Übelkeit erfasste ihn bei dem Gedanken, denn er wusste, dass Rione vollkommen recht hatte. »Es tut mir leid. Ich hatte nicht vorgehabt, dir so etwas aufzuhalsen.«
»Dir blieb kaum eine andere Wahl, und du hast gute Absichten verfolgt.« Sie seufzte. »Ich kann nicht erwarten, dass ein einzelner Mann alle Last dieser Flotte auf sich nimmt.«
»Ich habe dich nicht mal gefragt, ob du diese Last überhaupt mit mir teilen willst.«
»Na ja, du bist ein Mann, nicht wahr?« Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist ja gut ausgegangen.«
»Ist es das?«
Sie legte den Kopf schräg und musterte Geary. »Was macht dir zu schaffen? Wenn ich mich nicht irre, bezog sich deine Bemerkung nicht auf Syndiks, Außerirdische oder Killerroboter.«
Er erwiderte ihren Blick. »Es geht um dich und mich. Ich versuche zu verstehen, was zwischen uns läuft.«
»Guter Sex, gegenseitiger Trost, Gesellschaft. Erwartest du noch etwas anderes von unserer Beziehung?«
»Du denn?«
»Ich weiß nicht.« Rione dachte länger über die Frage nach, dann schüttelte sie den Kopf und wiederholte: »Ich weiß nicht.«
»Dann liebst du mich also nicht.«
Da war wieder dieser kühle, belustigte Gesichtsausdruck. »Soweit ich weiß, nein. Bist du enttäuscht?« Gearys Miene oder Körpersprache mussten ihn verraten haben, da Rione plötzlich ernst wurde. »John, es gab in meinem Leben einen Mann, den ich geliebt habe. Das habe ich dir gesagt. Er ist tot, aber das ändert nichts an meiner Liebe zu ihm. Seitdem habe ich mich ganz der Allianz verschrieben und versuche, den Menschen zu dienen, für die mein Mann sein Leben gab. Was noch übrig ist, gehört momentan dir.«
Er musste leise lachen. »Dein Herz bekomme ich nicht, deine Seele gehört der Allianz. Was bleibt dann noch für mich übrig?«
»Mein Verstand, und das ist nicht gerade wenig.«
Er nickte. »Nein, allerdings nicht.«
»Kannst du mit diesem Teil von mir glücklich sein, wenn du weißt, dass der Rest anderen vorbehalten ist?«, fragte sie ruhig.
»Ich weiß nicht.«
»Du bist einfach zu ehrlich, John«, seufzte sie. »Aber ich bin ganz genauso. Vielleicht sollten wir uns gegenseitig belügen.«
»Ich glaube, das würde nicht funktionieren«, konterte er ironisch und musste sich unwillkürlich fragen, ob sie das alles wirklich ehrlich meinte. Oder verfolgte sie heimlich eine andere Absicht, von der er nichts wusste? In vieler Hinsicht erschien ihm Victoria Riones Verstand genauso fremd wie die entlegene Grenze der Syndikatwelten.
»Nein, da hast du wohl recht.« Sie sah an ihm vorbei. »Würde denn Ehrlichkeit funktionieren?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Das wird die Zeit schon zeigen.« Sie betätigte eine Taste und schaltete die Darstellung ab. Dann stand sie auf und betrachtete ihn mit einer Miene, die er einfach nicht deuten konnte. »Ich vergaß, dass dir noch ein anderer Teil von mir zur Verfügung steht. Mein Körper. Du hast nicht gefragt, trotzdem sage ich es dir. Den habe ich seit dem Tod meines Mannes niemandem angeboten.«
Er konnte nicht die mindeste Spur von Unsicherheit bei ihr entdecken, und er würde den Teufel tun, diese Aussage anzuzweifeln. »Ich verstehe dich wirklich nicht, Victoria.«
»Ist das der Grund, warum du emotional Abstand wahrst?«
»Möglicherweise.«
»Das ist vielleicht auch besser so.«
»Du bist auch nicht gerade offen zu mir«, machte Geary klar.
»Das stimmt. Ich habe dir nichts versprochen, und du solltest mir auch nichts versprechen. Wir sind beide Veteranen, was das Leben angeht, John. Wir haben Narben von den Verlusten davongetragen, weil uns die Menschen etwas bedeuteten. Irgendwann solltest du mir von ihr erzählen.«
»Ihr?« Er wusste genau, was Rione meinte, aber er wollte es nicht zugeben.
