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Und dann überkam sie wieder das Gefühl, die vorepileptische Aura des presque vu, die glitzernde See, eine weite Bedeutsamkeit, die alles übergoß, überall immanent war, sich aber knapp außerhalb der Reichweite des Bewußtseins hielt, und auf den Dingen lastete ... Mit einem leichten Ruck kam sie darauf. Daß der eigentliche Aspekt des Phänomens dieses selbst war, daß die Bedeutung von allem immer knapp außer Reichweite lag, in der Zukunft, und sie vorwärts zog. Daß man in besonderen Momenten diesen gezeitenartigen Zug des Werdens wie einen Eindruck scharfer glücklicher Vorwegnahme empfand, wie sie ihn gehabt hatte, als sie aus der Ares auf den Mars hinunterblickte, wobei ihr unbewußter Sinn nicht von dem Abfall einer toten Vergangenheit erfüllt war, sondern von den unvorhersehbaren Möglichkeiten der lebendigen Zukunft. Ja, alles konnte geschehen, einfach alles. Und als so das presque vu langsam von ihr wich, ungesehen und dennoch diesmal verstanden, saß sie erfüllt und strahlend auf der Bank. Hier war sie schließlich und endlich angelangt, und das Potential des Glücks würde immer in ihr sein.

DREIZEHNTER TEIL

Experimente

In letzter Minute kam Nirgal nach Sheffield herauf. Er nahm vom Bahnhofaus die U-Bahn zum Sockel, ohne nach links oder rechts zu sehen. In den großen Hallen der Muffe ging er zur Abfahrtlounge. Und da war sie.

Als sie ihn erblickte, freute sie sich, daß er gekommen war, war aber verwirrt, weil er so spät kam. Es warfast Zeit zu gehen für sie. Am Kabel hinauf, hoch ein Shuttle, hinaus zu einem der frisch ausgehöhlten Asteroiden. Dieser war besonders groß und luxuriös. Und dann schon wieder fort und weiter. Beschleunigung einige Monate lang mit einer der auf dem Mars entsprechenden Schwere, bis er mit einigen Prozenten der Lichtgeschwindigkeit dahintreiben konnte. Denn dieser Asteroid war ein Sternenschiff; und sie waren unterwegs zu einem Stern nahe Aldebaran, wo ein dem Mars ähnlicher Planet in einem der Erde ähnlichen Orbit um eine Sol ähnliche Sonne rollte. Eine neue Welt, ein neues Leben. Und Jackieflog mit.

Nirgal konnte das immer noch nicht ganz glauben. Er hatte erst vor zwei Tagen die Mitteilung bekommen und seither nicht geschlafen, als er sich zu entscheiden suchte, ob das eine Rolle spielte, ob es ein Teil seines Lebens war, ob er sie verabschieden sollte, ob er versuchen sollte, ihr das auszureden.

Als er sie jetzt sah, konnte er ihr nicht abraten. Sie war im Aufbruch begriffen. Ich will etwas Neues ausprobieren, hatte sie in ihrer Nachricht gesagt, einer Stimmaufzeichnung ohne visuelles Bild. Da kam von seinem Handgelenk ihre Stimme: Es gibt hier für mich nichts mehr. Ich habe meinen Teil beigetragen. Ich will etwas Neues versuchen.

Die Gruppe im Sternenschiff war größtenteils von Dorsa Brevia. Nirgal hatte Charlotte angerufen, um herauszubekommen, warum. Charlotte sagte: Es ist kompliziert. Es gibt eine Menge Gründe. Dieser Planet, zu dem sie gehen, ist verhältnismäßig nahe undfürs Terraformen bestens geeignet. Die Menschheit tut hier einen großen Schritt. Den ersten Schritt zu den Sternen.

Ich weiß, hatte Nirgal gesagt. Es waren schon eine ganze Anzahl Sternenschiffe zu anderen aussichtsreichen Planeten gestartet. Der Schritt war schon gemacht worden.

