Der Daywalker versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Gleichzeitig wuchsen Drakes Reißzähne länger und länger und schoben sich mit einem Flüsterlaut aus seinem Schädel, als würde eine Rasierklinge über Fleisch kratzen. Er zog Blade mit einem Ruck hoch, dann vergrub er seine Zähne in dessen Schulter und durchbiss Sehnen und Knochen. Blade schrie auf.
Blades Schrei schallte durch die Flure der Phoenix Towers. Ein Stück weit entfernt gab King noch einmal Gas, während er sich zugleich an dem Geräusch orientierte. Er hastete durch kaum beleuchtete Korridore und suchte verzweifelt nach einer offenen Tür oder einem Notausgang, um den Höllenhunden zu entkommen, die ihm auf den Fersen waren.
Aber er fand keine Tür.
Er riskierte einen Blick über die Schulter und sah, dass die freakige Meute allmählich aufholte und dabei keinerlei Anzeichen für Ermüdung erkennen ließ.
King fluchte und trieb sich weiter an, während er den brennenden Schmerz in seinen Beinen ignorierte, da die Anstrengung für seine geschundenen Muskeln längst zu groß war. Er musste irgendwo in der Nähe des Atriums sein, er war sicher, dass es sich auf diesem Stockwerk befand. Wenn er es bis zu Blade oder Abigail schaffte, würden sie die Hunde lange genug ablenken können, damit er Zeit hatte, seine Waffe zu ziehen und die Köter in die Hölle zu schicken, wo sie auch hingehörten.
Er rannte um die Ecke in den nächsten Flur und…
Sackgasse!
Sein Verstand überschlug sich, während er den kurzen Korridor betrachtete. Gut anderthalb Meter vor ihm befanden sich zwei Fenster, hinter denen es vermutlich in die Tiefe ging. Die Wände zu beiden Seiten waren völlig glatt. Keine Tür, keine Luke, nichts.
Er saß in der Falle.
Das Getrappel der Pfoten auf dem glatten Boden war zu hören, als sich die Vampirhunde seiner Position näherten, um ihn zu töten. Sie bellten sich gegenseitig an, einer schnappte nach dem anderen, da jedes der Tiere King zuerst erreichen wollte.
King sah sich weiter hektisch um und entdeckte ein Rohr, das dicht unter der Decke verlief. Er machte einen Satz nach oben, bekam das Rohr nur mit Mühe zu fassen, dann zog er sich mit aller Kraft hinauf.
Die Vampirhunde preschten um die Ecke, viel zu schnell, um noch anhalten zu können. Im nächsten Augenblick durchbrachen sie die Fensterscheiben und stürzten jaulend in die Tiefe. Der Spitz kläffte unablässig, während das Trio zwanzig Stockwerke tiefer auf die belebte Kreuzung vor dem Gebäude fiel und vom Verkehr verschluckt wurde.
King ließ sich wieder zu Boden fallen und lachte gehässig. O Mann, was war er gut! Jackie Chan hätte das nicht besser hingekriegt.
Er klopfte sich triumphierend den Staub von den Händen und drehte sich um.
Oh, Scheiße!
Im gleichen Augenblick wurde King mit voller Wucht von einem hundert Pfund schweren Rottweiler-Mutanten getroffen. Er wurde nach hinten geworfen und prallte gegen die Fensterbank, die mit Glassplittern übersät war und an der King sich den Kopf aufschlug, ehe er auf dem Boden zusammensank. Seine Pistole glitt aus dem Halfter und rutschte auf den Fliesen von ihm weg.
Keuchend hob er den Kopf und sah, dass der Rottweiler mit gefletschten Zähnen auf ihn zukam. Er spürte, wie der üble Atem des Hundes heiß über sein Gesicht strich. Er hätte schwören können, dass alle drei Hunde in die Tiefe gestürzt waren, aber offenbar hatte sich einer von ihnen doch dem Schicksal seiner Artgenossen entziehen können.
Die Zeit schien stillzustehen, als beide sich anstarrten.
Als King seinen Blick ein wenig zur Seite schweifen ließ, um nach seiner Waffe zu suchen, war der Bann gebrochen.
Der Hund machte einen Satz auf ihn zu. Das Ganze wirkte noch bedrohlicher, da er dabei keinen Laut von sich gab. King warf die Arme schützend vor sein Gesicht, als der Vampirhund ihn wie eine Wand aus feuchten, haarigen Ziegelsteinen traf und ihn gegen die Wand drückte. Er schrie sich förmlich die Lunge aus dem Leib, als er sah, wie die Kreatur ihr Maul aufriss. Er bekam den Hund am Hals zu fassen und vergrub seine Finger tief im dichten Fell, um das Tier zurückzuhalten, damit es ihm nicht das Gesicht vom Schädel biss. Mit der anderen Hand tastete er blindlings nach seiner Pistole herum.
