»›Hinweise‹?«, fragte Captain Tulev. »Dann glauben Sie nicht, dass es wirklich so ist?«
Geary atmete tief durch. »Man hat uns in diesem System schon einmal reingelegt. Es wäre für die Syndiks ein Leichtes, Nachrichtenübertragungen zu fingieren, damit wir glauben, in diesem Lager würde Personal der Allianz festgehalten.« Es kostete ihn keine Mühe, die aufkeimende Rebellion der anderen Offiziere wahrzunehmen. »Ich beabsichtige allerdings sehr wohl, hinzufliegen und mich an Ort und Stelle davon zu überzeugen. Aber wir müssen wachsam sein, damit wir nicht in einen weiteren Hinterhalt geraten.«
»Ein Köder, um uns zum fünften Planeten zu locken?«, fragte Colonel Carabali und kniff skeptisch die Augen zusammen.
»Es wäre möglich. Beim Anflug auf den Planeten haben wir Zeit genug, Minenfelder aufzuspüren, auch wenn die noch so gut getarnt sind. Was könnte uns dort sonst noch erwarten, das uns Sorgen bereiten sollte?«
Carabali zuckte mit den Schultern. »Auf einem solchen Planeten kann man schwere Waffen in Stellung bringen, aber solche Geschosse müssen erst mal das Schwerkraftfeld überwinden und sich mit den atmosphärischen Bedingungen auseinandersetzen, bevor sie Ziele im Weltall anfliegen können. Und abgesehen davon — wenn sie uns mit so was beschießen wollen, dann müssen wir einfach nur auf Abstand bleiben und den Planeten mit großen Felsblöcken bewerfen.«
Ein nachdenklich dreinblickender Captain sah hoch. »Sie reden von schweren kinetischen Geschossen?«
»Ja«, bestätigte die Frau. »Genau das habe ich ja gesagt. Ich kann nicht behaupten, dass ich begeistert bin, meine Jungs und Mädels auf eine von Syndiks bevölkerte Welt zu schicken. Wir haben nicht einmal genug Bodentruppen, um ein angemessen großes Gelände zu sichern. Aber der ganze Planet hängt vom guten Benehmen der Syndiks ab, und für uns gibt es keine Alternative.«
»Wir müssen die Marines runterschicken?«, fragte Geary.
Captain Desjani nickte. »Nach ein paar Zwischenfällen recht früh in diesem Krieg kamen wir zu dem Schluss, dass die Syndiks einen Teil ihrer Gefangenen zurückhalten, vor allem diejenigen, die aus ihrer Sicht besonders wertvoll sind. Um sicherzugehen, dass wir niemanden zurückgelassen haben, müssen wir selbst auf die Aufzeichnungen der Lagerleitung zugreifen, um von der Anzahl der Personen bis hin zu den Lebensmittelrationen alles zu überprüfen, damit wir Gewissheit haben, dass ihre Angaben zu unseren Zahlen passen.«
»Einverstanden.« Das ergab natürlich einen Sinn, auch wenn es Geary nicht gefiel, dass sie sich dem fünften Planeten weit genug nähern und langsamer werden mussten, damit sie mit Shuttles die Gefangenen herausholen konnten. »Ich nehme an, den Syndik-Shuttles können wir nicht über den Weg trauen, also müssen wir uns auf unsere eigenen verlassen.« Diesmal nickten alle zustimmend. »Jeder von Ihnen, der Shuttles an Bord hat, soll sie einsatzbereit machen. Ich werde Co-Präsidentin Rione bitten, den Syndiks unser Ultimatum hinsichtlich der Gefangenen zu übermitteln.«
Numos warf ihm einen fassungslosen Blick zu. »Warum sollte sie einbezogen werden?«
»Weil sie unsere fähigste Unterhändlerin ist«, antwortete Geary ohne Umschweife. Er wusste nicht, warum Numos auf einmal so gegen Rione eingestellt war.
»Riones Lapsus bei Corvus hätte uns fast die Titan gekostet!«
Geary fühlte, wie Wut in ihm aufstieg. Der Syndik-Verrat bei Corvus, als sie Handelsschiffe losschickten, um die Flotte angeblich mit Vorräten zu versorgen, war weder Rione noch sonst jemandem anzukreiden. Numos musste das doch klar sein. »Diese Einschätzung kann ich nicht teilen.«
»Natürlich nicht. Da Co-Präsidentin Rione sehr viel Zeit allein mit Ihnen in Ihrer Kabine verbringt, glauben Sie ganz sicher, dass …«
Geary brachte ihn zum Schweigen, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug. Aus dem Augenwinkel bemerkte er die entrüsteten Mienen jener Befehlshaber, denen die Schiffe der Rift-Föderation und der Callas-Republik unterstanden. »Captain Numos, Sie vergreifen sich im Ton!«, zischte er ihm bedrohlich zu.
