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Zoe kniff die Augen fest zu und begann abermals zu schreien.

Draußen näherte sich der schwarze Land Cruiser der verlassenen Schiffswerft und bog in Richtung der Docks ab, um dann auf der kiesbedeckten Fläche unterhalb des überdachten Bereichs knirschend zum Stehen zu kommen. Blade stieg aus und schlug die Tür zu.

Als Abigail den Wagen verließ, starrte Blade auf das Türschloss, in das er eben den Schlüssel gesteckt hatte. In der Luft hing ein sonderbares Echo, obwohl kein Geräusch vorausgegangen war. Blade runzelte die Stirn, zog den Schlüssel heraus und beeilte sich, Abigail zu folgen, die bereits die Stufen zum Schlepper hinaufging.

Drinnen war alles dunkel. Sofort reagierten Blades extrem empfindliche Sinne, und er legte eine Hand auf Abigails Arm, damit sie stehen blieb.

Es war zu ruhig.

Irgend etwas stimmte nicht.

Abigail sah ihn an und spürte sein Unbehagen. Ohne ein Wort zu sagen, streckte sie den Arm aus und legte einen Lichtschalter dicht neben ihr um.

Nichts geschah. Der Strom war abgestellt worden.

Instinktiv zogen sie beide ihre Waffen, gingen in geduckte Haltung und bewegten sich voneinander fort durch den Raum. Was nun? Abigail entsicherte ihre Waffe und schlich durch die Finsternis bis in den Korridor. Entweder hatte Hedges die Sicherungen rausfliegen lassen, um in der Hochdruckpresse seine verdammten Pop-Tarts zu toasten, oder irgend etwas stimmte wirklich nicht.

Abigail verdrängte die Gedanken an das, was möglicherweise geschehen war, und konzentrierte sich darauf, mit Blade mitzuhalten, der durch die Tür vor ihnen lief. Mit einem Griff hatte er hinter der Tür zum Labor eine der Taschenlampen gepackt, schaltete sie ein und tauchte den Raum in einen gelblichen Lichtschein.

Abigail stockte der Atem. Sommerfields Labor war komplett verwüstet worden, als hätte ein Tornado im Raum gewütet. Die Computer waren zu Boden geworfen und zerstört worden. Sogar die schwersten Einrichtungsgegenstände waren umgestürzt. Weiter hinten im Raum lagen Tische und Stühle kreuz und quer auf dem Boden.

Sie musste sich einen Moment lang abstützen, ehe sie sich zu Blade umdrehte. Die Angst bescherte ihr einen Geschmack nach kaltem Metall im Mund. „King…“

Sie liefen zur Krankenstation. King war fort. Der Raum war ebenfalls verwüstet worden, Medikamente und Instrumente lagen auf dem Boden verstreut. Als würden sie sich durch einen bösen Traum bewegen, folgten die beiden der Spur aus Zerstörung durch das Labor bis in den Lagerbereich.

Als sie die Tür aufmachten, zuckte Abigail erschrocken zurück und musste sich eine Hand vor den Mund pressen, um nicht laut zu schreien.

Der Betonboden war mit Blut getränkt. Dex und Hedges waren in Fetzen gerissen worden, die so verstreut lagen wie Fleischreste auf dem Boden eines Schlachthofs.

Abigail fühlte, wie ein eisiger Schock sie erfasste.

Das durfte nicht wahr sein.

Wie magnetisch wurde ihr Blick zu den Überresten ihrer Kollegen gezogen und wanderte über die blutigen Eingeweide, die überall auf dem Boden herumlagen. Sie wusste, sie sollte besser nicht hinsehen, weil sie es in jeder Nacht ihres Lebens bereuen würde, die sie allein verbrachte, doch sie konnte einfach nicht anders.

Nichts hätte sie auf diesen Anblick vorbereiten können. Es war, als hätte jemand ihren schlimmsten Alptraum herausgefunden und ihn bis ins letzte Detail Wirklichkeit werden lassen, so wie ein schlechter Scherz für eine Fernsehsendung mit versteckter Kamera. Ihr war immer klar gewesen, dass irgendwann der Tag kam, an dem die Vampire sie entdecken würden. Doch so hatte sie sich das nicht vorgestellt.

Aber ihre Phantasie hätte niemals ausgereicht, um sich etwas derart Entsetzliches auszumalen.

Blade trat einen Schritt auf sie zu und hob seine Hand, um sie sanft an der Schulter zu berühren, doch Abigail wich abrupt vor ihm zurück. Wenn er sie jetzt noch anfasste, dann war sie verloren. Sie musste das hier sehen, damit sie die Kraft hatte, denjenigen – oder dasjenige – zu vernichten, der dafür verantwortlich war.

