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Die Atmosphäre im Raum war aufs Äußerste gespannt.

Whistler kochte vor Wut. Für wen hielt sich Blade? Er tat so, als sei nichts weiter geschehen, als habe er keine andere Wahl gehabt und habe in aller Öffentlichkeit eine Vampirhinrichtung vornehmen müssen.

Arroganter Hurensohn.

Whistlers lange graue Haare flatterten um seinen Kopf, als er in seinen schweren Motorradstiefeln quer durch den Raum stapfte und dabei wütend den Reißverschluss seiner Bomberjacke aufzog. Der drahtige, muskulöse Körper, der darunter zum Vorschein kam, war die Folge von zwanzig langen Jahren Vampirjagd, die ihn auf Kosten so vieler anderer Dinge in Form gehalten hatte.

Er holte die abgesägte Schrotflinte heraus und warf sie auf die Werkbank, wobei er mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nahm, dass Blade bei dem Knall zusammenzuckte. Dann wandte er ihm den Rücken zu und löste die Metallklammer, die sein rechtes Bein umschloss. Das verdammte Ding schien mit jedem Tag schwerer zu werden.

Nachdem er einen kräftigen Schluck Malt Whisky getrunken hatte und das Gesicht verzog, als sich die bernsteinfarbene Flüssigkeit brennend in seinem Magen verteilte, hielt er die Flasche ins Licht und betrachtete das Etikett. Ein guter Jahrgang. Er wünschte, er hätte noch mehr davon.

„Du wirst unachtsam, Blade“, sagte er schroff. „Du tötest einen Vampir? Fein. Er zerfallt zu Asche und hinterlässt keine Beweise.“ Mit einer Hand fuhr er über seine grauen Bartstoppeln am Kinn. „Aber das hier – ein menschlicher Leichnam… eine hässliche Sache.“

Ein metallisches Scheppern war zu hören, als Blade den Waffengurt abnahm und auf die Werkbank fallen ließ. Er griff nach einer Kiste mit Magazinen und machte sich daran, in aller Ruhe eine seiner Mach-Pistolen nachzuladen.

Whistler sah ihn einen Moment lang an, dann schüttelte er verärgert den Kopf. Wenn er nicht zu ihm durchdrang, dann gelang das auch niemandem sonst. Das Problem war nur, Blade spielte dieses Spiel schon so lange, dass er sich für unbesiegbar hielt.

Whistler hätte ihm zwar etwas darüber erzählen können, was für gewöhnlich auf Hochmut folgt, aber wie sollte man das einem Kerl erklären, der einen Mannschaftswagen der Polizei mit seinen Schenkeln zusammendrücken konnte?

Er schüttelte abermals den Kopf. „Hoff lieber, dass dich niemand identifizieren konnte.“

Blade zuckte gelassen mit den Schultern, erwiderte aber nichts.

Seufzend holte Whistler aus seinem Leinenrucksack eine neue technische Spielerei und gab sie Blade ohne ein weiteres Wort. Der griff automatisch danach und drehte das Teil in der Hand hin und her. „Was ist das?“

„Eine neue Methode, dir dein Serum zu verabreichen. Es ist ein Schauminhalator. Wirkt schneller und sollte nicht so schmerzhaft sein.“

Blade betrachtet das Gerät überrascht. Das Serum war sein Lebensretter, ein komplexer Cocktail aus Allicin und verschiedenen retroviralen Verbindungen, die seinen „Zustand“ unter Kontrolle hielten. Seit Jahren versuchte Whistler, die exakt richtige Formel zu finden, aber selbst er musste zugeben, dass er noch immer nicht die perfekte Mischung gefunden hatte. Ein Problem dabei war, dass Blades Körper nach und nach resistenter dagegen wurde. Als er mit dem Serum begann, waren nur ein paar Milligramm erforderlich, um Wirkung zu zeigen. Jetzt, fast zwanzig Jahre später, war er bei über fünfzig Milligramm angelangt, eine fast schon tödliche Dosis. Das Verabreichen – eine Injektion per Druckluft in den Hals, allerdings mit einem Gerät, das für ein Pferd angemessen wäre – war dabei höchst unangenehm.

„Beiß einfach auf das Mundstück, dann bekommst du deine Dosis automatisch.“

Blade sah zu Whistler, eine Frage auf den Lippen, die er nicht aussprach.

„Freunde von mir haben das gebastelt“, sagte Whistler, ohne zu ihm aufzusehen.

