Geary musterte die Syndik-Matrosin und überlegte, dass er unter leicht veränderten Umständen jetzt an ihrer Stelle sein könnte. Allerdings schon vor hundert Jahren, wenn die Syndiks nach dem Gefecht seine Rettungskapsel an Bord geholt hätten. Oder vor ein paar Monaten, wenn diese Flotte nicht aus dem Heimatsystem der Syndiks entkommen wäre. »Also gut, meine Befehle lauten wie folgt: Es ergibt keinen Sinn, wenn wir gefangene Syndiks mitnehmen, die für uns keinen Wert haben und die wir nur durchfüttern und bewachen müssen. Ich glaube, Sie haben da einen sehr guten Vorschlag gemacht. Wir können diese Gefangenen tatsächlich für unsere Zwecke nutzen. Sorgen Sie dafür, dass auch die anderen Gefangenen erfahren, wer diese Flotte befehligt. Ich werde jeden persönlich aufsuchen, der Ihnen nicht glaubt. Dann verfrachten Sie sie zurück in ihre Rettungskapseln, damit sie auf einer der Welten in diesem System landen können.«
Der Lieutenant grinste. »Jawohl, Sir. Die werden völlig erstaunt sein.«
»Mir gefällt es, die Syndiks in Erstaunen zu versetzen«, meinte Geary ironisch. »Ihnen nicht auch?« Das Grinsen des Lieutenants wurde noch breiter. »Stellen Sie sicher, dass die Lebenserhaltungssysteme der Kapseln arbeiten und dass sie auch genug Treibstoff haben, um es bis zu einem der Planeten zu schaffen. Überprüfen Sie auch die anderen Systeme. Nicht, dass die Energie des Portals irgendetwas beschädigt hat.« Das waren Details, auf die man die Leute vom Geheimdienst hinweisen musste, weil sie von sich aus nicht darauf achteten. »Verstanden?«
»Ja, Sir.« Der Lieutenant zögerte. »Es könnte sein, dass das nicht funktioniert, Sir. Und dass sie nicht dankbar für ihre Freilassung sind. Möglicherweise werden wir irgendwann wieder gegen sie kämpfen.«
»Mag sein, muss aber nicht. Und ein paar Matrosen mehr oder weniger werden nicht über den Erfolg oder Misserfolg in diesem Krieg entscheiden.«
»Das ist wahr, Sir.«
»Da wäre noch etwas«, fügte Geary an. »Ich konnte Ihnen anmerken, dass Sie nicht so recht wussten, ob Sie mir diesen Vorschlag unterbreiten sollten oder nicht. Künftig möchte ich informiert werden, wenn die Geheimdienstabteilung irgendwelche Vorschläge hat. Wenn ich sie nicht aufgreifen möchte, kann ich das immer noch entscheiden, nachdem ich sie gehört habe.«
»Jawohl, Sir.«
»Und man kann nie wissen, Lieutenant. Es kann sein, dass diese Matrosen das Gerücht verbreiten, wir seien Dämonen. Aber wir haben sie gut behandelt, und wenn genug Syndiks erfahren, dass wir keine Dämonen sind, dann hilft das auch schon weiter.« Er verließ die Abteilung und dachte darüber nach, dass sie Sancere in wenigen Tagen verlassen konnten. Gut eine Milliarde Syndik-Bürger würden dann zu den Sternen sehen und erleichtert aufatmen. Aber sie würden auch besorgt sein, dass die Allianz-Flotte vielleicht eines Tages zurückkehren könnte. Ihre Führer würden ihnen natürlich versichern, das sei nicht möglich. Aber dann hätte es auch nicht möglich sein können, dass sie überhaupt hergekommen war. Auf die eine oder andere Art hatte diese Flotte den Syndiks einiges zu grübeln mit auf den Weg gegeben.
Natürlich war da draußen immer noch die Syndik-Streitmacht Alpha unterwegs, und Geary war sich sicher, dass sie früher oder später doch noch irgendetwas unternehmen würde. Sie konnte die Allianz-Flotte nicht ohne irgendeine Art von Attacke davonkommen lassen, falls der CEO nicht um einen Kopf kürzer gemacht werden wollte.
Neun
»Syndik-Streitmacht Alpha setzt sich in Bewegung.« Die Warnung des Wachhabenden der Dauntless ertönte fast gleichzeitig mit einer Alarmmeldung der Allianz-Formation Echo, die gegenwärtig den Befehl hatte, jeden Angriffsversuch vonseiten der Syndiks zu unterbinden.
