Grimwood sah seine Chance gekommen, schoss nach vorn und zielte mit einem Triumphschrei nach Blades Kopf. Blade jedoch stand gar nicht mehr vor ihm. Grimwood kniff verständnislos die Augen zusammen und sah verärgert mit an, wie einer seiner eigenen Leute vor ihm in zwei Hälften auseinander fiel, da seine Axt ihn sauber durchtrennt hatte.
Blade kam so schnell wieder hoch, wie er sich geduckt hatte, und sprang auf Grimwood los, während er um sich schlug, um Platz zu bekommen. Der letzte Vampir sank keine zehn Sekunden später zu Boden und gesellte sich zu seinen toten Artgenossen. Blut lief über Blades Klinge und über seine Handschuhe, doch sein Griff um das Heft war unverändert sicher.
Dann standen sie sich wieder gegenüber.
Mit wildem Kriegsgebrüll ließ Grimwood die Axt auf Blade herabsausen, doch der hob sein Schwert und stoppte die Axt in einem weißen Funkenregen. Dann verlagerte Blade seinen Griff und hakte sein Schwert unter dem Kopf der Axt ein und riss die Waffe aus Grimwoods Händen.
Er machte einen Satz und holte mit seinem Schwert in einem übermenschlich schnellen Schwung aus. Einen Sekundenbruchteil später traf die diamantgeschärfte Klinge Grimwood in den Bauch. Ein dumpfes, schmatzendes Geräusch war zu hören, und noch bevor der Vampir überhaupt begriff, was sich zugetragen hatte, spannte Blade seinen Bizeps an, um die Klinge auf der anderen Seite wieder aus der Kreatur zu ziehen.
Grimwood fiel in zwei Hälften zu Boden.
Blade betrachtete seine blutigen Überreste und wartete darauf, dass sie in Flammen aufgingen.
Nichts geschah.
Dann begann die obere Körperhälfte zu zucken. Grimwood riss die Augen auf und war wieder zum Leben erwacht. Er streckte seine Arme aus, presste die Finger auf den Marmorboden und drückte sich vom Boden hoch, als wolle er Liegestützen machen. Ein trotziges Knurren kam über seine Lippen, während er sich wie eine riesige Spinne vorwärtsbewegte, seine funkelnden schwarzen Augen stur auf Blade gerichtet. Er lehnte sich nach hinten, drückte die muskulösen Arme durch und sprang mit weit aufgerissenem Mund den Daywalker an.
Zutiefst angewidert, fing Blade den halben Vampir ab und packte ihn an der Kehle. Während er Grimwood so weit von seinem Gesicht weghielt, wie es nur ging, durchbohrte er mit einer schnellen Bewegung dessen Herz.
Grimwood stieß einen wütenden Schrei aus, als er spürte, das seine Brust in Flammen aufging. Mit bereits in der Auflösung begriffenen Händen wollte er den Daywalker zu fassen bekommen, doch im nächsten Moment hatten die Flammen seinen gesamten restlichen Körper erfasst und hüllten ihn in flüssiges Feuer ein.
Blade ließ den brennenden Rumpf fallen, der zuckend und zappelnd auf dem Boden landete. Der Aufprall ließ das bereits verkohlte Fleisch von Grimwoods Knochen abplatzen, bis nur noch ein rußgeschwärztes Skelett übriggeblieben war, das langsam nach vorn kippte und auf dem blutgetränkten Boden zerfiel.
Erst dann hörte Grimwoods Ringen auf.
Ein trauriges kleines Scheppern war zu hören, als die zwei Stahlkronen aus der Staubwolke fielen, die über seinen Zähnen gesessen hatten. Sie landeten vor Blades Füßen und rollten wie Murmeln in seine Richtung. Nachdenklich betrachtete er die Kronen, dann lief ihm ein Schauer über den Rücken. Seine Nackenhaare richteten sich auf.
Blade wusste, was das zu bedeuten hatte: Jemand beobachtete ihn.
Langsam drehte er sich um und sah nach oben, wo Drake als dunkle Gestalt stand und auf ihn wartete.
Abigail stürmte eben in das dreißigste Zimmer in Folge und suchte voller Hoffnung die Dunkelheit ab. Sie war in jedem Raum auf dieser Etage gewesen, aber alle waren sie verlassen. Das Blut wollte ihr in den Adern gefrieren, als sie darüber nachdachte, was womöglich mit Zoe geschehen war.
Als sie den nächsten Raum betreten wollte, drehten sich zwei Vampirwachen mit einem Schrei nach ihr um. Sie gab sich kaum Mühe, exakt zu zielen, als sie ihnen zwei Silberpflöcke entgegenschleuderte. Die Wachen sanken zu Boden und vergingen zu kleinen Wirbeln aus glühender Asche.
