Falco hielt den Kopf hoch erhoben und schaute sich so selbstbewusst um, als rechne er damit, jeden Moment das Kommando über die Flotte übernehmen zu können. Geary hatte leise Zweifel an der geistigen Verfassung dieses Mannes, der in keiner Weise besorgt zu sein schien und der nicht einmal erkennen ließ, ob ihm klar war, dass er unter Arrest stand. Captain Kerestes dagegen stand vor Angst stocksteif da, er strahlte Schock und Verständnislosigkeit aus. Seine lange und erfolgreiche Karriere, in deren Verlauf er jegliches Verhalten vermieden hatte, das ihm hätte schaden können, war nun in sich zusammengestürzt, nachdem er alle Entscheidungen dem falschen Mann überlassen hatte. Numos und Faresa dagegen waren nicht verängstigt, sondern unübersehbar wütend. Beide hatten nach Gearys Meinung noch irgendetwas in petto. Dabei sollten sie besorgt sein. Numos war nicht gerade der Hellste, aber er war schlau genug, um zu wissen, wann man ihn zur Rechenschaft ziehen würde.
Geary stand auf und lenkte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. »Zunächst einmal möchte ich jedem Schiff, jedem Offizier und Matrosen dieser Flotte zu diesem außerordentlichen Sieg gratulieren. Der Verlust der Terrible und der Falcata war ein hoher Preis, aber die Syndiks mussten noch einen viel höheren Preis bezahlen. Bedauerlicherweise müssen wir auch den Verlust der Triumph, der Polaris und der Vanguard sowie einiger kleinerer Einheiten zur Kenntnis nehmen. Mir wurde außerdem mitgeteilt, dass die Invincible zu schwer beschädigt wurde, um noch eine Reparatur zu rechtfertigen. Deshalb werden wir sie aufgeben müssen.« Alle reagierten bestürzt auf diese Mitteilung. »Der momentane Befehlshaber der Invincible kann an dieser Konferenz nicht teilnehmen, weil die Schiffssysteme so massiv zerstört wurden, dass eine Übertragung nicht möglich ist. Diejenigen, die Captain Ulan persönlich kannten, werden mit Trauer zur Kenntnis nehmen, dass er beim Kampf im Strena-System fiel, als die Invincible ihren Schwesterschiffen während des Rückzugs aus dem System Rückendeckung gab.« Viele Offiziere bedachten Kerestes, Numos und Faresa mit finsteren Blicken. Sie hatten einem Schlachtkreuzer den Schutz seiner Kameraden überlassen. Das war eine Aufgabe für ein Schlachtschiff, das besser in der Lage war, anhaltenden Beschuss zu absorbieren. Trotzdem hatten die Warrior, die Orion und die Majestic das der Invincible überlassen.
»Ich widerspreche der Entscheidung, die Invincible aufzugeben«, ließ plötzlich eine energische Stimme verlauten. Ungläubig drehte sich Geary zu Captain Falco um, der sein markantes selbstbewusstes und gefälliges Lächeln zur Schau stellte. »Wir flicken die Invincible weder zusammen, und dann kehren wir zurück nach Vidha, wo die Triumph …«
»Ruhe.« Geary konnte die sich anschließende Stille nicht nur hören, sondern auch fühlen. »Sie sind nur aus dem Grund hier, gemeinsam mit allen anderen den Anlass für Ihre Verhaftung zu erfahren. Ich überlege immer noch, welche Anklagen die richtigen sind für Ihre Verfahren vor dem Kriegsgericht, wenn diese Flotte zur Allianz zurückgekehrt ist.« Falco konnte noch so beliebt sein, Geary würde ihn für diesen Akt der Meuterei nicht ungeschoren davonkommen lassen.
