»Es ist nichts Unrechtes.«
»Versuchst du, mich davon zu überzeugen, John? Während ich mit dir im Bett liege? Das kommt aber ein bisschen spät.«
»Ich versuche, ernsthaft mit dir zu reden. Hör zu, da ist eine Sache, die mir Sorgen macht. Es gibt da etwas, auf das ich mich bei dir in der Vergangenheit immer verlassen konnte, und ich möchte, dass das so bleibt.«
»Was soll das sein?«
»Ich möchte, dass du meinen Plänen weiter mit Skepsis begegnest. Du musst skeptisch und fordernd sein, du musst mich hinterfragen. Du bist die Einzige in der Flotte, die in der Lage ist, meine Pläne wie eine Außenstehende zu betrachten. Das brauche ich auch weiterhin von dir.«
»Du willst, dass ich fordernd bleibe?«, fragte sie. »Das ist für einen Mann etwas ungewöhnlich, aber ich werde gern versuchen, weiter so fordernd zu sein.«
»Ich meine es ernst, Victoria«, beharrte er.
»Victoria wird dir da wohl nicht helfen können, aber Co-Präsidentin Rione hat die Absicht, dich auch weiterhin mit Sorge und Skepsis zu beobachten. Beruhigt dich das?«
»Ja, das tut es.«
»Gut, dann möchte ich mich wieder schlafen legen. Gute Nacht.« Sie drehte sich um und bot ihm den atemberaubenden Anblick ihres nackten Rückens, ohne dass es ihr bewusst zu sein schien.
Es kostete ihn große Mühe, den Blick abzuwenden, dann starrte er eine Weile die Decke an. Dann wird sie also der ganzen Galaxis erzählen, dass sie mit mir schläft. Aber sie hat recht damit, dass wir es den anderen sagen müssen. Wenn Gerüchte die Runde machen, ich würde mit irgendeiner anderen Frau schlafen, könnte das große Probleme nach sich ziehen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass die ganze Flotte es erfährt, weil ich mir nicht sicher bin, wie ich eigentlich zu ihr stehe. Fühle ich mich nur zu ihr hingezogen, weil ich eine starke Frau an meiner Seite brauche? Oder ist es nur etwas Körperliches, und ich rede mir bloß ein, dass sie mir wichtig ist? Nein, das kann ich selbst nicht glauben. Sie ist eine fantastische Frau, und mir gefällt eine Menge an ihr. Aber wenn wir keinen Sex haben, gibt sie sich nicht sehr warm und anschmiegsam. Sie hält immer etwas zurück. Nein, das ist eine blanke Untertreibung. Sie hält eine Menge zurück. Wenn wir es bis nach Hause geschafft haben, könnte Victoria Rione zu dem Entschluss kommen, dass ich langweilig geworden bin, und dann wendet sie sich von mir ab. Oder sie beschließt, Black Jack zu stoppen. Oder aber ich bin ihr völlig egal, und sie bleibt nur an meiner Seite, weil sie von meinem Status profitieren kann.
Oder aber ich bin ihr wirklich wichtig.
Sieh’s doch ein, Geary. Du hast keine Ahnung, was ihr beide füreinander empfinden werdet, wenn ihr zurück im Allianz-Gebiet seid — ob ihr zusammen nach Kosatka reisen werdet, um zu heiraten, oder ob ihr euch die Hand reicht und dann für den Rest eures Lebens getrennte Wege gehen werdet.
Ich glaube, damit kann ich mich befassen, wenn wir an diesem Punkt angekommen sind. Falls wir je dort ankommen.
Die bislang über das Sancere-System zusammengetragenen Daten waren rein mengenmäßig überwältigend, sie halfen aber in Bezug auf die wichtigsten Punkte nicht weiter. Die Marines hatten von verlassenen Syndik-Terminals so viele Dateien heruntergeladen, wie es nur ging, aber bislang hatte keine von ihnen brauchbare Informationen liefern können. Mehrere Rettungskapseln von den zerstörten Schiffen der Syndik-Streitmacht Bravo waren geborgen worden, doch die an Bord befindlichen Matrosen konnten nur berichten, dass sie an einer Schlacht bei Scylla in der Nähe der Grenze zur Allianz beteiligt gewesen waren. Ein Syndik-Offizier hätte mehr erzählen können, jedoch waren die Rettungskapseln mit den Offizieren an Bord durch die Energieentladung des kollabierenden Portals vernichtet worden. Die Schlacht bei Scylla musste in einem blutigen Patt geendet haben, nach dem sich beide Seiten zurückgezogen hatten. Die kleinen Einrichtungen, die sich nach Gearys Erinnerung vor hundert Jahren bei Scylla befunden hatten, waren vor langer Zeit zerstört oder aufgegeben worden, als beide Seiten unablässig um ein ansonsten völlig nutzloses Sternensystem kämpften.
