Doch es war bereits zu spät. Proof sackte in sich zusammen, während sich die chemische Reaktion in seinem Körper fortpflanzte, seine inneren Organe auslöschte und die Verbindungen auflöste, die seine Knochen zusammenhielten. Der Körper zerfiel buchstäblich in sich, die Haut löste sich in großflächigen Schuppen ab, als das Fleisch darunter verkohlte, da das Silber ihn von innen heraus verbrannte. Sein rotglühendes Skelett zerplatzte in einen Ascheregen, der sich auf dem verdreckten Bahnsteig verteilte.
Dingo war in seiner Position erstarrt. Er konnte nicht glauben, was er sah. Ehe er reagieren konnte, schlang Abigail ihre Beine um die Unterschenkel des tätowierten Vampirs und zog sie ruckartig an sich.
Der Vampir fiel nach hinten und landete mit einem lauten Krachen auf dem Rücken. Er sah Abigail völlig schockiert an und war noch überraschter, als sie aufsprang und dabei den schweren Mantel und ihre Mütze abstreifte. Lange, glänzende Zöpfe kamen zum Vorschein und fielen ihr federnd auf die Schultern.
Dingo riss den Mund auf. Die Frau war keineswegs so unscheinbar, wie sie gedacht hatten.
Genaugenommen sah sie sogar ausgesprochen gut aus.
Abigail machte einen Schritt nach hinten und warf der Kreatur am Boden einen vernichtenden Blick zu.
Unwillkürlich wanderten Dingos Augen über das bemerkenswerte Waffenarsenal, das die Frau an ihrem geschmeidigen, muskulösen Körper untergebracht hatte. Dieser Anblick war an sich schon beunruhigend, doch der Ausdruck ihrer Augen war für den Vampir der größte Schock. Obwohl er bereits tot war, hatte Dingo das Gefühl, dass sich eine eisigkalte Hand um sein Herz legte und zudrückte.
Er bemerkte, wie die anderen ihn anstarrten, und schüttelte den ersten Schock ab. Die Frau war nur irgendein Miststück, nichts weiter. Sie hatte bloß Glück gehabt, das war alles. Er würde sie von einer Sekunde auf die nächste überwältigen.
Trotzig knurrend stand Dingo langsam auf.
Anscheinend ohne erst Luft zu holen, holte Abigail aus und trat ihm mit dem Stiefelabsatz, der eine Metallspitze aufwies, so heftig ins Gesicht, dass sie ihm das Nasenbein zerschmetterte. Während Dingo jaulte und sich sein verletztes Gesicht hielt, trat sie ein zweites Mal zu. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, und im gleichen Moment setzte ein Trommelfeuer aus Hieben ein, die Blut auf den Bahnsteig spritzen ließen.
Dingo sackte nach hinten auf den Boden, gleichzeitig erholten sich Flick und Squid vom ersten Schock. Sie stürmten auf Abigail zu, johlten und fletschten die Zähne. Squid griff als Erster an und nahm die Frau von hinten in einen eisernen Schwitzkasten. Er packte noch fester zu und bog ihren Kopf in der Absicht nach hinten, ihr das Genick zu brechen, als hätte er einen Zweig in der Hand. Abigail hatte damit aber gerechnet und beugte sich mit Schwung zur Seite, so dass sie sich aus dem Griff lösen und die Bewegung des Vampirs selbst dazu nutzen konnte, ihn nach hinten wegzuschleudern, wobei sie ihre Schulter als Achse einsetzte.
Squid wirbelte hoch, beschrieb eine volle Drehung um sich selbst, ehe er mit einem Aufschrei vor ihren Füßen landete. Abigail sah ihn an, erinnerte sich, was er und seine Freunde mit ihrer Bluse angestellt hatten, und trat ihn mit voller Wucht in den Schritt.
Während sich Squid stöhnend wie ein Embryo zusammenrollte, drehte sich Abigail um. Sie wehrte Flicks Angriff ab, indem sie ihm den Ellbogen in die Kehle rammte und ihm damit fast das Genick brach, da er sich noch in der Vorwärtsbewegung befunden hatte. Sofort drehte sie ihren Arm mit Schwung nach unten. Gleichzeitig aktivierte sie einen Mechanismus und ein silberner Katardolch, der an ihren Unterarm geschnallt war, sprang vor.
Squid sah, was sie in der Hand hatte, und gab ein sehr leises und sehr unmännliches Wimmern von sich. Einen Herzschlag später war er nur noch ein Häufchen Vampirasche, das unerlaubt den Bahnsteig verschmutzte.
