Выбрать главу

Verwirrt blinzelte er und sah zur Wand unmittelbar vor ihm. Sie schien im Licht kurz vor Sonnenaufgang zu flimmern, als ob die Realität an sich kaum mehr als eine Halluzination war. Auf einmal bildete sich vor seinen Augen ein geisterhaftes Bild, das sich schnell zu einer unglaublich real aussehenden, farbenprächtigen Szene entwickelte.

Drake hielt die Luft an, als sein ganzes Leben in leuchtenden Bildern an der Wand vor ihm vorüberzog, die so klar und lebendig wirkten, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Er betrachtete sie staunend. Er hatte einmal davon gehört, dass im Augenblick des Todes das Leben an einem vorüberzog. Natürlich hatte er nicht damit gerechnet, dass er jemals die Gelegenheit bekommen würde, herauszufinden, ob das stimmte oder nicht, doch jetzt war der Moment gekommen.

Drake lehnte sich erwartungsvoll zurück.

Das würde gut werden. Brennende Dörfer, schreiende Frauen. Der beißende Geruch von Schießpulver in der Luft, wenn seine Feinde aus den Reihen ausbrachen und ihm nachjagten…

Drake lächelte und genoss die Show, die tausend blutige Bilder in seinem Kopf erstehen ließ. Er hatte rücksichtslos gemetzelt, ob jung oder alt, ob krank oder verwundet – alle waren sie durch sein Schwert gefallen. Oder besser gesagt: durch seine Hände und Zähne, da ihr Lebenssaft ihn über all die Jahre hinweg genährt hatte.

Jetzt, da das Ende gekommen war, bereute er nichts.

Er hatte jeden Augenblick genossen.

Durch all den Schmerz und den Tod, den er verursacht hatte, waren die Jäger gekommen, und sie hatten von allen am meisten gelitten. Dafür hatte Drake gesorgt. Er hatte Tausende von ihnen getötet, mit Tausenden von Todesarten. Warum sollte er sie auch nicht für ihre Unverschämtheit bestrafen? Schließlich waren sie doch diejenigen, die in ihrer Arroganz glaubten, sie konnten seinem Leben ein Ende setzen. Sie hatten es verdient, zu leiden. Er sah ihre Gesichter wieder, die anklagend vor ihm auftauchten.

Ein königlicher Wachmann, dessen prachtvolle Uniform blutgetränkt war, der um Gnade flehte, während Drake ihn an seinem Pferd festband, bereit, Tier und Reiter von der Festungsmauer zu werfen.

Ein junger türkischer Soldat, der seine Götter um Vergebung bat, während Drake ein Fass mit siedendem Öl in den Brunnen kippte, in dem sich der Junge versteckt hatte.

Ein spanischer Conquistador, an einen Baum genagelt und mit Tränen in den Augen, als Drake ihn entscheiden ließ, in welcher Reihenfolge er die sieben kleinen Kinder des Mannes töten sollte…

Und nun… Blade. Ein Afroamerikaner, in Leder und Stahl gekleidet, dessen Vampirblut ihn rief, während er mit den Menschen zusammen plante, wie sein eigener erster Urahn am besten getötet werden sollte.

Drake runzelte die Stirn. Das war ein Widerspruch, der kein Zufall sein konnte. Woher war er gekommen, dieser Hybridkrieger? Welche Umstände hatten aus ihm gemacht, was er geworden war? Drake wusste, dass selbst die Menschen Blade als ein Monster, als einen Killer ansahen. Wenn die Behörden jemals hinter sein Geheimnis kamen, würden sie ihn einsperren, vielleicht sogar töten, denn es war eine Laune der Menschheit, das zu vernichten, was man nicht verstand.

Aber es war egal.

Blade hatte geschafft, was jedem vor ihm versagt geblieben war, und er hatte sein Leben für die Menschheit geopfert – eben jene Menschheit, die ihn hasste. Das war eine so bittere Ironie, dass sogar Drake sie respektieren konnte.

Er hustete schwach, aus seinen Wunden rann eine schwarze Flüssigkeit. Ein Teil von ihm – ein sehr kleiner Teil – hatte immer gewusst, irgendwann würde der Tag kommen, an dem er unterliegen musste. Und ein noch kleinerer Teil hatte das sogar gewollt, hatte aus der Finsternis seiner Seele heraus geschrien und gefleht, in den unbekannten Abgrund entlassen zu werden.

Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, dann war es gerade dieses kleine bisschen Finsternis gewesen, das ihn immer unmenschlicher hatte werden lassen. So wie ein verzogenes Kind, dass die Geduld seiner Eltern mit immer unverschämteren Forderungen auf die Probe stellte. Doch irgendwann war der Tag gekommen, da hatte Drake erkennen müssen, dass er die menschliche Rasse noch so schlimm drangsalieren konnte, wie er wollte – sie hatte einfach nicht die Kraft besessen, um sich zu wehren, zumindest nicht auf eine Weise, die ihm wirklich gefährlich hätte werden können.