Der Rottweiler schüttelte und wand sich, sein schnappendes Maul kam Kings Kehle immer näher. King brüllte, ließ den Hund los und rammte ihm blitzschnell den Ellbogen gegen den ungeschützten Hals.
Die Kreatur jaulte vor Schmerz und wich ein Stück zurück, was King genug Zeit brachte, um die Knie dicht an die Brust zu ziehen. Als der Hund ihn dann ein zweites Mal ansprang, rammte er ihm seine Stiefel in den Bauch und stemmte sich rechts und links an der Hüfte des Tieres ab. Mit aller Kraft drückte er seine Beine nach oben und hob die schwere Kreatur langsam in die Höhe.
Der Vampirhund wehrte sich mit unglaublicher Kraft, attackierte unablässig und kratzte mit den schwarzen Krallen wie wild auf dem Boden, um wieder Fuß zu fassen. Die Kreatur bellte jetzt in einem fort und mit ohrenbetäubender Lautstärke. King sah, wie sich das metallische Braun der Augen mit Blut füllte, während der Hund die Schnauze aufriss, um ihn zu verschlingen.
Jetzt oder nie.
Mit einem gellenden Aufschrei drückte King den Hund von sich fort und packte seine Pistole. Seine Finger schlossen sich um den Griff, während er sich auf Rücken rollte. Der Hund landete wieder auf ihm, doch diesmal drückte er ihm die Pistole ins Fell.
Er betätigte den Abzug, und im nächsten Moment verwandelte eine Explosion den Hund in einen Ascheregen.
Während sich der Staub legte, öffnete King die Augen und spuckte ein Büschel verbrannter Hundehaare aus. Kopfschüttelnd setzte er sich auf.
„Böser Hund.“
Einige Etagen tiefer schlich sich Abigail auf die obere Ebene des Atriums. Zoe klammerte sich so sehr an ihrer Hand fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, während sie lauschten, welche Geräusche von unten kamen.
Abigail sah sich um und suchte nach einem sicheren Versteck für das Mädchen. Sie entschied sich für eine tief in die Wand eingelassene Nische und bedeutete Zoe, sich dort zu verstecken. Die Kleine zog sich in den Schatten zurück. Abigail beugte sich zu ihr vor, strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte sie aufmunternd an. Dann zog sie vorsichtshalber aus ihrem Gürtel einen Silberpflock und drückte ihn Zoe in die Hand.
Sie eilte zum Geländer der oberen Ebene. Die Ruhe, die sie eben noch dem Kind gegenüber ausgestrahlt hatte, war verschwunden.
Unten kämpften Blade und Drake wie zwei lebendige Tornados, zerschlugen das Mobiliar und rissen Löcher in die Wände. Abigail sah, dass sich Drake in Blades Schulter verbissen hatte. Die beiden attackierten sich wie zwei Kampfhunde, von denen der eine verzweifelt versuchte, von dem anderen freizukommen. Das Gesicht des Daywalkers war von Schmerz gezeichnet. Blut lief in breiten Strömen von seiner Schulter herab.
Abigail stockte der Atem. Jetzt hatte sie ihre Chance. Drake war damit beschäftigt, mit Blade zu kämpfen. Er hatte noch nicht bemerkt, dass sie sich mit ihnen im Raum befand. Vermutlich würde sie eine so gute Gelegenheit nicht wieder bekommen.
Sie bewegte sich hin und her, um einen guten Abschusspunkt zu finden, gleichzeitig zog sie den Pfeil mit der Ampulle aus der Kühlkapsel und legte ihn mit zitternden Fingern an. Gegen die kalte Steinsäule gedrückt, versuchte sie, ihr Ziel zu erfassen. Sie richtete das Visier auf Drakes Schulter aus und zog die Sehne zurück, während sie den Atem anhielt.
Der Augenblick war gekommen.
Doch in dem Moment wirbelte Blade herum, presste seinen Arm um Drakes Schultern und nahm ihr damit die Sicht. Verärgert verlagerte Abigail ihre Position und versuchte es noch mal, zielte nun aber auf Drakes ungeschützten Oberschenkel.
Doch wieder kam ihr Blade in den Weg.