Zoe hatte dem Vampir nichts anhaben können, doch durch sie hatte Blade ein paar entscheidende Sekunden gewonnen. Er aktivierte seine letzten Kraftreserven und beugte sich hinüber zu dem abgeprallten Pfeil, der aus dem Schutt neben ihm herausragte. Er umklammerte ihn mit tauben Fingern, erhob sich und baute sich leicht schwankend vor Drake auf.
Der drehte den Kopf nach ihm, war aber ein klein wenig zu langsam. Blade warf sich nach vom, um die geringe Distanz zwischen ihnen zu überwinden, und bohrte den Pfeil so tief in Drakes Brust, dass die Spitze auf dem Rücken in einer Fontäne aus dunklem Blut wieder auftauchte.
Drake taumelte wütend ein paar Schritte nach hinten, dann knurrte er Blade an und hob seine Klauen, um sich den Pfeil aus dem Leib zu ziehen.
Auf einmal blieb er stehen.
Auf seinem Gesicht zeichnete sich pures Entsetzen ab, als er merkte, wie das lebende Gift im Pfeil zu wirken begann. Das Seuchenvirus strömte aus der zerbrochenen Ampulle, die in seinem Leib steckte, und ergoss sich über seine Organe wie eine Säure, die man in seinen Blutkreislauf injiziert hatte. Drake schrie vor Wut und Schmerz auf, als er spürte, wie sich sein Inneres auflöste, als das Virus in sein Blut gelangte und als unaufhaltsame nekrotische Welle durch seine Adern jagte und jeden Winkel seines Körpers überschwemmte. Blade sank zu Boden. Die Erschöpfung war einfach zu groß. Drake ließ das Schwert los, das klirrend zu Boden fiel, und drehte sich empört zu Blade um. Was hatte der Daywalker ihm angetan?
Dann erreichte das Virus Drakes Herz. Er fasste sich an die Brust und stieß einen unmenschlichen Schrei aus, während er einen großen roten Schwall Blutes erbrach. Sein Körper zuckte, als sein Inneres in flüssigen Klumpen aus verkohltem Fleisch wegbrannte. Er taumelte vorwärts und griff nach Blade, die Gesichtszüge durch unerträgliche Schmerzen verzerrt. Die knochigen Sporne seines Leibes zogen sich wieder ein, als der Vampir in einen Schock fiel und sich seine Adern rasch mit den zerfallenden Resten von sterbenden Gewebe füllten.
Langsam sank er auf die Knie. In seinen Arterien heftete sich das Seuchenvirus an seinen Blutkörperchen fest und sorgte dafür, dass sie sich schwarz verfärbten und auszudehnen begannen, bis schließlich jedes einzelne Blutkörperchen in seinem Körper explodierte. Eine dünne schwarze Flüssigkeit strömte aus Nase und Mund, womit Abermillionen von aktivierten Viruszellen in die Luft freigesetzt wurden.
Drake sah hinauf zum Himmel, ballte die Fäuste und schrie…
Auf der Empore begann Danica zu husten, als sie die ersten Sporen des Seuchenvirus einatmete. Winzige dunkle Adern breiteten sich auf ihrem Gesicht aus, als das Virus durch ihren Körper jagte und jede Zelle zerstörte, mit der es in Kontakt kam.
Sie schwankte leicht und sah verständnislos zur Wand.
Dann brach sie zusammen und wand sich vor Schmerz. Eine farblose Flüssigkeit lief ihr aus dem Mund, als ihre Eingeweide zu zerfallen begannen.
Danica presste eine Hand an die Lippen und versuchte, den Schwall an Flüssigkeit zu stoppen, während sie hilflos auf dem Boden lag. Kings biologische Waffe! Nein! Nicht jetzt! Ihre Reißzähne wurden länger, während sie von Schmerz und Zorn erfasst wurde. Verzweifelt streckte sie beschwörend eine Hand nach King aus, der ihr gegenüberstand. Völlig teilnahmslos beobachtete er ihr Sterben.
Danicas Körper zuckte und ging schließlich in blaue Flammen auf. Durch die Flammen hindurch sah sie, wie er sich verächtlich von ihr abwandte und wegging.
Dann starb Danica, einen letzten Fluch auf den Lippen, den sie nicht mehr aussprechen konnte.
Überall im Gebäude wurden die fliehenden Vampire von dem Seuchenvirus eingeholt. Sie fielen übereinander, schrien und keuchten, ehe sie in zuckende Staubwolke zerplatzten.
Nach nicht einmal einer Minute waren sie alle tot, zurück blieb nur ihre Asche.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Gebäudes war in den Phoenix Towers alles ruhig.
20
In der Stille des Atriums regte sich etwas.
