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»Cojote wird euch von Tharsis wegbringen«, gab sie bekannt. Sie fühlte sich unwohl und verließ den Raum, ging durchs Terminal und durch die Schleuse wieder in ihren Rover. Das Handy von Kasei lag auf dem Armaturenbrett; sie warf es aufstöhnend durch die Kabine. Sie setzte sich auf den Fahrersitz und nahm sich zusammen. Dann startete sie den Wagen und machte sich auf, um nach Nadia, Sax und dem ganzen Rest Ausschau zu halten.

Endlich befand sie sich wieder in Ost-Pavonis: und in dem Lagerhauskomplex waren sie alle noch da. Als sie zur Tür hereinkam, starrten sie sie an, als wäre der Angriff auf das Kabel ihre Idee gewesen und als ob sie persönlich verantwortlich wäre für alles Üble, das geschehen war, sowohl an diesem Tage wie während der ganzen Revolution. Genau so, wie man sie nach Burroughs angestarrt hatte. Peter, der Verräter, war wirklich da; und sie wandte sich von ihm ab und ignorierte die übrigen, oder versuchte es wenigstens. Jackie mit verweinten Augen und wütend. Ihr Vater war schließlich an diesem Tag getötet worden; und obwohl sie sich selbst in Peters Camp befunden hatte und damit zum Teil schuld an der verheerenden Reaktion auf die Offensive der Roten, konnte man mit einem Blick auf sie erkennen, daß jemand würde bezahlen müssen. Aber Ann ignorierte das alles und ging durch den Raum zu Sax, der in seinem Winkel in der gegenüberliegenden Ecke des großen Raums vor einem Bildschirm saß, lange Kolumnen von Zahlen las und mit seinem Computer flüsterte. Ann wedelte mit der Hand zwischen seinem Gesicht und dem Schirm. Er schaute überrascht auf.

Eigenartigerweise war er der einzige in der Menge, der ihr keine Vorwürfe zu machen schien. Statt dessen sah er sie mit zur Seite geneigtem Kopf mit einer vogelartigen Neugier an, die fast an Sympathie grenzte.

»Schlechte Nachrichten über Kasei und den ganzen Rest«, sagte er. »Ich bin froh, daß du und Desmond überlebt habt.«

Sie überging das und sagte ihm rasch und in gedämpftem Ton, wohin die Roten gingen und was sie ihnen zu tun aufgetragen hatte. »Ich denke, ich kann sie davon abhalten, noch weitere direkte Angriffe auf das Kabel zu versuchen. Und auch von den meisten weiteren Gewaltakten abzusehen, jedenfalls vorerst.«

»Gut!« sagte Sax.

Sie fuhr fort: »Aber ich verlange etwas dafür. Ich will es, und wenn ich es nicht bekomme, werde ich sie für immer auf dich hetzen.«

»Die Soletta?« fragte Sax.

Sie starrte ihn an. Er mußte ihr öfter zugehört haben, als sie gedacht hatte. »Ja.«

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, während er darüber nachdachte. »Das könnte eine Art Eiszeit bewirken«, gab er zu bedenken.

»Gut!«

Er sah sie an und überlegte. Sie konnte ihm das ansehen — in raschen Gedankenblitzen: Eiszeit — dünnere Atmosphäre — langsameres Terraformen — neue Öko-Systeme vernichtet — vielleicht ausgleichen — Treibhausgase. Und so weiter und so fort. Es war fast komisch, wie sie im Gesicht dieses Fremden lesen konnte, wie dieser verhaßte Bruder einen Ausweg suchte. Er würde immer weiter zusehen; aber Wärme war der wichtigste Antrieb des Terraformens, und wenn die riesige Anordnung von Spiegeln in der Soletta verschwunden wäre, wären sie auf das normale Niveau an Sonnenlicht für den Mars beschränkt und damit zu einem eher ›natürlichen‹ Tempo des Fortschritts gezwungen. Es war möglich, daß die damit zusammenhängende Stabilität den Konservatismus von Sax sogar ansprach.

»Okay!« sagte er.

»Kannst du für diese Leute sprechen?« fragte sie und zeigte geringschätzig auf die Menge hinter ihnen, als ob all ihre ältesten Gefährten nicht darunter wären, als ob es sich um UNTA-Technokraten oder Metanat- Funktionäre handelte...

»Nein. Ich spreche nur für mich«, erwiderte er. »Aber ich kann die Soletta loswerden.«

»Würdest du das ihren Wünschen entgegen tun?«

Er runzelte die Stirn. »Ich denke, daß ich sie dazu überreden kann. Falls nicht, so weiß ich, daß ich das Da-Vinci-Team dazu bringen kann. Die lieben Herausforderungen.«

»Okay«, sagte sie.