Geary rieb sich das Kinn und betrachtete die Bilder, die auf sein Display übertragen wurden. Die Syndik-Flotte war nunmehr seit Tagen am äußersten Rand des Systems umhergezogen, um von dort zu beobachten, wie die Allianz-Flotte systematisch alle Vorräte plünderte und Schäden an den eigenen Schiffen reparierte. Nun endlich beschleunigten die Syndiks und nahmen Kurs auf das innere System. »Noch lässt sich nicht sagen, wohin sie wollen.«
»Stimmt, Sir«, bestätigte Captain Desjani.
»Aber auch nach den Verlusten, die die Eingreiftruppe Furious ihnen zugefügt hat, verfügen sie immer noch über acht Schlachtschiffe und vier Schlachtkreuzer.« Geary überprüfte die Angaben auf seinem Display. Die beiden von der Eingreiftruppe beschossenen Schlachtkreuzer hatten an den letzten zwei Tagen das System durch verschiedene Sprungpunkte verlassen. Zweifellos wollten sie die Syndik-Führung über das Auftauchen der Allianz-Flotte informieren und Verstärkung anfordern. Auch einer der Jäger hatte sich aus dem Pulk gelöst und steuerte ein drittes Ziel an. Gut eine Woche im Transit war erforderlich, ehe diese Schiffe ihre Ziele erreichten. Dazu kam die Zeit, um weitere Kriegsschiffe zu versammeln, und dann noch einmal eine Woche für den Rückflug. Es gab keinen Zweifel daran, dass weitere Syndiks herkommen würden, aber bis dahin wollte Geary mit seiner Flotte längst weitergeflogen sein. »Dazu acht Schwere Kreuzer und fünf Jäger. Damit sind sie jeder unserer Unterformationen überlegen, auch wenn sie nicht über genügend Eskortschiffe verfügen.«
Er ließ sich die Situation durch den Kopf gehen. Die Syndiks waren gut dreieinhalb Lichtstunden vom Stern Sancere selbst entfernt, als sie sich auf den Weg ins System machten. Die Allianz-Formation Echo befand sich hinter dem Orbit der fünften Welt und damit nur dreißig Lichtminuten von der Sonne. Die Syndiks hatten bereits drei Stunden lang beschleunigen und ins System fliegen können, bevor sie einem der Allianz-Schiffe aufgefallen waren. Drei Stunden Zeitverzögerung ließen sehr viel Spielraum für Veränderungen, von denen man jetzt noch nichts sehen konnte.
Aber selbst wenn die Syndiks bis auf 0,2 Licht beschleunigten, würden sie immer noch mindestens fünfzehn Stunden benötigen, allein um die Region zu erreichen, in der sich Formation Echo derzeit aufhielt. Sollte eine der anderen Formationen ihr Ziel sein, dann betrug diese Zeitspanne zwischen zwanzig Stunden und einem vollen Tag. So schnell würde also nichts passieren; aber wenn es passierte, dann würde es schnell gehen.
Nichts überstürzen, aber auch nichts auf die lange Bank schieben. Soll ich das Einsammeln von Vorräten und Rohstoffen unterbrechen, um mich der Streitmacht Alpha zu stellen? Aber selbst wenn, was wird die Syndiks dann davon abhalten, mit 0,2 Licht oder noch schneller durch das System zu rasen? Wie lange können sie das durchhalten und mir die Gelegenheit nehmen, den Kampf mit ihnen aufzunehmen, weil sie meine Leute sonst nur weiter daran hindern, alles Brauchbare an Bord unserer Schiffe zu bringen? Es wäre natürlich die intelligenteste Lösung, weil sie uns so unablässig beschäftigen würden! Ein Glück, dass ihnen so etwas nicht schon früher eingefallen ist. »Captain Desjani. Angenommen, die Syndiks planen einen Angriff auf eine kleinere Formation, werden uns aber unentwegt aus dem Weg gehen, sobald sie mit einer überlegenen Streitmacht konfrontiert werden. Was würden Sie empfehlen?«
Sie dachte über die Frage nach und studierte dabei ihr Display. »Wir könnten versuchen, ihnen Minen in den Weg zu legen. Aber angesichts der Geschwindigkeit, die nötig wäre, um auf Abfangkurs zu gehen, sind die Chancen sehr gering, dass wir dort ein brauchbares Minenfeld ausgelegt bekommen.«
»Was wäre mit einem Gefecht bei hoher Geschwindigkeit? Könnten wir ihnen auf diese Weise schwere Schäden zufügen?«
Desjani verzog den Mund. »Wenn die mit 0,2 Licht fliegen und wir uns ihnen schnell nähern? Die kombinierte Geschwindigkeit würde dann bei 0,25 oder sogar 0,3 Licht liegen. Die relativistische Störung wäre dann ganz erheblich, und selbst der winzigste Fehler beim Kompensieren hätte einen glatten Fehlschuss zur Folge.«