Aber dieser Planet ist immer noch der beste. Und in Dorsa Brevia fragen sich die Leute, ob wir nicht diesen Abstand von der Erde für einen neuen Anfang nutzen sollten. Der härteste Teil ist das Verlassen der Erde. Undjetzt sieht es wieder schlimm aus. Diese nicht genehmigten Einwanderungen könnten der Anfang einer Invasion sein. Und wenn man glaubt, der Mars sei die neue demokratische Gesellschaft und die Erde der alte Feudalismus, dann kann der Zustrom so gedeutet werden, als ob das Alte das Neue erdrücken wollte, ehe es zu groß wird. Sie sind uns im Verhältnis von zwanzig Milliarden zu zwei zahlenmäßig überlegen. Darum überlegen die Leute in Dorsa Brevia, ob sie etwas mehr Distanz gewinnen können. Zum Aldebaran sind es nur zwanzig Jahre, und sie werden lange leben. Darum macht das eine Gruppe von ihnen. Familien, Familiengruppen, Paare ohne Kinder, kinderlose Einzelpersonen. Es ist wie bei den Ersten Hundert, die zum Mars gingen, wie in den Tagen von Boone und Chalmers.

Und so saß Jackie nun auf dem Teppichboden der Abfluglounge, und Nirgal war bei ihr. Sie blickte nach unten. Sie glättete den Teppich mit der Hand und zeichnete Figuren oder Buchstaben in das Gewebe. Sie schrieb: Nirgal.

Er setzte sich neben sie. Die Lounge war voll, aber es herrschte Ruhe. Die Menschen sahen ernst, blaß, erregt, nachdenklich oder strahlend aus. Durch ein breites Fenster schauten sie in das Innere der Sockelmuffe, wo Aufzugswaggons an den Wänden lehnten und der Fuß des 37000 Kilometer langen Kabels zehn Meter über dem Betonboden schwebte.

Also gehst du, sagte Nirgal.

Ja, sagte Jackie. Ich will einen Neubeginn versuchen.

Nirgal sagte nichts.

Es wird ein Abenteuer, sagte sie.

Gewiß. Er wußte nicht, was er sonst sagen sollte.

In den Teppich schrieb sie: Jackie Boone went to the Moon.

Es ist eine erhabene Idee, wenn man es bedenkt, sagte sie. Die Menschheit breitet sich in die Galaxis aus. Stern um Stern, immer weiter nach draußen. Das ist unsere Aufgabe. Ich habe Gerüchte gehört, daß Leute sagten, Hiroko sei längst dort draußen. Sie und ihr Volk hätten eines der ersten Sternenschiffe bestiegen, die zu Barnards Stern flogen. Um eine neue Welt in Angriff zu nehmen. Viriditas zu verbreiten.

Das ist so wahrscheinlich wie jede andere Geschichte, erwiderte Nirgal. Und es stimmte. Er konnte sich vorstellen, daß Hiroko es tat, wieder startete, sich mit der neuen Diaspora, der neuen Menschheit zwischen den Sternen zusammentat. Erst Besiedlung der nahen Planeten und dann von dort aus weiter. Ein Schritt aus der Wiege. Das Ende der Vorgeschichte.

Er starrte ihr Profil an, während sie auf den Teppich schrieb. Dies war der Moment, da er sie zum letzten Mal sehen würde. Pur jeden von ihnen beiden war es so, als ob der andere stürbe.

Das traffür viele der Paare zu, die in diesem Raum schweigend beisammen hockten. Diese Leute mußten jeden verlassen, den sie kannten.

Und das war das Erste Hundert. Das war es, warum sie -alle so seltsam gewesen waren. Sie waren gewillt, die Menschen zu verlassen, die sie kannten, um mit neunundneunzig Fremden fortzugehen. Einige von ihnen waren berühmte Wissenschaftler gewesen, und alle dürften Eltern gehabt haben. Aber keiner von ihnen hatte Kinder gehabt, keiner war verlobt gewesen, mit Ausnahme der drei Ehepaare, die zu den Ersten Hundert gehört hatten. Kinderlose Singles mittleren Alters, bereit für einen neuen Anfang. Das waren sie gewesen. Und jetzt war Jackie wieder so: kinderlos, ohne Partner.

Nirgal wandte den Blick ab und schaute zurück. Da war sie, frisch in dem Licht. Ein feiner Glanz auf ihrem schwarzen Haar. Sie schaute zu ihm auf und dann wieder nach unten. Sie schrieb: Wo immer du auch hingehst, da bist du.

Sie blickte wieder zu ihm auf undfragte: Was meinst du, was uns passiert ist?