Drake, der inmitten eines Bergs aus Trümmern lag, nachdem er gegen eine zerschmetterte Wand gesunken war, öffnete langsam die Augen, in denen ein schwaches Licht flackerte. Er hatte wieder menschliche Gestalt angenommen, da sein verwüsteter Körper die Energie nicht mehr aufbringen konnte, um sein dämonisches Alter Ego zu präsentieren. Er war kaum noch mehr als eine leere Hülle, dennoch klammerte sich Drake an sein Leben. Sein siebentausend Jahre alter Körper weigerte sich, die Existenz einzustellen – so wie ein Wagen immer weiter einen Berg hinabrollte, auch wenn der Motor längst nicht mehr lief.
Drake wischte sich schwarzen Schleim vom Kinn, während in ihm eine Erkenntnis dämmerte. Blade hatte ihn besiegt. Er würde schließlich doch noch sterben. Er verzog die Mundwinkel, als er über die Ironie des Ganzen nachdachte. Über Jahrtausende hinweg hatten so viele davon geträumt, von diesem Sturz des Tyrannen, der geliebte Menschen getötet, ihre Häuser niedergebrannt und ihr Leben zerstört hatte. Sie waren ihm zu Hunderten gefolgt, doch sie waren alle gescheitert.
Und nun hatte es einer von ihnen geschafft.
Dieser Augenblick sollte von jubelnden Dorfbewohnern gefeiert werden, dachte Drake benommen. Sie sollten Flaggen und Fackeln in die kalte Nachtluft recken. Hunde sollten bellen, Signalhörner über das ganze Land schallen, und die Nachricht musste von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt weiterverbreitet werden.
Dracula war besiegt worden.
Die Welt war gerettet.
Stattdessen war da nur Stille, ab und zu unterbrochen vom leisen Rieseln von Putz, der aus einer der stark beschädigten Wände fiel. Ein schwacher Piepton kam von Grimwoods Uhr. Sie lag irgendwo unter den Trümmern vergraben und ihr Piepsen erinnerte daran, dass Pac Man gefüttert werden musste.
Mühselig drehte sich Drake zu Blade um. Der Daywalker lag in seinem eigenen Blut. Seine Lungen hoben und senkten sich schwerfällig, da sein Körper nicht aufgeben wollte. Drake hörte, wie sein Herzschlag unregelmäßig wurde, als das Blut aus Blades Körper strömte. Der Daywalker hatte die Augen geöffnet, sein leerer Blick war zur Decke gerichtet.
Bald schon würde er tot sein.
Ein Anflug von Neugier ließ bei Drake die Frage aufkommen, ob der Hybride wohl wie ein Vampir in Flammen aufgehen würde oder ob er so sterben würde wie ein Mensch.
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
Drake machte sich bereit, auf diesen Augenblick zu warten.
Blade starrte zur Decke, seine Augen trübten sich langsam, während er in die schwarzen, schwindelerregenden Gezeiten des Schocks eintauchte. Er sah hilflos zu, wie sein eigenes Blut aus der klaffenden Brustwunde austrat und sich in einer Lache unter seinen Schultern sammelte. Das Blut war warm… so wie ein schönes, warmes Bad. Oh Mann, wie müde er doch war… Blades Körper vibrierte. Er schüttelte die Müdigkeit ab und klammerte sich an sein Bewusstsein. Er wusste, er war schwer verletzt worden, vielleicht zu schwer, um es zu überleben. Aber trotz seiner klaffenden Wunden zeichnete sich auf dem Gesicht des Daywalkers ein flüchtiges, schmerzerfülltes Lächeln ab. Er hatte etwas erreicht, was viel wertvoller war als seine sterbliche Hülle. Es war mehr, als jeder gewöhnliche Mensch je zu erreichen hoffen konnte.
Er hatte Drake besiegt, den ersten, den letzten und vielleicht auch einzigen echten Vampir, den diese Welt jemals gesehen hatte. Hoffentlich hielt King jetzt endlich den Mund.
Minuten verstrichen.
Drake betrachtete den Raum, in dem er sich befand, und ermaß mit einem Anflug von surrealer Befriedigung das Ausmaß der Zerstörung, die er angerichtet hatte. Noch während er sich umsah, fiel eine Lampenfassung von der Decke und landete inmitten der verstreut liegenden Trümmer.
Dunkelheit umspülte Drakes Synapsen, er runzelte die Stirn und blinzelte angestrengt, als vor seinen Augen einen Moment lang nur geflecktes Grau zu sehen war. Er war nicht an körperliche Schwäche gewöhnt, und mit einem Mal machte der uralte Vampir alle möglichen sonderbaren Empfindungen durch, von denen nicht eine als angenehm zu bezeichnen war.