Sie haben wie verrückt aufeinander eingeprügelt und dann den Kontakt abgebrochen. Es war keine große Schlacht, denn was wir in Sancere eintreffen sahen, war in etwa die gesamte Syndik-Flotte. Und die Allianz war ungefähr gleich groß. Aber daraus kann ich keine Rückschlüsse ziehen. Ich weiß nicht, was sich anderswo an der Front abspielt.
Frustriert durchsuchte Geary die Komm-Verbindungen zum Geheimdienst der Dauntless. »Hier ist Captain Geary. Ich möchte persönlich mit dem ranghöchsten oder dienstältesten Syndik-Matrosen reden, den wir aufgelesen haben. Ist das jetzt möglich?«
Die Antwort brauchte einen Moment. »Ich muss nachsehen …« Die Stimme brach ab, dann hörte Geary im Hintergrund jemanden aufgebracht brüllen. »Ähm, jawohl, Sir!
Sofort, Sir! Möchten Sie einen virtuellen Kontakt oder ein tatsächliches Gespräch?«
»Ein tatsächliches Gespräch.« Geary war bis heute nicht den Verdacht losgeworden, das diese Software für die virtuellen Besprechungen nicht jede Bewegung und Nuance völlig exakt übertrug. Aus seiner Erfahrung wusste er, dass Software dazu neigte, die Dinge glattzubügeln, die nicht in ihre Parameter passten, obwohl Menschen oftmals gerade durch kleine, oftmals scheinbar widersprüchliche Verhaltensweisen wichtige Sachen verrieten. Was die Software für eine Anomalie hielt und wegließ, konnte das Wichtigste sein, was eine Person von sich zu erkennen gab.
Die Geheimdienst-Abteilung befand sich hinter beeindruckenden Sicherheitsschleusen. Ein etwas nervöser Lieutenant wartete davor und führte Geary eilig durch den Hochsicherheitsbereich. Aus einem unerfindlichen Grund kam es ihm dort immer so vor, als müsse alles ganz leise zugehen, auch wenn es auf den ersten Blick so aussah wie in jeder beliebigen anderen Abteilung, nur dass hier noch ein paar Ausrüstungsgegenstände und Geräte mehr auf den Tischen und in der einen oder anderen Ecke standen. Einer alten Tradition folgend war die Geheimdienst-Abteilung eine in sich geschlossene Welt, die zwar ein Teil des Schiffs darstellte, sich aber dennoch ganz von der restlichen Crew fernhielt. Diese enger gestrickte Umgebung, in der die Abteilungsmitglieder arbeiteten, wurde durch einen lockereren Umgang ausgeglichen.
Auf einem der Schreibtische stand sogar eine Grünpflanze, eine kleine, echte Grünpflanze. Geary warf dem Lieutenant einen fragenden Blick zu, der noch etwas nervöser antwortete: »Das ist Audrey, Sir.«
Natürlich. Wenn es auf einem Raumschiff eine Grünpflanze gab, dann hieß sie üblicherweise Audrey. Der Grund dafür — sofern es überhaupt einen Grund gab — hatte sich im Nebel der Vergangenheit verloren, dennoch freute sich Geary, dass es etwas gab, das sich seit seiner Zeit bis heute nicht geändert hatte. Geary lächelte aufmunternd und folgte dem Lieutenant zum Verhörraum.
Der Verhörraum folgte einem Design, das äußerlich seit Jahrhunderten keine Veränderung erfahren hatte. Geary sah durch eine von der anderen Seite verspiegelte Scheibe in den Raum, wo eine offenbar nicht gefesselte Syndik-Unteroffizierin auf einem Stuhl saß. Sie wirkte benommen und verängstigt, aber sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen. »Wenn sie einen Schritt auf Sie zumacht, schicken wir sie mit einer Betäubungsladung zu Boden«, versicherte der Lieutenant ihm.
»Sie scheint mir nicht der Typ zu sein, der in Selbstmordabsicht auf einen anderen losstürmt«, meinte Geary und sah sich dann die Anzeigen der Instrumente gleich vor ihm an. »Spielen die alle eine Rolle bei Ihren Verhören?« Er war schon einmal hier unten gewesen, aber da hatten sich keine Gefangenen im Raum befunden.
»Ja, Sir.« Der Lieutenant deutete auf die Geräte. »Wir können während der Befragung die Hirnaktivität scannen und dadurch feststellen, wann der Befragte uns etwas vormacht.«