»Ich verstehe, dass man weiterkämpft, wenn es noch eine Chance gibt, aber wenn es hoffnungslos ist …«
»Manchmal siegt man selbst dann, wenn es hoffnungslos zu sein scheint. Und manchmal verliert man dort, aber bewirkt dabei etwas, das anderswo hilft. Zum Beispiel indem man dem Feind noch richtig wehtut, während der einen tötet. Oder indem man ihn auf diese Weise für eine gewisse Zeit beschäftigt. Wie gesagt, ich kann es nicht erklären. Das ist etwas, das man einfach macht.«
»So wie Sie«, entgegnete Rione und sah ihn an. »Vor einem Jahrhundert.«
»Ja.« Er wich ihrem Blick aus, da er nicht an diesen hoffnungslosen Kampf zurückdenken wollte. An dem Tag war er derjenige gewesen, der mit einer erdrückenden Übermacht konfrontiert worden war. Er hatte gewusst, dass es für ihn eine Chance gab, den Überraschungsangriff auf den Konvoi hinauszuzögern, den er beschützen sollte. Er hatte gehofft, dass sich der Konvoi in Sicherheit bringen könnte und dass die anderen Kriegsschiffe entkommen würden. Aber es hatte keine Hoffnung gegeben, dass seinem eigenen Schiff ebenfalls die Flucht gelingen würde, auch wenn er die ganze Zeit über so getan hatte.
Er versuchte, sich daran zu erinnern, wie es sich anfühlte — diese Taubheit in seinem Inneren, die ihn weitermachen ließ, während sein Schiff um ihn herum zerstört wurde und seine Kameraden entkamen. Aber da war jetzt zum größten Teil nur noch eine verschwommene Erinnerung, die ihm in Bruchstücken zeigte, wie sein Schiff ringsum in Stück gerissen wurde, wie die letzten Waffen aufhörten zu feuern, wie er die Selbstzerstörung aktivierte und durch die Korridore hastete, die durch die Zerstörungen fremd wirkten. Wie er zu einer Rettungskapsel lief, von der er hoffte, dass sie nicht vernichtet worden war. Sie war dort gewesen, wenn auch beschädigt. Aber da ihm keine Hoffnung und keine Zeit blieb, stieg er ein und ließ sie aus dem Schiff ausstoßen. Er versuchte, sich zu erinnern, wie er fast hundert Jahre im künstlichen Tiefschlaf verbrachte, weil das Notsignal der Kapsel nicht arbeitete und ihn niemand finden konnte. Bis diese Flotte das gleiche Sternensystem durchflog, um zur Heimatwelt der Syndiks zu gelangen, und ihn fand und auftaute.
In gewisser Weise war er an diesem Tag gestorben. Als er erwachte, war der John Geary verschwunden, den er kannte, und an seine Stelle war das unglaubliche edle und heldenhafte Bild von Black Jack Geary getreten, des legendären Helden der Allianz.
»Ja«, wiederholte er. »So ungefähr.«
Rione sah ihn an, in ihren Augen blitzte eine Gefühlsregung auf, die er nicht so recht zu deuten wusste.
»Kartätsche abfeuern«, befahl Captain Desjani, da sich die Dauntless einem weiteren beschädigten Syndik-Schlachtschiff näherte, das so langsam flog, dass ein gemächlicher Vorbeiflug unter gleichzeitigem Beschuss möglich war. Die Kartätsche bildete ein Muster aus tanzenden Lichtern, als sie auf den Schild des gegnerischen Schiffs traf. Die Daring und die Victorious feuerten von oben und unten auf den Feind und halfen, die Schilde weiter zu schwächen. Plötzlich feuerte das Syndik-Schiff ein Salve Höllenspeere ab, die konzentriert auf die Dauntless gerichtet waren. Geary sah, wie die Schilde durch den Beschuss geschwächt wurden, obwohl die Verteidigungssysteme längst damit beschäftigt waren, Energie aus den Teilen des Schiffs umzuleiten, wo sie nicht benötigt wurde. Der Schlachtkreuzer der Allianz erwiderte das Feuer, seine Höllenspeere bohrten sich durch die Panzerung des Gegners und sorgten für Chaos innerhalb des Schiffs. Null-Felder, die von der Dauntless und der Daring abgeschossen wurden, lösten ganze Teile des Schiffs in nichts auf. Da auch die Victorious sich weiter an dem Gefecht beteiligte, war das ohnehin sehr stark in Mitleidenschaft gezogene Schlachtschiff seinen Gegnern hoffnungslos unterlegen. Seine Waffen fielen nacheinander aus, aus den in den Rumpf geschossenen Löchern entwich die Atmosphäre, und die von den Null-Feldern erzeugten Krater wirkten so, als hätte ein unvorstellbar riesiges Monster Stücke aus dem Schiff gebissen.
