erleben. Die Übertragungen von der Nachtseite zeigten nur völlige Schwärze, da die Staubschicht in der Atmosphäre verhinderte, dass Licht von den Sternen auf die Oberfläche gelangte.
Mithilfe seiner Kontrollen konnte Geary die Darstellung auf Infrarot, Radar oder auf das elektromagnetische Spektrum umschalten. Ihm standen noch andere Varianten zur Verfügung, doch von denen ließ er lieber die Finger, da er fürchtete, unbeabsichtigt den Drohnen irgendeinen Befehl zu erteilen. Von Zeit zu Zeit meldete eine Drohne, dass sie von den Syndiks beschossen wurde, aber selbst unter besten Bedingungen stellten diese automatischen Aufklärer nur schwer erfassbare Ziele dar. Da sie nun auch noch in der dichten Wolkendecke Schutz suchen konnten, war es umso schwieriger, eine von ihnen abzuschießen.
»Captain Geary, hier ist Captain Duellos. Das, was von den Verteidigungsanlagen auf der Planetenoberfläche verblieben ist, versucht sich ein Bild von unserer Flotte zu verschaffen.« Mit der Nachricht wurde ein Link übertragen, der zeigte, wie Syndik-Drohnen für wenige Augenblicke aus der Wolkendecke auftauchten, die Situation aufzeichneten, und dann auch schon wieder verschwanden, bevor die Allianz-Sensoren sie erfassen und das Feuer auf sie eröffnen konnten. »Ein Muster ist nicht erkennbar. Wenn die versuchen, Zielerfassungsdaten zu sammeln, können wir nicht nachvollziehen, auf was sie ausgerichtet sind. Ich habe allen Schiffen in meiner Formation den Befehl gegeben, von Zeit zu Zeit Position und Geschwindigkeit zu ändern.«
Duellos würde die Antwort erst in vier Minuten hören, als Geary erwiderte: »Danke, wollen wir hoffen …« Er unterbrach sich, als auf seinem Display ein Alarm ertönte.