Natürlich half es nicht, daß ihm manche seiner besten Gedanken zu dem Thema im Moment ihres Abschlusses verloren gingen. Er mußte imstande sein, diese flüchtigen Gedanken aufzuzeichnen, ehe sie verschwanden! Er fing an, laut Selbstgespräche zu führen, auch in der Öffentlichkeit, in der Hoffnung, das würde ihm helfen, die Ausfälle zu verhindern. Aber das klappte nicht. Es war einfach kein verbaler Prozeß.
Bei all dieser Arbeit waren die Begegnungen mit Maya ein Vergnügen. Jeden Abend, wenn er merkte, daß es dunkel wurde, pflegte er mit Lesen aufzuhören und ging die Stufentreppen der Stadt hinunter zur Corniche; und dort sah er auf einer von vier verschiedenen Bänken oft Maya, wie sie da saß und über den Hafen in die See schaute. Dann ging er zu einem der Lebensmittelstände hinten im Park, kaufte einen Burrito, Gyros oder Salat oder einen Corndog, kam herüber und setzte sich neben ihr hin. Sie nickte, und sie aßen dann, ohne viel zu sprechen. Danach betrachteten sie schweigend die See.
»Wie war dein Tag?« — »Okay, und deiner?« Er versuchte, nicht viel über seine Lektüre zu sprechen; und sie sagte nicht viel über ihre Hydrologie oder die Theaterproduktionen, zu denen sie ging, wenn die Dämmerung eingefallen war. Sie hatten sich eigentlich nicht viel zu sagen. Aber es war jedenfalls gesellig. Eines Abends flammte der Sonnenuntergang mit ungewöhnlichem Lavendelglanz, und Maya wunderte sich: »Ich möchte wissen, was für eine Farbe das ist.« Und Sax mutmaßte: »Lavendel?«
»Aber Lavendel ist doch gewöhnlich eher pastellfarben, nicht wahr?« Sax rief eine große Farbkarte auf, die er vor längerer Zeit gespeichert hatte, um damit die Farben des Himmels zu bestimmen. Maya murrte darüber; aber hielt sein Handgelenk dennoch hoch und verglich verschiedene Probequadrate mit dem Himmel. »Wir brauchen einen größeren Bildschirm.« Und dann fanden sie eine Farbe, die zu passen schien: Hellviolett. Oder irgendwo zwischen Hellviolett und Blaßviolett.
Danach hatten sie ein kleines Hobby. Es war wirklich bemerkenswert, wie verschieden die Farben der Sonnenuntergänge in Odessa waren und den Himmel, das Meer und die weißgetünchten Wände der Stadt beeinflußten. Eine endlose Variation. Viel mehr Variationen, als es Namen für sie gab. Die Armut der Sprache auf diesem Gebiet war für Sax eine ständige Überraschung. Sogar die Armut seiner Farbtafel. Das Auge konnte vielleicht zehn Millionen verschiedener Tönungen erkennen, wie er las. Das Handbuch, auf das er Bezug nahm, enthielt 1266 Beispiele. Und nur ein sehr kleiner Bruchteil davon hatte überhaupt einen Namen. Darum streckten sie an den meisten Abenden die Arme aus und probierten verschiedene Farben vor dem Himmel. Dann fanden sie einen Fleck, der recht gut paßte, und er trug keinen Namen. Dann erfanden sie Namen: der 11. des 2. Oktobers, Orange, Aphel Purpur, Limonenblatt, Fast Grün, Arkadijs Bart. Maya konnte immer so weitermachen. Sie war darin wirklich gut. Dann fanden sie manchmal eine Namensbezeichnung, die zum Himmel paßte (wenigstens für einen Augenblick) und lernten die wahre Bedeutung eines neuen Wortes kennen, die Sax befriedigte. Aber in dem Bereich zwischen Rot und Blau hatte das Englische überraschend wenig zu bieten. Die Sprache war eben einfach nicht für den Mars ausgerüstet. Eines Abends gingen sie in der Dämmerung nach einem malvenfarbenen Sonnenuntergang die Farbtafel methodisch durch, nur um zu sehen: Purpur, Magenta, Lilagrau, Amaranth, Aubergine, Malve, Amethyst, Pflaume, Violett, Heliotrop, Clematis, Lavendel, Indigo, Hyazinth, Ultramarin, und dann kamen sie zu den Worten für Blautöne. Es gab sehr viele davon. Aber für die rotblaue Spanne waren es, mit Ausnahme der vielen Modulationen der Liste, Königsviolett, Lavendelgrau und so weiter.