»Wer immer sie auch war. Die eine, die du zurückgelassen hast. Die eine, an die du manchmal denkst.«
Er senkte seinen Blick und verspürte eine Leere, die aus möglicherweise verpassten Chancen geboren war. »Das sollte ich wirklich. Irgendwann.«
»Du hast mir gesagt, du warst nicht verheiratet.«
»Das stimmt. Es ist etwas, das hätte passieren können, das aber nicht eingetreten ist. Der Grund ist mir noch immer nicht so ganz klar. Aber es blieb vieles unausgesprochen, was hätte ausgesprochen werden sollen.«
»Weißt du, was nach deinem mutmaßlichen Tod im All aus ihr geworden ist?«
Geary starrte ins Nichts, während er zurückdachte. »Etwas geschah vor meinem Gefecht. Ein Unfall. Ein dämlicher Unfall. Weil ihr Schiff weit weg war, erfuhr ich davon erst, als sie bereits drei Monate tot war. Ich hatte vorgehabt, mit ihr wieder Kontakt aufzunehmen und mich zu entschuldigen, weil ich so ein Idiot gewesen war.«
»Das tut mir sehr leid, John.« Die Traurigkeit war ihren Augen deutlich anzusehen. »Es fällt nicht leicht, Träume sterben zu lassen, auch wenn sie nur Träume geblieben sind.« Sie griff nach seiner Hand und zog ihn hoch, damit er vor ihr stand. »Wenn du dich bereit fühlst, kannst du mir mehr von ihr erzählen. Du hast noch nie mit irgendwem darüber gesprochen, oder? Das dachte ich mir. Offene Wunden können nicht verheilen, John.« Sie kam näher und küsste ihn zärtlich. »Das ist für eine Nacht genug Gesellschaft, und du hast für uns beide zusammen viel zu viel gedacht. Ich möchte jetzt lieber das genießen, was unsere Beziehung noch zu bieten hat.«
Ihr Körper fühlte sich in seinen Armen warm und lebendig an, und für eine Weile waren wenigstens die Sorgen der Gegenwart und die Erinnerungen an die Vergangenheit vergessen.
Die richtige Formation zu finden war das Dilemma. Die Allianz-Flotte befand sich ganz in der Nähe des Sprungpunkts, durch den eine Syndik-Streitmacht zum Vorschein kommen konnte. Das bedeutete, ihm blieb nur wenig Zeit, um seine Formation anzupassen, sodass er vermutlich seine Flotte so einsetzen musste, wie sie angeordnet war. Aber er würde die Formation der feindlichen Streitmacht erst zu sehen bekommen, sobald die hier eintraf.
Klar war ihm nur eines: Wenn die Syndiks einer kleinen, schwer in Mitleidenschaft gezogenen Allianz-Streitmacht dicht auf den Fersen waren, würden sie mit ihrem Angriff keine Zeit vergeuden. Es war fast mit Sicherheit davon auszugehen, dass schnelle leichte Einheiten den fliehenden Allianz-Schiffen nachstellen würden. Die ließen sich leicht aus dem Weg räumen, ganz gleich wie Gearys Formation aussah. Das Problem war aber, was danach kam. Schwere Kreuzer ließen sich auch noch schnell eliminieren, doch wenn die Syndiks den leichten Einheiten Schlachtschiffe folgen ließen, dann musste Geary sicherstellen, dass die nicht zu viele von seinen eigenen Schiffen mit sich rissen.
Im schlimmsten Fall bekamen sie es mit einer überlegenen Syndik-Streitmacht zu tun, und dann musste die Allianz schnell und energisch zuschlagen, um das Überraschungsmoment zu nutzen.
»Das könnte sehr unangenehm werden«, merkte Geary an, nachdem er mit Captain Duellos die möglichen Optionen durchgesprochen hatte. »Aber da wir uns in der Nähe des Sprungpunkts aufhalten, bedeutet es, dass die sich nicht verteilen können. Ich werde unsere Schiffe eine modifizierte Becher-Formation einnehmen lassen.« Auf dem Display zwischen ihnen erinnerte die Formation tatsächlich an einen Becher mit einem dicken kreisförmigen Boden, bestehend aus mehr als der halben Flotte in einer Matrix mit überlappenden Schussfeldern. Die übrigen Schiffe waren in einem Halbrund angeordnet, das sich in Richtung des Feindes erstreckte. »Wir werden in der Lage sein, sie an einer Stelle massiv unter Beschuss zu nehmen und dann einen weiteren Abschnitt ihrer Formation zu attackieren, wie auch immer die aussehen mag.«
»Wenn sie uns zahlenmäßig weit überlegen sind, werden wir sie wie der Teufel bombardieren, selbst wenn wir dabei vernichtet werden«, erwiderte Duellos. »Nicht gerade der ideale Ausgang, aber zusammen mit den Verlusten, die wir ihnen bei Kaliban und Sancere zugefügt haben, werden die Syndiks im Krieg keinen zahlenmäßigen Vorteil mehr haben.«