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„Ja, das stimmt.“ Vance nickte und rutschte ein wenig auf seinem Platz hin und her, um sicherzustellen, dass die Scheinwerfer sein Gesicht gleichmäßig beleuchteten und keine hässlichen Schatten entstanden. „Ich bin seit langem der Ansicht, dass man wahre Gesundheit nur erreicht, wenn man Körper und Geist miteinander aussöhnt.“ Er hielt kurz inne und richtete seinen magnetischen Blick direkt in die Kamera. „Natürlich bedeutet das auch, dass man sich von alten Vorstellungen und vom Aberglauben befreit. Genau das ist es, womit ich mich bei meiner Arbeit beschäftige.“

Bently nickte verstehend, obwohl sein Verstand mit Bildern beschäftigt war, zu denen unter anderem die junge Suzi und ein sehr großes Glas Schokoladencreme gehörten. „Unterhalten wir uns doch mal darüber. Wie erklären Sie sich die Faszination für all die unheimlichen Dinge, die sich in der Dunkelheit abspielen? Ob in Filmen, Büchern oder Videospielen – es sieht ganz so aus, als könnten wir vom bösen schwarzen Mann gar nicht genug bekommen.“

Vance legte die Hände auf die Sessellehnen und beugte sich vor, wobei er geschickt mit der Kamera flirtete. „Monster sind für uns ein Mittel, um unsere düsteren und urtümlicheren Bedürfnisse auf etwas zu übertragen, das sich außerhalb unseres Körpers befindet.“ Als die Kamera ihn näher heranholte, sah er auf und legte seine Thesen näher aus. „Im Fall von Vampiren geht es um Tabuthemen wie Raublust und Sexualität in Verbindung mit Sadismus. Das sind unheimliche Dinge, die sich die Menschen nicht so leicht eingestehen können.“

„Also schieben wir sie einfach auf einen anderen?“

„Genau. Sieht man sich die Geschichte an, dann haben kranke Menschen schon immer als psychologische Sündenböcke herhalten müssen. Im Mittelalter wurde Schizophrenie oft damit erklärt, der Betroffene sei von Dämonen besessen.“

„Und Vampire?“

„Nun, es gibt eine vererbbare Blutkrankheit namens Porphyria, deren Symptome mit den klassischen Vampircharakteristika durchaus übereinstimmen. Wer an dieser Krankheit leidet, ist anämisch, er reagiert extrem empfindlich auf Sonnenlicht, er kann keinen Knoblauch vertragen…“

„Was ziemlich schade ist, denn mein Arzt hat mir gesagt, dass Knoblauch gut fürs Herz ist.“ Gelächter kam auf, dann räusperte sich Bently, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Über Edgars offensichtliche Verärgerung ging er einfach weg und wandte sich stattdessen den Videomonitoren zu, die über ihnen montiert waren. Ein rotes Licht blinkte auf, als Chief Martin Vreede auf einem riesigen Plasmafernseher zu sehen war, der über eine Außenleitung zugeschaltet war.

„Chief Vreede, was sagen Sie zu den jüngsten Gerüchten über Blutsauger?“

Vreede lachte amüsiert. Obwohl er einen bemerkenswert kantigen Kiefer hatte, sah der Mann nicht ganz so gut aus wie Vance, weshalb man ihn wohl auch nicht in die Sendung eingeladen hatte. Er war Ende Vierzig und strahlte eine nervöse Energie aus, als sei er nur noch einen doppelten Espresso vom Überschnappen entfernt. Er zuckte mit den Schultern und lächelte schroff. „Die einzigen Blutsauger, die mir Sorgen machen, sind die, die von der Anwaltskammer zugelassen werden.“

Bentlys Blick huschte zur Seite, wo sein Produzent ihm mit hektischen Bewegungen zu verstehen geben wollte, dass er Vreede abwürgen sollte. Er entschied sich, ihn zu ignorieren, und hoffte darauf, dass die Sponsoren nicht ganz so genau hingehört hatten. Das war das Problem mit allen Live-Einspielungen, allerdings fand Bently mit Blick auf seine Karriere, dass Vreede der Sendung genau das gewisse Etwas gab, das sie dringend nötig hatte.