Während sich der Staub noch legte, sah sie bereits Zoe zusammengekauert in einer Ecke sitzen. Ihre kleiner Körper war in dicke Ketten gelegt worden, aber sie lebte.
Erleichterung überkam Abigail, die zu ihr eilte und schnell das Vorhängeschloss fand, mit dem die Kette zusammengehalten wurde. Sie zog ihre E-Pistole, bedeutete dem Mädchen, sich die Ohren zuzuhalten, dann sprengte sie das Schloss weg. Zoe stieß einen Schrei aus, sprang auf und umarmte Abigail so fest, dass ihr ganzer Körper vor Anstrengung zitterte.
Abigail stand auf, nahm Zoe an der Hand und ging mit ihr zur Tür. „Komm, Schatz, wir bringen dich jetzt hier raus.“
King kam aus dem medizinischen Labor gestolpert, während er anzog, was von seinem Hemd noch übriggeblieben war. Verdammt, was war es hier kalt! Hatten Vampire denn noch nie etwas von Zentralheizung gehört? Um Danica würde er sich später kümmern, im Moment musste er erst einmal Abigail finden und dann von hier verschwinden, ehe er an Unterkühlung starb. Er humpelte durch den grauen Korridor und wurde allmählich etwas schneller, als langsam das Gefühl in seine verkrampften Gliedmaßen zurückkehrte und sich mit Tausenden von schmerzhaften Nadelstichen bemerkbar machte. Er zuckte zusammen und rieb sich die Handgelenke. Hoffentlich wusste Abigail zu schätzen, welche Opfer er für sie gebracht hatte, dass er so geblutet und geschwitzt hatte. So wie er sie kannte, würde sie ihm wahrscheinlich nur den Kopf tätscheln und ihm dann seinen nächsten Auftrag erteilen. Er fragte sich, wie lange es wohl gedauert hatte, ehe ihr aufgefallen war, dass er nicht mehr im Hauptquartier war.
Als er um die Ecke bog, hörte er hinter sich ein lautes Knurren.
Langsam und sehr behutsam wandte King sich um.
Pac Man kam um die Ecke gelaufen. Seine winzigen schwarzen Pfoten trippelten über die Fliesen. Als er King entdeckte, schloss der Mutantenhund die Augen und fletschte die Zähne.
Fluchend wich King zurück, während er sich umsah, ob irgend etwas in Reichweite war, womit er sich verteidigen konnte. Dieser Köter hatte es wirklich auf ihn abgesehen. Hätte er doch bloß seinen Vorrat an Hundespielzeug eingesteckt…
Vorsichtig bewegte er sich geduckt wie ein Surfer um den Hund herum. Irgendwo hatte er mal gelesen, dass man mit einem knurrenden Hund keinen Blickkontakt herstellen sollte, weil das so wirkte, als wolle man den Hund herausfordern.
Oder galt das für Katzen?
Ach, verdammt, er würde einfach losrennen. Es konnte nicht so schwer sein, einem so kleinen Hund davonzulaufen.
Als sich King zur Flucht bereitmachte, bewegte sich Pacman ein Stück vorwärts. Und dann kamen zwei Rottweiler hinter ihm um die Ecke, die wie böse eineiige Zwillinge aussahen.
King starrte sie entsetzt an. Die beiden Hunde waren so breit wie Panzer und unübersehbar muskulös. Sie knurrten ihn so kehlig an, dass es sich fast so anhörte, als komme das Geräusch, das Kings Brustbein zum Vibrieren brachte, tief aus dem Boden. Ihre überaus wachsamen braunen Augen fixierten Kings Gesicht, als sei es eine Zielscheibe, dann zogen sie die Lefzen hoch und gaben den Blick frei auf mehrere Reihen rasierklingenscharfer Zähne, von denen blutiger Speichel tropfte.
King bekam den Mund kaum noch zu.
„Verdammte Scheiße.“
Wie auf ein lautloses Kommando hin stürzten sich die drei Hunde auf King und bellten wie verrückt, während ihre Schnauzen auseinander klappten, bereit, ihn zu umschließen…
18
Blade ließ ein Meer aus vernichteten Leibern zurück, während er die stählerne Wendeltreppe hinauflief, die zum Obergeschoss des großzügig angelegten Atriums führte.
Dort oben stand Drake als große, finstere Gestalt.
Während Blade zu ihm sah, zog dieser schwungvoll ein großes Schwert aus poliertem Eisen. Lässig wirbelte er es in der Luft herum, damit es das Licht reflektierte. Dann senkte er die Waffe, bis ihre Spitze den Boden berührte.
Er hatte ihn herausgefordert.
„Bist du bereit zu sterben, Blade?“, rief Drake ihm zu. Seine Stimme war tief und zischend, so wie das Knurren eines Panthers, und doch schien sie den ganzen Raum zu erfüllen, hallte von den Wänden zurück und ließ in der Luft sonderbare Schwingungen entstehen.