Damit hatte Drake sich selbst erlaubt, ein Monster zu werden. Doch jetzt sah er, dass er bei all seinen ruhmreichen Exzessen eine Sache missverstanden hatte. Er hatte die menschliche Rasse für dumm gehalten, weil sie ihm Widerstand leistete. Doch es war genau diese Dummheit gewesen, die sie hatte weitermachen lassen, selbst wenn die Logik ihnen sagte, dass sie geschlagen waren.

Drake erkannte das jetzt auf eine Weise, die er zuvor nie verstanden hatte. Er hatte den Menschen über die Jahre hinweg immer wieder die Gelegenheit gegeben, vor ihm zu kapitulieren, sich zu beugen und ihn in ihrem Herzen zu akzeptieren, während sie sein Blut in Leib und Seele aufnahmen. Auch wenn sie nicht vollkommen waren, hätten sie es werden können, indem sie ihn und seine Art akzeptierten. Sie wären zu Vampiren geworden, bestens gerüstet, um die Jahrtausende so zu überleben, wie sie jetzt den Wechsel der Jahreszeiten mitmachten.

Mit dieser Veränderung würden sie auch die Motivation verlieren, die die Menschheit zu immer neuen Höhen der Kreativität antrieb. Verzweifelt strebten sie danach, zu bauen, zu erfinden und zu erschaffen, um sich nicht mit der einen Sache befassen zu müssen, die sie am meisten fürchteten: den Augenblick des Todes.

Aber nein, sie wollten nicht einlenken. Sie wehrten sich mit Fäusten, Äxten, Pfeilen, Schwertern und Schusswaffen, um nicht das, was sie waren, zu ändern, selbst wenn sie dafür sterben mussten.

Und nach Tausenden von Jahren hatten sie es endlich geschafft. Ihr technologisches Geschick hatte die Schwäche ihrer zerbrechlichen Körper übertroffen und eine Waffe geschaffen, die so mächtig war, dass sie sogar den Begründer der gesamten Vampirrasse auslöschen konnte.

Mit dieser genialen Ausgeburt an Kreativität war es ihnen endlich gelungen, ihre bescheidenen Ursprünge abzuschütteln und sich an die Spitze der Nahrungskette zu setzen. Sie hatten es geschafft, das für sich zu beanspruchen, wovon sie glaubten, es sei ihr gutes Recht: die völlige Herrschaft über den Planeten.

Aber am Ende hatte sich nur ein einziger Mann opfern müssen, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Drakes Blick kehrte zurück zu Blade, der regungslos inmitten der Trümmer lag. Die Lippen des Daywalkers waren blass, sein nassgeschwitzter Körper war von einer feinen Staubschicht bedeckt. Er drehte den Kopf ungeschickt zur Seite, um Blades Gesicht besser sehen zu können. „Gut gemacht, Jäger“, flüsterte er. „Gut gemacht.“

Er erhielt keine Antwort. Drake sank zurück auf die zerschmetterten Fliesen, ein Schauder lief durch seinen Körper, als sich seine Lungen mit verkohlter Zellmaterie füllten.

Er rang nach Luft, sein Brustkorb hob sich mühselig. „Du hast ehrbar gekämpft… so wie ich es erwartet hatte.“ Blade ließ nicht erkennen, dass er ihn gehört hatte. Drake wandte den Kopf ab und entdeckte etwas, das halb unter einer zerschlagenen Statue lag. Es war ein verkohlter Vampirschädel, schwarz und so fein wie getrocknetes Laub. Er streckte sich danach aus, sein polierter Panzerhandschuh schabte über die Bodenfliesen. Als er den Schädel mit den Fingerspitzen berührte, begann er, in sich zusammenzufallen. Drake sah verwundert mit an, wie sich der Schädel in ein schwarzes Granulat verwandelte, dass sich auf dem Boden verteilte wie der Sand einer Sandburg, die von einer Welle getroffen wurde.

Er lächelte schwach. So sehr die Vampire auch damit geprahlt hatten, den Menschen überlegen zu sein, waren sie doch nur in deren Fußstapfen getreten. Sie hatten erkannt, dass sie schwach waren, und sie hatten versucht, diese Schwäche durch Technologie auszugleichen. Sie hatten ihren Urahn aus dem Grab geholt, um die Geheimnisse seines Blutes zu entschlüsseln. Und genau damit hatten sie dann ihr eigenes Schicksal besiegelt.