Blade stieß heftig den Atem aus, kam wieder auf die Beine und sah sich um. Volle zehn Sekunden Kampf, aber die Zahl seiner Gegner hatte sich keineswegs verringert. Vielmehr schien es sogar so, als seien es noch mehr geworden.
Ihm wurde klar, dass die anderen deutlich zu zahlreich waren, doch er hatte immer noch einen Vorteil in der Hand, den er gegen diese Trottel einsetzen konnte, die vorstürmten, weil sie ihn niederringen wollten.
Zwei Vorteile, wenn er es genau nahm…
Unter seinem Ledermantel holte er seine beiden Mach-Pistolen hervor und schoss zwei komplette Magazine tödlichen Silbers in die Menge. Der Raum füllte sich mit Rauch und Asche, je mehr seiner Gegner von Blades Kugeln getroffen wurden. Über ein Dutzend Vampire fiel ihm zum Opfer, der Putz wurde aus den Wänden gerissen, so dass tiefe Krater entstanden. Die Vampire begriffen schnell und suchten hinter Möbelstücken Schutz oder rannten in Panik schreiend aus dem Raum.
Auf dem Dach spähte Abigail unterdessen vorsichtig über die Kante des Oberlichts. Sie erblickte King, der gleich unter ihr an einer Säule festgebunden war und atmete erleichtert auf. Nachdem sie sich rasch umgesehen hatte, warf sie das eine Ende eines Seil durch den zerbrochenen Kunststoffrahmen, dann ließ sie sich hinab und eilte zu King. Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als sie sah, in welcher Verfassung er sich befand. Das halbe Gesicht war eine einzige, massive Schwellung, der Boden um ihn herum war blutgetränkt.
Sie biss sich auf die Lippe. „Geht es dir gut?“
King sah auf und zuckte die Achseln. Blut tropfte ihm vom Gesicht. „Nichts, was sich nicht mit einer Wanne voll Desinfektionsmitteln beheben lassen würde.“
Abigail seufzte erleichtert. King war wohlauf.
Sie drückte auf die Handschellen, die sich mit einem lauten Klacken öffneten. King erhob sich, und Abigail gab ihm eine Pistole und ein Magazin mit Sundog-Kugeln. Dann legte sie eine Hand auf seine Schulter. Ihre Miene war ernst, als sie sich auf das Schlimmste gefasst machte. „Zoe?“
King schüttelte den Kopf und rieb sich seine geschundenen Handgelenke. „Drake hat sie.“
Abigail atmete heftig aus, obwohl ihr gar nicht bewusst gewesen war, dass sie den Atem angehalten hatte. Sie nickte King dankend zu und verließ das Apartment durch die Tür, die am nächsten gelegen war.
Sie musste Zoe finden und konnte nur beten, dass sie nicht zu spät gekommen waren.
Hinter ihr streckte King die Arme, um wieder Gefühl in seine Hände zu bekommen. Er schob die Pistole in sein Halfter und lief Abigail nach, wobei er sich Mühe gab, nicht zu humpeln.
Abigail betrat den dunklen Korridor, der vom – Penthouse wegführte. Sie sah sich um, dann steckte sie die kleinen Lautsprecher in die Ohren und drehte die Lautstärke ihres MP3-Players hoch. Während das Intro des Fluke-Tracks „Absurd“ bis in ihr Hirn dröhnte, nahm sie den UV-Bogen vom Gürtel und fuhr die Teleskoparme mit einem knappen Ruck des Handgelenks aus. Ihre Sinne waren in höchster Alarmbereitschaft, als sie durch den Korridor lief und jede Tür und jeden Schatten nach einer möglichen Bedrohung absuchte.
Nachdem sie ein Stück gelaufen war, stürmte auf einmal ein Vampir um die Ecke und stieß beinahe mit ihr zusammen. Er hatte die Hände um die Augen gekrampft und Rauch quoll aus seinem Mund. Abigail enthauptete ihn mit dem UV-Bogen und lief bereits weiter, noch bevor sein Körper zu Boden gefallen war.
Augenblicke später strömten weitere Vampire in den Korridor auf Abigail zu. Bei ihrem Anblick konzentrierte sich ihr Blickfeld auf einen einzelnen, todbringenden Tunnel, einen schwarzen Nebel mit einem roten Fadenkreuz in seiner Mitte. Der Rhythmus der Musik strömte bis in ihr Rückgrat, spornte ihre Sinne an und hüllte sie in synkopische Wärme, während sie sich mit Schlägen und Tritten einen Weg durch die Menge bahnte.