»Warum wollen Sie so lange warten?«, warf Captain Cresida ein. »Halten Sie ein Tribunal ab, und dann erschießen Sie diesen Hurensohn. Das wäre noch ein gnädigeres Schicksal als das, das die Dummköpfe ereilt hat, die ihm unbedingt folgen mussten.«
Daraufhin kam am Konferenztisch Unruhe auf. Einige Commander schienen Cresidas Vorschlag von ganzem Herzen zu unterstützen, aber viele andere zeigten sich geschockt oder ablehnend. Geary atmete tief durch, ehe er erwiderte: »Ihre Bemerkung war unangemessen, Captain Cresida. Captain Falco kann auf einen langen und erfolgreichen Dienst für die Allianz zurückblicken. Wir müssen davon ausgehen, dass die Belastung durch die Kriegsgefangenschaft im Arbeitslager bei ihm zu langfristigen Problemen geführt hat, die behandelt werden müssen.« Er hatte lange überlegt, was er über Falco sagen sollte, wie er den Respekt, den der Mann bei vielen Offizieren und Matrosen genoss, damit unter einen Hut brachte, dass niemand auf die Idee kam, seinen Arrest infrage zu stellen. »Captain Falco scheint in seiner Urteilsfähigkeit und damit in seiner Kommandotauglichkeit stark eingeschränkt zu sein. Erste Berichte von den Schiffen, die das Gefecht bei Vidha überstanden haben, lassen den Schluss zu, dass er nicht in der Lage war, die Flotte zu führen. Zu seiner eigenen Sicherheit und zur Sicherheit dieser Flotte muss Captain Falco bis auf Weiteres in Gewahrsam bleiben.«
Viele Offiziere machten eine betretene Miene, manche zuckten angesichts seiner Worte zusammen, doch niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Merkwürdigerweise reagierte Falco selbst nur auf seine übliche Art, indem er die Stirn in Falten zog. »Wenn wir Mut zeigen, dann ist der Sieg zum Greifen nah. Diese Flotte braucht meine Führung. Die Allianz braucht meine Führung.« Seinen Bemerkungen folgte Schweigen. »Wenn die Syndiks in dieses System kommen, können wir bereit sein sie zu empfangen.«
Geary sah kurz zu den anderen Offiziere, ehe er entgegnete: »Captain Falco, die Syndik-Streitkräfte, die Ihre Schiffe verfolgten, sind bereits eingetroffen und wurden von uns vernichtet. Mir ist nicht klar, wieso Sie davon nichts wissen.« Was ging eigentlich in Falcos Kopf vor? Charisma war eine Sache, Selbstvertrauen war ebenfalls wichtig, aber wie konnte er so reden, als hätten sich die jüngsten Ereignisse nie zugetragen?
Falco stutzte, dann lächelte er abermals. »Gut. Exakt so, wie ich es geplant hatte. Ich werde mich mit dem Verhalten aller Schiffe während der Schlacht beschäftigen und Belobigungen und Beförderungen aussprechen, wo sie angebracht sind.« Er schaute sich um und grübelte einen Moment lang. »Warum findet diese Konferenz auf der Dauntless statt? Die Warrior ist nach wie vor das Flaggschiff der Flotte«, beschwerte er sich. »Wo ist Captain Exani?«
Geary musste kurz überlegen, ehe ihm einfiel, dass Exani der Befehlshaber der Triumph gewesen war. »Er ist wahrscheinlich tot.«
»Dann benötigt die Triumph einen neuen Commander«, erklärte Falco knapp und lächelte die Anwesenden entschlossen, wenn auch etwas betrübt an. »Jeder Offizier, der an diesem Kommando interessiert ist, soll nach der Konferenz mit mir Kontakt aufnehmen.«
»Die Vorfahren mögen uns beistehen«, flüsterte jemand.
Captain Duellos meldete sich mit ernster Stimme zu Wort. »Ich fürchte, Captain Falco ist noch dienstuntauglicher, als wir es vermutet haben.«
»Captain Falco«, begann Geary behutsam. »Die Triumph wurde zerstört, als sie die Schiffe schützte, die sich mit Ihnen aus dem Vidha-System zurückzogen.«
Falcos Lächeln bröckelte sichtlich. »Vidha? Ich war nicht in Vidha. Das System liegt tief in Syndik-Territorium. Warum war die Triumph dort?«
Das ließ einige am Konferenztisch erschrocken nach Luft schnappen.
»Sie folgte Ihnen«, antwortete Captain Tulev.
»Nein«, widersprach ihm Falco, schwieg sekundenlang und erklärte dann entschieden: »Ich muss mit dem Senat der Allianz sprechen. Es gibt eine Möglichkeit, diesen Krieg zu gewinnen, und ich kann das schaffen.«
Geary hatte einen bitteren Geschmack im Mund, als er die Taste bediente, um mit den Marines auf der Warrior zu reden. »Entfernen Sie Captain Falco von der Konferenz und bringen Sie ihn in sein Quartier zurück.« Dann verschwand Falcos Bild aus dem Raum. Geary kniff kurz die Augen zu. Wie sollte er einen Mann vor Gericht stellen, der offensichtlich den Verstand verloren hatte? Duellos hatte mit seiner Vermutung richtig gelegen, dass es Falco zerstören würde, wenn er sah, dass all seine Träume zerschmettert worden waren, die ihn das Syndik-Arbeitslager hatten ertragen lassen. Wunschtraum und Realität waren bei Vidha aufeinandergeprallt. Dann zerplatzte der Wunschtraum wie eine Seifenblase und riss Falcos Verstand mit sich. Vielleicht kam Falco auch nicht mit einer Realität zurecht, in der er nicht der Erretter der Allianz sein konnte.