»Ehrlich gesagt weiß ich das nicht.«
»Nicht, dass Sie mich um meine Meinung gefragt hätten, trotzdem muss ich sagen, ich persönlich würde mit der Zuneigung einer Frau wie Co-Präsidentin Rione nicht spielen. Ihrem Zorn möchte ich lieber nicht ausgesetzt sein.«
Wieder lächelte Geary. »Ich bin mir ziemlich sicher, so weit wird es nicht kommen.«
Duellos betrachtete seine Hand. »Andererseits darf man nicht übersehen, dass die Frau an der Seite von Black Jack Geary bei der Rückkehr ins Gebiet der Allianz für eine Politikerin eine beneidenswerte Position einnimmt.«
»Das stimmt«, entgegnete er und achtete auf einen neutralen Tonfall.
Der Captain sah Geary eindringlich an. »Sie reiten auf einem Tiger, das wissen Sie ja.«
»Das weiß ich.« Ihm war dieses Sprichwort bereits selbst in den Sinn gekommen sowie der Gedanke, dass nichts dagegen einzuwenden war, auf einem Tiger zu reiten. Das Problem war nur, dass der Tiger einen hinführte, wohin er wollte, und man nicht wagen konnte abzusteigen, weil der Tiger sich sonst gegen einen wenden könnte. Sie ist mächtig und gefährlich. Ich frage mich, ob es diese Eigenschaften sind, die mich zu Victoria Rione hingezogen haben.
Gearys Gedanken kreisten noch immer um diese Frage, als er in seine Kabine zurückkehrte und dort auf Victoria Rione traf. »Ist die Konferenz gut verlaufen?«
»Haben deine Spione dir noch nicht Bericht erstattet?«, gab er zurück.
Diese Frage schien ihr nichts auszumachen. »Nicht alle. Es ist für sie recht unpraktisch, wenn du Flottenkonferenzen auf den Abend legst.« Sie deutete auf das Sternendisplay über dem Tisch. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Er setzte sich, den Blick auf die dargestellten Sterne gerichtet. Üblicherweise konnte er eine beliebige Region anhand markanter Sterne, Nebel oder anderer Merkmale erkennen, doch jetzt wollte ihm das nicht gelingen. Hier gab es nichts, was eine Erinnerung weckte. »Wo soll das sein?«
»Das ist die andere Seite der Syndikatwelten. Wundere dich nicht, wenn du das nicht erkennst. Niemand aus der Allianz ist je dort gewesen, außer vielleicht als Gefangener auf dem Weg zu einem Arbeitslager.« Riones Finger tänzelten über die Tastatur, um die Darstellung zu drehen. »Ich habe mich mit den Aufzeichnungen der Syndiks beschäftigt, die wir bei Sancere in unseren Besitz gebracht hatten. Das ist die aktuellste Version der Daten über die abgewandte Seite der Syndik-Welten. Fällt dir etwas auf?«
Er sah zu, wie die Sterne langsam ihre Position veränderten. Unerforschte oder nicht besiedelte Sternensysteme waren stets unübersichtlich, weil sich die Anordnung der Sterne im Kosmos nicht an die klar strukturierten Linien hielt, die von Menschen bevorzugt wurden. Etwas an diesem Bild sprach ihn an, doch er konnte nicht erkennen, was es war. »Was soll ich da sehen?«
»Vielleicht hilft es, wenn ich die Sternensysteme markiere, die innerhalb der letzten hundert Jahre verlassen wurden«, schlug Rione vor. »Und mit verlassen meine ich nicht, dass man sie allmählich hat verkümmern lassen, sondern dass sämtliche Anwesenheit aus ihnen abgezogen wurde.« Sie betätigte eine andere Taste, und verschiedene Sterne leuchteten heller auf.
Dann wurde Geary auf etwas aufmerksam. »Das sieht nach einer regelrechten Grenze aus«, stellte er fest.