Etwas knirschte unter ihrem Stiefel. Sie blickte nach unten und sah Hedges’ Armbanduhr in der Blutlache liegen – ein paar Meter vom blutigen Stumpf seiner abgerissenen Hand entfernt. Dieser Anblick ließ etwas in ihr verkrampfen, und sie fühlte, wie eine übermächtige Wut sie überkam. Das war mehr, als nur das Leben eines anderen Menschen zu beenden. Das war ein Abschlachten, ein Blutbad, nichts weiter. Wer auch immer Dex und Hedges umgebracht hatte, er hatte es mit dem größten Vergnügen getan. So viel Blut schwamm auf dem Betonboden, viel mehr, als sich eigentlich in zwei erwachsenen Menschen befinden sollte…

Abigail erstarrte, als sich ein entsetzlicher Gedanke in ihren Kopf fraß. „Zoe! Wo ist Zoe?“

Noch eiliger als zuvor durchsuchten sie und Blade das Hauptquartier: die Zimmer, die Garage, einfach jeden Winkel.

Von dem kleinen Mädchen war keine Spur zu entdecken.

„Wo ist sie nur?“ Abigail hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihr wegbrach, während sie durch das Gebäude rannte, Türen und Schränke öffnete und immer wieder Zoes Namen rief. So oft hatte sie auf ihrem Bett gelegen und sich im Traum hin und her geworfen, als sich dieses Szenario in ihrem Kopf abspielte. Und jedes Mal war sie aufgewacht und hatte gehört, wie Hedges und Dex in der Werkstatt ihre Witze rissen und wie Sommerfield in ihrem Labor nebenan ihre nächtlichen Berichte schrieb. Das Leben war ihr normal vorgekommen, als sei es schon immer so gewesen und als würde es auch immer so bleiben.

Abigail hatte insgeheim immer gewusst, dass die Operation der Nightstalker eine riskante Sache war, die nicht von Dauer sein konnte. Und doch hatte die Routine dafür gesorgt, dass ein trügerisches Gefühl der Sicherheit aufgekommen war.

Die Gefahr war in den Hintergrund getreten, und sie waren mit der Zeit alle nachlässig geworden.

Und jetzt hatte irgendetwas zugeschlagen.

Abigail sah auf, als sie Blade rufen hörte. Ihr Magen krampfte sich zusammen, während sie zu ihm lief. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was sie jeden Augenblick zu Gesicht bekommen würde.

Sie platzte in das Badezimmer und sah Blade mit hängenden Schultern bei den Waschbecken stehen. Wortlos blickte er auf das blutige Rinnsal, das über die feuchten Fliesen lief.

Abigail hielt einen Moment lang inne, dann machte sie eine entschlossene Miene, nahm die Taschenlampe, die Blade ihr hinhielt, und folgte der Blutspur zu den Duschen, voller Angst, was sie dort vorfinden würde.

Der Schein der Lampe glitt über die weiß gekachelte Wand der Duschen, Abigail schloss die Augen und schnappte nach Luft. Es war schon zu spät. Das Bild war da, unauslöschlich eingebrannt in ihr Gehirn.

Sommerfields Leichnam.

Blutüberströmt, zerschlagen, geschändet.

Der Körper war wie eine Verhöhnung der Kreuzigung Christi zwischen den Duschköpfen aufgehängt worden, Blut lief aus den Augen und dem Mund.

Neben ihr stand mit Blut an die Wand geschrieben:

UNSTERBLICH WERDEN DIE,

DIE DAFÜR BEREIT SIND.

Sommerfields dunkle Brille lag auf dem Boden, vorsätzlich in tausend Stücke zerschlagen.

Abigail gab einen erstickten Laut von sich und ging näher zu Sommerfields Leichnam. Blade las die Nachricht, dann betrachtete er den zerschmetterten Körper der Genetikerin.

Langsam ballte er die Fäuste.

Drake.

Schließlich half er Abigail, da es sonst nichts für ihn zu tun gab.

Gemeinsam hoben sie Sommerfield von der Wand, Abigail nahm die Tote in die Arme und wiegte sie sanft, während ihr Tränen über das Gesicht liefen.

Blade betrachtete sie durch seine dunkle Brille. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Dann legte er eine Hand auf ihre Schulter und flüsterte: „Tu es.“ Abigail reagierte nicht. Sie zitterte am ganzen Leib.

Blades Griff um ihre Schulter wurde fester. „Tu es.“

Langsam sah sie auf, bis sich ihre Blick begegneten. Ihre Augen waren gerötet und von blankem Hass erfüllt.