Eine erschreckend aussehende Vampirin, die ihr zu nahe kam, wurde von Abigail mit einem wuchtigen Schlag auf den Solarplexus betäubt, ehe die den UV-Bogen zog und ihr den Kopf abtrennte. Abigail beobachtete zufrieden, wie der Kopf von einer Wand abprallte und dann explodierte, wodurch er ein großes Loch ins Mauerwerk riss. Der Rest der Kreatur schmolz dahin und erlaubte für einen Moment einen beängstigenden Blick auf das leuchtend weiße Skelett, das Sekunden später ebenfalls zu Asche zerfiel.
Abigail bewegte den Bogen nach unten und beschrieb eine komplette Drehung, wobei sie drei weitere schreiende Vampire in zwei Teile zerschnitt. Schließlich feuerte sie mit hoher Geschwindigkeit eine große Salve Pflöcke in die Masse Vampire, die vor ihr den Korridor blockierten. Ihre Augen funkelten, als sie in eine maschinengleiche, mörderische Trance verfiel und sich in ihrer Aufgabe verlor, ihre Gegner niederzumetzeln.
Als der Regen aus Pflöcken stoppte, drückte sie auf einen Knopf an der Seite ihrer Waffe, der das Magazin auswarf. Im nächsten Moment hatte sie bereits ein neues Magazin aus dem Gürtel gezogen und eingelegt, dann bewegte sie sich feuernd weiter.
Im Penthouse war Blade noch immer in seinen Kampf verstrickt, obwohl ihn bereits ein allmählicher wachsender Wall aus brennenden und blutenden Leibern umgab. Seine Munition war ihm längst ausgegangen, und die Vampire rückten jetzt einer nach dem anderen vor. Blade ließ sich gerade noch rechtzeitig fallen, als ihn ein Vampir in der Uniform eines Wachmanns mit einem Kamikaze-Schrei ansprang, aber über sein Ziel hinwegschoss. Blade nutzte seine Position, um mit den Füßen dicht über dem Boden auszuholen. Zwei Vampire wurden außer Gefecht gesetzt, indem er ihre Schienbeine zerbrach, als handele es sich um Streichhölzer. Drei andere nahmen sofort ihren Platz ein und holten mit Baseballschlägern aus.
Es war sinnlos. So konnte er nicht weitermachen.
Es wurde Zeit, sich von der unfreundlichen Seite zu zeigen.
Er griff hinter sich und zog sein Schwert mit einem metallischen Zischen aus der Scheide. Fast ein Meter federndes Titan lag locker in seiner Hand und vibrierte leicht, da sich der kräftige Herzschlag des Daywalkers auf die Klinge übertrug.
Das verräterische Klicken, das beim Entsichern einer Waffe ertönte, ließ Blade abrupt herumwirbeln und dank übermenschlicher Schnelligkeit die Kugel mit der Breitseite des Schwerts ablenken. Mit dem Heft stoppte er zwei andere Gegner, die mit Knüppeln auf ihn losstürmten und etwas auf Japanisch schrien. Sein Schwert beschrieb in der Luft eine Acht, dann fielen die beiden zu Boden, ihr Blut ging wie ein warmer Regen auf Blade nieder.
Nahe der Tür schleppte sich Grimwood fort von dem Gemetzel und sah voller Wut mit an, wie Blade die gesamte Nachtschicht in Stücke schnitt. Trotz ihres ausgiebigen Kampftrainings fielen die Vampire Blades Schwert zum Opfer, als seien es junge Bäume, an denen sich ein wahnsinniger Holzfäller mit Kettensäge vergriff.
Sie waren nach wie vor in der Überzahl, doch die Vampire gingen jeder für sich auf ihn los und kümmerten sich kaum darum, ob der Weg überhaupt frei war, ehe sie einen Angriff mit ihren unterlegenen Waffen versuchten. Was sie antrieb, war das Verlangen, vom Blut des Daywalkers zu kosten. Und das bezahlten sie reihenweise mit ihrem Leben.
Grimwood biss die stählernen Zähne zusammen und griff nach einer alten Streitaxt, die zur Dekoration an der Wand befestigt war.
Wenn schon, sollte man seine Arbeit auch gründlich machen…
Mit einem zornigen Knurren riss Grimwood die Axt von der Wand und ließ einen Regen aus Verputz auf den Boden niedergehen. Er hob die Axt hoch über sich und stürzte sich wieder in das Getümmel. Langsam kämpfte er sich bis dicht an Blade heran, duckte sich hinter den anderen Vampiren und wartete einen Moment.
Vor ihm fiel ein Vampir, schmutziggelbe Funken flogen aus seiner Brust. Damit war der Weg zu Blade frei, zumal dieser Freak ihm auch noch den Rücken zuwandte!