»Genau«, stimmte Rione ihm zu. »Danach sollte es aber nicht aussehen, weil es nichts gibt, was von der anderen Seite an die Syndikatwelten angrenzt. Es gibt keinen Abschnitt, der besonders reiche Systeme jenseits dieser Grenze einschließt, und es existieren auch keine Lücken, weil sich dort ärmere Sterne befinden, die man unbesiedelt belassen hat.«
»So wie die Grenze zwischen den Syndikatwelten und der Allianz.« Geary beugte sich vor und betrachtete die Region genauer. »Das ist ja interessant.« Er zeigte auf das verlassene Sternensystem, das Rione markiert hatte. »Hier wäre diese ›Grenze‹ durchdrungen worden, die gar nicht dort sein sollte.«
»Ich musste an die Pufferzone denken, die die Marines in dieser Orbitalstadt schaffen sollten«, merkte Rione an. »Ein Gebiet, das niemand betreten soll, weil es die Syndikatwelten von jemandem oder etwas trennt. Aber von wem oder was? Pass auf: Ich werde jetzt eine Darstellung des Syndik-Hypernets darüberlegen.« Verschiedene Sterne leuchteten in einer anderen Farbe auf und bildeten ein komplexes Geflecht. »Was siehst du jetzt?«
Er stutzte sekundenlang, dann fragte er: »Bist du dir da wirklich ganz sicher?«
»Absolut sicher.«
Geary starrte die Darstellung an. Ihm war immer wieder gesagt worden, die Hypernet-Portale seien in den Systemen eingerichtet worden, die reich an Vorkommen oder außergewöhnlich genug waren, um die Kosten zu rechtfertigen. Systeme, in die die Leute reisen wollten. Sterne, deren Ressourcen und Bevölkerung genügend Wohlstand hervorbrachten, um die Portale rentabel zu machen. Aber das Hypernet diente auch militärischen Zwecken, um Streitkräfte schnell dorthin zu verlegen, wo sie gebraucht wurden. Ein armer Stern, der dennoch strategisch wichtig gelegen war, konnte allein aus diesem Grund ein Portal zugeteilt bekommen. Auf der abgelegenen Seite der Syndikatwelten gab es etliche dieser armen Sterne. »Etwas scheint ihnen Sorgen zu bereiten, nicht wahr?«
Rione nickte. »Aber wenn deine Überlegung zutrifft, dann haben diejenigen, die der Menschheit Zugang zur Hypernet-Technologie verschafften, den Syndik-Welten in Wahrheit ein Mittel an die Hand gegeben, um Bomben mit der Vernichtungskraft einer Nova in jedem System zu bauen, das dieser uns unbekannten Bedrohung zugewandt ist. Es sieht aus wie ein Schutzwall, aber tatsächlich handelt es sich um ein Minenfeld von unvorstellbaren Ausmaßen, das gegen die Leute gerichtet ist, die glauben, sie würden sich damit schützen.«
»Es ist mehr als nur das«, erwiderte Geary. »Ich sprach mit Commander … ach, verdammt, mit Captain Cresida darüber, was mit Schiffen passiert, die im Hypernet zu einem Portal unterwegs sind, wenn das Portal aufhört zu existieren. Es könnte sein, dass die Schiffe zerstört werden oder aber irgendwo im interstellaren Raum landen, wo sie Jahrzehnte benötigen, um den nächsten Stern zu erreichen. Wenn die Syndiks versuchen, Verstärkung in diese Gebiete zu schicken, dann werden die Entladungen dieser Portale zum einen absolut alles in der Region auslöschen, und zum anderen werden die Kriegsschiffe entweder zerstört oder auf Jahre hinaus als Bedrohung ausgeschaltet.«
»Womit die militärischen Fähigkeiten der Syndikatwelten zu einem großen Teil eliminiert würden. Damit wäre jegliche Form von Vergeltungsschlag im Keim erstickt.«
»Richtig.« Geary versuchte sich das mögliche Ausmaß der Zerstörung vorzustellen, das die Hypernet-Portale verursachen würden, doch es wollte ihm nicht gelingen, da es alle Dimensionen überstieg. »Wie halten die das unter Verschluss, Victoria? Wie können selbst die Syndiks verhindern, dass dieses Wissen Verbreitung findet?«
»Das ist eine Gesellschaft, die jeden Informationsfluss ohnehin streng überwacht«, machte sie ihm klar. »Dazu kommt der Krieg, der es rechtfertigt, die Leute zum Schweigen zu verdonnern, und nicht zu vergessen, die immense Fülle an verfügbaren Informationen. Da ist es ein Leichtes, wichtige Fakten in Bergen von unnützem Wissen zu verstecken. Wir haben von den verlassenen Einrichtungen bei Sancere ungeheure Datenmengen heruntergeladen, von denen ich mir nur einen winzigen Bruchteil oberflächlich angesehen habe. Ich werde weitersuchen, aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich nicht davon ausgehe, irgendeine Information zu finden, die das hier bestätigt. Die Aufzeichnungen, die wir sammeln konnten, bewegen sich alle auf den untersten Geheimhaltungsstufen. Alles, was nichtmenschliche Intelligenzen und erst recht eine von ihnen ausgehende Bedrohung angeht, wäre streng geheim.«