„Freunde?“

„Ja, Freunde.“ Einen Moment lang schwieg Whistler. „Weißt du noch, was Freunde sind?“

4

Auf den verdreckten Straßen der Stadt herrschte reger Berufsverkehr. Die Fahrzeuge drängten sich Stoßstange an Stoßstange, auf den Bürgersteigen versuchten die Fußgänger, sich ihren Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, um nach einem langen Arbeitstag endlich nach Hause zu kommen.

Tagsüber säumten kleine Marktstände die Fußwege und boten preiswertes Obst, Silberschmuck und grelle Kleidung an – Dinge eben, die von Touristen bevorzugt gekauft wurden. Aber mit Anbruch der Nacht änderte sich das Bild dieser Straße. Es wurde düster und unheilvoll. Die Stände mit ihren bunten Auslagen waren fort, an ihrer Stelle türmten sich Müllsäcke und Kisten mit verdorbenem Obst, das von den Händlern weggeworfen worden war. Sushi-Stände schossen dann wie Pilze aus dem Boden. In den Seitenstraßen eilten Geschäftsleute wieselgleich von Tür zu Tür, immer auf der Suche nach dem neuesten Pornofilm, auch wenn der sich durch nichts von hundert anderen seiner Art unterschied.

Jede Sorte Mensch war in diesem Schmelztiegel der Kulturen zu finden, von kichernden Mädchen, die sich wie Nutten auftakelten, bis hin zu alten Obdachlosen, die in den Mülltonnen nach weggeworfenem Fast Food suchten.

Das Leben in der Stadt war nicht immer glanzvoll, aber es hatte seine Vorteile.

Bequemlichkeit war einer dieser Vorteile.

Drei junge Vampire in modischer Skate-Punk-Kleidung saßen auf einem heruntergekommenen Bürogebäude und betrachteten die Menschenmenge unter ihnen auf die gleiche Weise, wie ein Verhungernder vor einem All-You-Can-Eat-Bufett stand. Ihre Gesichter waren hager und kantig, die Neonlichter der Stadt tauchten sie einen bunten, ständig wechselnden Schein.

Ihr Anführer, ein dürrer Vampir namens Squid, vollführte mit seinem verchromten Fahrrad mit dem bananenförmigen Sitz eine Reihe von gewagten Manövern und genoss die Nachtluft, die ihm ins Gesicht wehte. Nach ein paar weiteren Sprüngen und Drehungen kehrte er zu den anderen zurück, die schon seit über fünf Minuten dort saßen. Für Squid waren das fünf Minuten zu viel. Er kauerte sich neben sie und spähte über die schmutzige Dachkante, dann musste er blinzeln, als er direkt in den grellen Schein der Neonschrift gleich unter ihm blickte.

Er zeigte in die Menge, um die anderen zur Eile anzutreiben. „Wie wär’s mit dem da?“

Die Gang kicherte. „Keine Fettsäcke. Die schmecken wie Kartoffelchips.“

Flip, der jüngste aus der Gang, sprang auf einmal begeistert auf. „Was ist mit der drallen Tante da drüben?“

Squid sah in die Richtung, in die der andere zeigte, dann verzog er angewidert den Mund. Auf keinen Fall! Die Alte hatte so viel Make-up auf ihre Haut geschmiert, dass sie eine Woche brauchen würden, um eine Ader freizulegen. „Vergiss es, Mann!“

Das Trio begann schallend zu lachen, ihre diversen Piercings spiegelten das Neonlicht wider. Sie waren alle im Teenager-Alter und trugen die aktuellsten Tattoos und Frisuren, die von MTV inspiriert waren. Auf ihre eigene Weise waren sie alle ihr Leben lang Vampire gewesen.

Dingo, ein drahtiger Einzelgänger in einem ausgefransten Lost Boys-T-Shirt, meldete sich gereizt zu Wort. „Macht schon, sucht euch einen aus.“

„Da! Baby an Bord!“

Wie ein Mann drehte sich die Gang um und sah nach unten zu einer unscheinbar wirkenden Frau, die eine Babytrage umgebunden hatte. Sie schleppte sich mit mehreren Einkaufstaschen ab und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Sie wirkte recht erschöpft.

Während die Vampire zusahen, schob die Frau das Baby ein Stück höher, dann verließ sie den Fußweg und bog in den erhöht liegenden Zugang zu einer Haltestelle ein.

Leichte Beute.

Dingo nickte und lächelte zustimmend, während er zu Flip gewandt einen Daumen in die Luft reckte. „Sieht aus, als hätten wir ein Essen mit Beilage.“