Das war schließlich das beste, was sie von ihm bekommen konnte. Sie reckte sich, immer noch in Verlegenheit. Sie hatte nicht erwartet, daß er zustimmen würde. Und jetzt, da er es doch getan hatte, entdeckte sie, daß er immer noch ärgerlich war, immer noch mißmutig. Die Konzession, die sie jetzt hatte, bedeutete nichts. Man würde andere Wege aushecken, um die Lage anzuheizen. Sax würde ohne Zweifel sein Argument zu diesem Punkt vorbringen. Er würde sagen: ›Gebt Ann die Soletta als ein Mittel, um die Roten zu bestechen. Und dann drängt weiter !‹

Ann verließ den großen Raum ohne einen Blick für die anderen. Raus aus dem Lagerhaus zu ihrem Rover.

Eine Weile fuhr sie blind dahin, ohne ein Gefühl für die Richtung. Nur wegkommen, nur ausreißen. So wandte sie sich zufällig nach Westen und mußte bald danach anhalten oder die Kante des Randes überqueren.

Abrupt hielt sie den Wagen an.

Benommen blickte sie durch die Frontscheibe. Im Mund einen bitteren Geschmack, die Eingeweide verkrampft, jeden Muskel angespannt und schmerzend. Der große Ring um die Caldera rauchte an einigen Stellen, hauptsächlich bei Sheffield und Lastflow, aber auch an einem Dutzend anderer Punkte. Das Kabel über Sheffield war nicht zu sehen, aber es war noch da, markiert durch konzentrierten Rauch um seine Basis, der bei dem dünnen, steifen Wind nach Osten zog. Wieder ein Banner des Gipfels, entfaltet durch den endlosen Strahlstrom. Die Zeit war ein Wind, der sie davontrieb. Die Rauchfahnen befleckten den dunklen Himmel und verdunkelten einige der vielen Sterne, die in der Stunde vor Sonnenuntergang erschienen. Es sah so aus, als ob der alte Vulkan wieder erwachen würde, als ob er sich aus seinem langen Schlaf erheben und sich auf einen Ausbruch vorbereiten würde. Durch den dünnen Rauch war die Sonne ein dunkelrot glühender Ball und sah ganz ähnlich aus, wie ein junger geschmolzener Planet wohl erschienen wäre, dessen Farbe die Rauchfetzen kastanienbraun, rost- und karmesinfarben machte. Roter Mars.

Aber der rote Mars war dahin und endgültig entschwunden. Soletta oder nicht, Eiszeit oder nicht — die Biosphäre würde wachsen und sich ausdehnen, bis sie alles bedeckte mit einem Ozean im Norden und Seen im Süden und mit Strömen, Wäldern, Prärien, Städten und Straßen. Oh, sie sah das alles: Weiße Wolken, die auf die alten Hochebenen abregneten und sie in Schlammlöcher verwandelten, während die sorglosen Massen ihre Städte erbauten, so schnell sie konnten — der lange Ausklang einer Zivilisation, die ihre Welt begrub.

ZWEITER TEIL

Areophanie

Für Sax sah es aus wie die ultima ratio von Konflikten: Bürgerkrieg. Zwei Teile einer Gruppe hatten viel mehr Interessen gemeinsam als Meinungsverschiedenheiten. Aber sie kämpften dennoch. Unglücklicherweise war es nicht möglich, Menschen zum Studium der Analyse von Kosten und Nutzen zu zwingen. Da war nichts zu machen. Oder vielleicht könnte man doch eine oder beide Seiten zum Gewaltverzicht bewegen. Und danach dann versuchen, dieses Thema zu entschärfen.

Eine Crux war in diesem Fall das Terraformen. Ein Projekt, mit dem Sax sich identifiziert hatte. Das konnte man als einen Nachteil ansehen, da ein Vermittler im Idealfall neutral sein sollte. Andererseits könnten seine Aktionen symbolischfür das Bemühen des Terraformens an sich sprechen. Er könnte mit einer symbolischen Geste mehr ausrichten als jeder andere. Was man brauchte, war eine Konzession an die Roten, eine echte Konzession, deren Realität ihren symbolischen Wert durch irgendeinen verborgenen Exponentialfaktor vergrößern würde. Symbolischer Wert war eine Vorstellung, mit der Sax eifrig klar zu kommen bemüht war. Worte aller Art machten ihm jetzt Schwierigkeiten, so sehr, daß er auf die Etymologie zurückgegriffen hatte, um sie besser zu verstehen. Ein Blick auf das Handgelenk: Symbol — ›etwas, das für etwas anderes stehU, aus dem lateinischen ›symbolum‹, nach einem griechischen Wort, das ›zusammenwerfen‹ bedeutet. Genau. Es war seinem Verständnis fremd, dieses ›Zusammenwerfen‹, ein emotionaler und sogar irrealer Vorgang, aber dennoch lebenswichtig.