Auf dem Bildschirm lief sich Chief Vreede gerade erst warm. „Aber mal ernsthaft. Wenn es Vampire geben würde, dann müssten wir sie inzwischen doch längst aufgespürt haben, oder nicht?“ Er lächelte einnehmend. „Tatsache ist, dass die Straßen noch nie so sicher wie momentan sind. Morde, Überfälle und Gewalttaten sind deutlich gesunken.“

Er machte eine Pause, um seine kleine Polizeiwerbung für einen Moment bleiben zu lassen, dann fuhr er mit erhobenem Zeigefinger fort: „Wenn die Leute sich über etwas Sorgen machen wollen, dann sollen sie sich auf Kriminelle wie Blade konzentrieren.“

Bently setzte sich auf, dankbar dafür, dass der Mann das Thema gewechselt hatte. „Blade, aha. Und wer ist das? Erzählen Sie mir etwas über ihn.“

Chief Vreede holte tief Luft. „Er ist ein wahnsinniger Killer, den wir…“

„Blade ist ein zutiefst gestörtes Individuum“, fiel Doktor Vance ihm mit sanfter Stimme ins Wort. Ohne auf Vreedes wütenden Blick zu reagieren, fuhr er fort: „Allein der Name, den er für sich gewählt hat, ist Besorgnis erregend. Verschiedenen Berichten zufolge glaubt er, mitten unter uns existiere eine gewaltige Verschwörung von Vampiren.“

Vance versuchte, sich ein Lächeln zu verkneifen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Er schlug die Beine übereinander und drehte sich auf seinem Sessel so, dass er direkt in die Kamera blicken konnte. „Man muss sich einmal mit dem psychiatrischen Hintergrund befassen. Was will ein Mann wie Blade wirklich? Vieles spricht dafür, dass er nur irgendein inneres Trauma zu verarbeiten versucht. Er glaubt, er tötet Monster, aber in Wahrheit versucht er, Teile seines Selbst zu töten.“

Bently hob eine Augenbraue. Er fragte sich, ob er wohl jemanden dazu bringen konnte, ihm ein Exemplar des Buchs zu beschaffen, das dieser Kerl geschrieben hatte. Er würde es gut als Brennmaterial nützen können, wenn der Tag gekommen war, an dem er dieses verdammte Studio niederbrannte, vorzugsweise, wenn alle Interviewgäste der letzten drei Jahre hier eingesperrt worden waren.

Mit einem leisen zufriedenen Seufzer ließ er Vance schwadronieren, während Bently sich ein Szenario vorstellte, in dem er, Suzi und ein Haufen kanadischer Schlammcatcherinnen die Hauptrollen spielten.

Ach verdammt, er liebte seinen Job.

Rund 25 Kilometer entfernt saß Agent Ray Cumberland im regionalen Hauptquartier des FBI. Er hatte eben den Fernseher ausgeschaltet und starrte einen Moment lang den dunklen Bildschirm an, um zu verarbeiten, was Dr. Vance gesagt hatte. Dies war eine durchaus interessante Sichtweise des gesamten Mysteriums, das Blade umgab, und er nahm sich vor, einen seiner Leute umgehend mit diesem Doktor Kontakt aufnehmen zu lassen.

Cumberland sah auf eine Notiz, die er sich mit Kugelschreiber auf sein Handgelenk geschrieben hatte und die inzwischen verschmiert war. Hastig schaltete er den Fernseher wieder ein und wechselte den Kanal, bis er den Nachrichtensender gefunden hatte. Er war an diesem Abend fast fünf Stunden länger als üblich im Büro geblieben, um diesen einen Bericht aufnehmen zu können, für den auf dem Prime-time Network massiv Werbung gemacht worden war, nachdem die ersten Polizeiberichte über den Vorfall hereingekommen waren.

Es bedeutete für Cumberland nichts Außergewöhnliches, länger zu arbeiten. Schließlich war es sein Job, allen anderen stets einen Schritt voraus zu sein, und darauf war er stolz. Sogar seine Frau hatte aufgehört, sich über seine Dienstzeiten zu beschweren, und stattdessen begonnen, sich mittels Haftzetteln mit ihm auszutauschen, die sie in seine Brieftasche klebte.

Aber an diesem Abend war er sogar noch geblieben, als das Reinigungspersonal bereits wieder gegangen war. Im Büro herrschte völlige Stille, wenn man vom Knistern einer defekten Leuchtstoffröhre absah.

Er war geblieben, weil etwas wirklich Wichtiges geschehen war.

Cumberland lehnte sich in seinem Bürostuhl vor, als endlich die angekündigte Meldung gesendet wurde. Der Beitrag begann mit der extremen Nahaufnahme einer aufgeregten Frau, und während sie sich in ihre Panik hineinsteigerte, fuhr die Kamera noch näher an sie heran. „Es war schrecklich“, platzte es aus ihr heraus. „Der eine Wagen hatte einen Unfall, dann kam dieser Typ in dem langen Mantel und erschoss ihn einfach…“

Die Kamera schwenkte zu dem ernst dreinblickenden Reporter. „Das war nur ein Bruchteil dessen, was sich bei der Schießerei heute Abend zugetragen hat, bei der mindestens vier Menschen ums Leben gekommen sind. Ein bislang anonymer Bürger hat den Vorfall auf Video mitgeschnitten.“