Captain Faresa kam ihm mit ihrer typischen von sich überzeugten Art zu Hilfe. »Captain Numos spricht nur aus, was jeder …«
»Captain Faresa!«, schnitt Geary ihr das Wort ab. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich den Tag erlebe, an dem Offiziere der Allianz sich wie Klatschweiber aufführen. Sie und Captain Numos müssen sich offenbar noch einmal gründlich mit den Vorschriften befassen, wie sich Offiziere persönlich und dienstlich zu verhalten haben.« Faresa wurde kreidebleich, Numos bekam einen noch röteren Kopf, aber beide sahen sie Geary mit dem gleichen hasserfüllten Blick an. »Co-Präsidentin Rione von der Callas-Republik ist Senatsmitglied der Allianz. Sie wird mit dem Respekt behandelt, den ihre Position mit sich bringt. Wenn Sie nicht in der Lage sind, diesen Respekt aufzubringen, dann ist es Ihre Pflicht, den Dienst in der Flotte zu quittieren. Ich werde keine Beleidigungen oder Unterstellungen dulden, die gegen einen Offizier oder gegen einen Vertreter der Allianz-Regierung in dieser Flotte gerichtet werden. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Geary atmete tief durch und ließ seinen Blick über den Tisch schweifen, ohne zu wissen, wie seine Worte bei den versammelten Offizieren angekommen waren. Captain Tulev blickte finster drein, machte jedoch eine zustimmende Kopfbewegung. »Es gab zu viel Tratsch und zu viele Gerüchte. Es sind zu viele Beleidigungen ausgesprochen worden, die die Kommandoebene betreffen«, fügte er mit einem Blick in Numos Richtung an. »Gerüchte, die manche Schiffskommandanten dazu veranlasst haben, an der alten Tradition festzuhalten und den Feind ohne Rücksicht auf eigene Verluste zu verfolgen — und das mit den Konsequenzen, die wir heute erlebt haben.«
Alle dachten sie dabei zwangsläufig darüber nach, was diese vier Captains wohl angetrieben haben musste, die Syndik-Kriegsschiffe zu verfolgen. Captain Numos schluckte, sein Mund bewegte sich, dann sprach er endlich aus, was er erwidern wollte. »Ich hatte damit nichts zu tun. Wenn Sie mir unterstellen wollen …«
»Er unterstellt Ihnen überhaupt nichts!«, fiel Geary ihm aufbrausend ins Wort. »Er macht uns nur darauf aufmerksam, welche Konsequenzen es nach sich ziehen kann, wenn Befehlshaber dazu angespornt werden, sich über Befehle hinwegzusetzen. Mir sind die Gerüchte bekannt, von denen Captain Tulev spricht, und ich kann Ihnen versichern, wenn ich herausfinde, dass jemand die befehlshabenden Offiziere der Anelace, Baselard, Mace, Cuirass« — er sprach die Schiffsnamen bewusst langsam aus, damit jeder noch einmal an sie erinnert wurde — »dazu angestachelt hat, sich so zu verhalten, dann werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass derjenige sich wünscht, er wäre mit diesen Besatzungen einen ehrenvollen Tod gestorben.« Während er sich dem Ende dieser Ausführungen näherte, ließ Geary seinen Blick auf Numos ruhen, der noch mehr errötete, bis er aussah, als sei er durch Strahlung verbrannt worden. Doch davon abgesehen saß Numos schweigend da, da er offenbar begriffen hatte, dass Geary nicht in der Laune war, sich noch weiter reizen zu lassen.
»Also«, fuhr Geary dann deutlich ruhiger fort. »Bei unserer gegenwärtigen Geschwindigkeit erreichen wir den fünften Planeten in etwa vierzig Stunden. Sorgen Sie dafür, dass alle Shuttles bis dahin einsatzbereit sind. Ich habe hier einen Plan für die Verteilung des Allianz-Personals auf unsere Schiffe, sobald wir die Leute da unten rausgeholt haben.« Es war lachhaft einfach gewesen, da er nur den intelligenten Assistenten in seinem System hatte aufrufen und fragen müssen, wie man fünftausend zusätzliche Menschen auf die Schiffe dieser Flotte aufteilte. Da es sich um eine simple, aber ermüdende Rechenaufgabe handelte, bei der Kapazitäten, Crewstärke und Lebenserhaltungssysteme miteinander verglichen werden mussten, hatte der Computer das innerhalb weniger Augenblicke erledigt. Für solche Arbeiten hatten Flottenkommandeure früher ihren Stab, aber die automatisierten Systeme wickelten heutzutage viele Verwaltungs- und Kommandotätigkeiten ab, mit denen sich ein Großteil des Personals einsparen ließ. Dabei spielte aber noch eine andere Tatsache eine Rolle: Der anscheinend unendliche Krieg hatte so viele Opfer gefordert, dass die Reihen der alten Stäbe geplündert werden mussten, damit es nicht zu einem Defizit an Offizieren kam.