Die Dauntless und ihre Schwesterschiffe überflogen das verstummte Syndik-Schiff, das seine Rettungskapseln auszustoßen begann, während es sich um seine eigene Achse drehte und ganze Stücke vom Rumpf abbrachen. »Und das ist für die Terrible«, murmelte Desjani.
Geary verschaffte sich abermals einen Überblick über die Gesamtsituation. Die Zweite Schlachtschiffdivision hatte die beiden anderen beschädigten Schlachtschiffe eingeholt, die nach wie vor auf der Flucht waren, und feuerte sie systematisch zu Schrott, während die leichteren Einheiten dafür sorgten, dass das aufgegebene Syndik-Schlachtschiff zerstört wurde. Nur ein anderes Syndik-Schlachtschiff erwiderte noch das Feuer, und während Geary zuschaute, erzitterte es unter dem vereinten Beschuss von einem halben Dutzend schwerer Allianz-Schiffe.
Die Jäger und die Leichten Kreuzer des Gegners waren bereits ausgelöscht worden, und nun unterlag auch noch der letzte Schwere Kreuzer einem Schwarm aus Zerstörern und Leichten Kreuzern der Allianz. Eine Wolke aus Rettungskapseln war unterdessen auf dem Weg zu der kaum bewohnbaren Welt in diesem System, um Zuflucht zu suchen. Geary ließ seinen Blick über seine weit verstreute Flotte und die umhertreibenden Wracks der Syndik-Streitmacht schweifen, die nach Ilion gekommen war, um die Schiffe unter Captain Falcos Kommando zu verfolgen. Wir haben gesiegt. Aber wie lange können wir noch damit rechnen, dass auch die nächste feindliche Streitmacht uns zahlenmäßig so sehr unterlegen ist, dass uns der Sieg so leicht fällt? Und wie viele Schiffe kann ich mir leisten zu verlieren?
Die Invincible und die Hilfsschiff-Flotte hatten fast zu ihnen aufgeschlossen, doch Geary sah keine Möglichkeit, wie der Schlachtkreuzer gerettet werden konnte. Die Triumph, die Polaris und die Vanguard hatten es gar nicht erst bis hierher geschafft, zusammen mit einer ganzen Schar von leichteren Einheiten, die sie bei Vidha verloren hatten. Die Warrior, die Orion und die Majestic waren alle schwer beschädigt worden, und sie hatten etliche Besatzungsmitglieder verloren.
Rettungskapseln der Falcata sendeten Notrufe aus, und einige von Gearys übrigen Zerstörern waren bereits auf dem Weg zu ihnen. Aber was von der Terrible und ihrer Crew übrig geblieben war, das waren so winzige Partikel, dass nicht einmal die besten Sensoren der Dauntless sie noch ausmachen konnten. Niemand an Bord war noch in der Lage gewesen, das Schiff zu verlassen.
Die Allianz-Flotte hatte gesiegt, dafür aber einen hohen Preis bezahlt.
Es konnte Gearys Laune nicht bessern, dass es zu dieser Schlacht nicht gekommen wäre, hätte sich dieser selbstverliebte Captain Falco nicht mit einem Teil seiner Flotte abgesetzt.
Der Konferenzraum schien überlaufener als üblich. Das lag nicht nur daran, dass die Commander der dreizehn überlebenden Schiffe sich ihnen wieder angeschlossen hatten. Es hing auch damit zusammen, dass die Captains Falco, Kerestes, Numos und Faresa auf einer Seite des Raums standen. Die Marines, von denen sie bewacht wurden, waren nicht Teil des holographischen Programms, darum waren sie hier nicht zu sehen. Ihre Anwesenheit war aber zu ahnen, wenn man sah, wie die vier Captains sich verhielten.
Ein Stück weiter den Tisch entlang war das Abbild von Co-Präsidentin Rione zu sehen, die mit den Befehlshabern der Schiffe der Rift-Föderation und der Callas-Republik zusammensaß. Sie hatte sich nun doch dazu entschlossen, wieder an einer Konferenz teilzunehmen, jedoch nur im virtuellen Modus, indem sie ihr Bild aus ihrer Kabine hierher übertragen ließ. Geary fragte sich, welche Bedeutung dieser Entscheidung zukommen mochte. Aber vielleicht wollte Rione auch nur sicherstellen, dass sie aus Gründen der Politik oder der Moral mit den Vertretern der Schiffe ihrer eigenen Republik gesehen wurde.