Abigail nahm sich kaum Zeit, um von ihrem grausigen Werk Notiz zu nehmen, sondern griff hinter sich und zog aus einer ledernen Scheide auf ihrem Rücken ein halbmondförmiges Objekt hervor. Flick schlich sich an sie heran. Seine Augen blitzten angriffslustig und er stieß ein leises, kehliges Knurren aus. Abigail nahm keinerlei Notiz von ihm. Sie hielt das Objekt in der Mitte fest, wandte die geschwungenen Enden von sich ab und drehte an einer Scheibe, die im Mittelpunkt befestigt war.
Mit einem metallischen Geräusch sprang das Gerät auf und bildete mit einem Mal einen stählernen Bogen mit einem Durchmesser von fast einem Meter. Ein UV-Laserstrahl verband die beiden Enden miteinander. Er summte gefährlich wie ein Schwarm Killerbienen.
Als Flick sich auf sie stürzte, erhöhte Abigail die Leistung des Geräts und wartete seelenruhig, bis ihr Gegner sie erreichte. Ehe Flick seinen Ansturm bremsen konnte, hatte Abigail bereits ausgeholt und einen seiner Arme so mühelos abgetrennt, wie ein Förster einen Baumstamm von kleineren Zweigen befreite. Der Arm war noch nicht einmal am Boden aufgetroffen, da hatte Abigail bereits das Gerät dazu benutzt, um Flicks Torso mit tödlicher Präzision vom Unterleib zu trennen.
Flicks Oberkörper glitt zur Seite weg und verging in einer Feuersbrunst, das Gesicht in totalem Schock verzerrt, ehe er als Ascheregen auf dem Bahnsteig niederging. Einen Augenblick später tat sein Unterleib es ihm nach. Ein Windstoß erfasste die Reste und erzeugte einen wirbelnden Mahlstrom aus Funken.
Abigail betrachtete einen Moment lang das Schauspiel, während das flackernde Licht Schatten auf ihr Gesicht warf.
Dann wandte sie sich Dingo zu, der die kurze Verschnaufpause genutzt hatte, um die Flucht zu ergreifen.
Sie packte ihre UV-Klinge zusammen und verstaute sie wieder in der Scheide am Rücken, dann zückte sie eine sonderbar aussehende Schusswaffe mit einem weit geöffneten Lauf. Nachdem sie sorgfältig auf Dingo gezielt hatte, betätigte sie den Abzug.
Mit Hochdruck schoss Antipersonen-Spray über den Bahnsteig und traf Dingos Beine. Der Schaum wurde sofort hart, klebte Dingos Beine zusammen und brachte ihn zu Fall. In Panik drehte sich Dingo um und versuchte in aller Eile, die Masse abzukratzen. Es gelang ihm nicht, vielmehr blieben nun auch noch seine Hände an der Substanz kleben.
Dingo stieß ein leises Wimmern aus. Er saß in der Falle.
Langsam kam Abigail auf ihn zu und ließ sich Zeit. Sie beobachtete, wie der kleine Schurke vor Angst die Augen weit aufriss, während sie ihn ansah. Dabei versuchte sie gar nicht erst, zu verbergen, wie wenig sie sich um sein Leid scherte. Nachdem sie die Waffe weggesteckt hatte, zog sie einen der acht silbernen Pflöcke heraus, die an ihrem Oberschenkel festgemacht waren.
Sie erhob den Pflock und sagte: „Wenn es wehtut, Chico, dann schrei.“
Während sich Dingo schreiend in einen Glutregen verwandelte, wischte sie ihre Hände ab und richtete sich langsam auf, um sich die Bescherung auf dem Bahnsteig anzusehen. Die Asche der Vampirgang war auf dem Boden verstreut und knackte wie verkohltes Holz am Lagerfeuer, nachdem es intensiv gebrannt hatte und dann erloschen war.
Ihr Blick fiel auf die Digitaluhr an ihrem Arm. Siebenunddreißig Sekunden waren verstrichen, seit die Vampire ihren Angriff gestartet hatten.
Sie verzog das Gesicht. Nicht schlecht, aber immer noch Welten von ihrer persönlichen Bestleistung entfernt.
Mit einem Schulterzucken sammelte sie die beiden Silberpflöcke ein, die inmitten der Asche lagen, dann hob sie ihren Mantel auf, klopfte den Vampirstaub aus dem Stoff und zog ihn an. Sie setzte ihre Mütze wieder auf und schob ihre Zöpfe darunter, dann nahm sie die Einkaufstaschen von der Bank.
In diesem Moment wurde der Luftzug aus dem Tunnel stärker. Ihr Zug fuhr ein und kam vom Zischen der hydraulischen Bremsen begleitet zum Stehen. Abigail wartete geduldig an der Sicherheitslinie, während sich die Türen öffneten und ein Strom Fahrgäste auf den Bahnsteig drängte. Die Menge eilte zum Ausgang und lief dabei über die Vampirasche, ohne von ihr Notiz zu nehmen. Keiner von ihnen ahnte, welcher Kampf sich hier erst wenige Sekunden zuvor abgespielt hatte.