Eines Abends war der Himmel klar; und nachdem die Sonne hinter den Hellespontus Montes untergegangen war, die Luft über der See aber noch erhellte, verwandelte sie sich in ein sehr vertrautes rostbraunes Orange. Maya packte Sax heftig am Arm: »Schau, das ist Mars-Orange, das ist die Farbe des Planeten aus dem Weltraum, wie wir sie aus der Ares gesehen haben! Schau! Schnell, welche Farbe ist das?«
Sie sahen die hochgehaltenen Tafeln durch. »Paprikarot.« — »Tomatenrot.« — »Oxidrot, das sollte richtig sein, denn Eisen bewirkt ja auch diese Farbe.«
»Aber es ist ein wenig zu dunkel. Sieh hin!«
»Stimmt.«
»Bräunlichrot.«
»Rötlichbraun.«
Zimt, Sienna, Persisch Orange, Sonnenbrand, Kamel, Rostbraun, Sahara, Chromorange... Sie lachten. Nichts war genau richtig. Maya entschied: »Wir nennen es Mars-Orange.«
»Fein! Aber schau, wieviel mehr Namen es für diese Farben gibt als für die Purpurtöne. Warum das?«
Maya zuckte die Achseln. Sax las weiter im Begleitmaterial für die Tafel, um zu sehen, ob dort etwas darüber gesagt wurde. »Ah! Es scheint, daß die Stäbchen in der Netzhaut dazu tendierten, in den drei Grundfarben am besten zu sehen. Darum gibt es in der Nähe davon viele Unterscheidungen, während die dazwischen liegenden gemischt sind.« Dann fiel ihm in der sich purpurn färbenden Dämmerung ein Satz ein, der ihn so überraschte, daß er ihn laut vorlas:
»Rot und Grün bilden ein weiteres Paar, das man nicht simultan als Komponenten der gleichen Farbe erkennen kann.«
»Das stimmt nicht«, sagte Maya sofort. »Das ist nur, weil sie einen Farbkreis benutzen und diese beiden auf entgegengesetzten Seiten liegen.«
»Was meinst du? Daß es mehr Farben gibt als diese?«
»Natürlich. Künstlerfarben, Theaterfarben. Wenn man jemandem einen grünen Fleck und einen roten Fleck aufträgt, bekommt man wohl eine Farbe, und die ist nicht rot oder grün.«
»Aber was ist sie? Hat sie einen Namen?«
»Ich weiß nicht. Schau in das Farbenrad eines Künstlers!«
Und das tat er, und sie auch. Sie fand es zuerst: »Hier. Gebrannte Umbra, indisches Rot, Krapp-Alizarin... Das sind alles grünrote Mischungen.«
»Interessant! Rotgrüne Mischungen!... lauter grünrote Mischungen.«
Sie sah ihn an. »Wir sprechen hier über Farben, Sax, und nicht über Politik.«
»Ich weiß, ich weiß. Sei nicht albern!«
»Aber meinst du nicht, daß wir eine rotgrüne Mischung brauchen?«
»Politisch? Sax, es gibt schon eine rotgrüne Mischung. Das ist das Problem. Der Freie Mars hat die Roten an Bord genommen, um die Einwanderung zu stoppen, und darum sind sie so erfolgreich. Sie schließen sich zusammen und sperren den Mars für die Erde, und bald werden sie wieder Krieg mit ihnen führen. Ich sage dir, das kann ich kommen sehen. Wir rutschen wie auf einer Spirale hinein.«
»Hmm«, machte Sax ernüchtert. Er kümmerte sich in diesen Tagen nicht um die Politik des Sonnensystems, wußte aber, daß Maya, die ein sehr scharfes Auge für diese Dinge hatte, sich immer mehr Sorgen darüber machte — mit dem bei ihr üblichen sarkastischen Spritzer von Genugtuung angesichts des Nahens der Krise. Darum war es vielleicht nicht ganz so schlimm, wie sie meinte. Wahrscheinlich würde er sich bald wieder darum kümmern müssen. Aber inzwischen ...
»Das ist nicht Indigo, das ist Königsblau.«
»Aber sie sollten es nicht blau nennen, wenn etwas Rot darin ist.«
»Sollten sie nicht. Schau, Marineblau, Preußischblau, Königsblau — da ist überall Rot drin.«