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Er ging quer über den Boden des Südkreises. An diesem Morgen war der Himmel ein dunkles Indigo, dunklem Marineblau sehr nahe, wie die Farbtafel sagte. Eine merkwürdige Namenswahl, wenn man bedachte, wie dunkel sie war. Viele Sterne waren zu sehen. Der Horizont war eine runde, nach allen Seiten aufsteigende Klippe. Der südliche Halbkreis drei Kilometer hoch, der nordöstliche Quadrant zwei Kilometer, der nordwestliche Quadrant drei Kilometer und zerklüftet. Wirklich ein erstaunlicher Anblick, diese Rundheit. Thermodynamik von abkühlendem Gestein in Magmakammern und Magmatrichtern. Draußen, inmitten der umgebenden Wände, bot sich ein atemberaubendes Bild. Die Wände sahen nach allen Richtungen gleich hoch aus, ein Schulbeispiel für die Fähigkeit der Verkürzung der Wahrnehmung vertikaler Distanzen.

Sax marschierte mit gleichmäßigen Schritten dahin. Der Calderaboden war ziemlich glatt, mit gelegentlichen Lavabomben- und Meteoritentreffern und flachen gebogenen Gräben. Einige von ihnen mußte man umgehen — ein sehr passendes Wort, da es sich wirklich um Umgehungen handelte. Aber zum größten Teil konnte er direkt auf den gebrochenen Klippensturz im Nordwestquadrant der Caldera zugehen.

Es erforderte sechs Stunden ständigen Marschierens, den Boden des Südkreises zu durchqueren, der weniger als zehn Prozent des Gesamtareals der Caldera ausmachte, von dem der ganze Rest für ihn während des Marsches unsichtbar blieb. Kein Anzeichen von Leben, keinerlei Störung des Calderabodens oder der Wände. Die Atmosphäre war sichtlich dünn, alles gleich scharf für das Auge, etwa um die ursprünglichen zehn Millibar, schätzte er. Die unberührte Natur der Dinge machte ihn unsicher wegen der Abdrücke seiner Stiefel; und er versuchte, auf harten Fels zu treten und Staubflecke zu vermeiden. Der Anblick der urtümlichen Landschaft war seltsam befriedigend: Rötlich, obwohl die Farbe meist ein Überzug aus dunklem Basalt war. Seine Farbtafel war bei ungewöhnlichen Mischungen nicht so gut.

Sax war noch nie in eine der großen Calderas hinunter gestiegen. Und selbst wenn man viele Jahre in großen Impaktkratern verbracht hatte, so war man, wie er fand, nicht vorbereitet auf die Tiefe der Kammern, die Steilheit der Wände und die Ebenheit des Bodens. Die schiere Größe der Dinge.

Um die Mitte des Nachmittags näherte er sich dem Fuß des nordwestlichen Bogens. Das Zusammentreffen von Felswand und Boden tauchte über seinem Horizont auf, und zu Saxens Trost erschien die Blockhütte direkt vor ihm. Seine APS-Peilung war recht genau gewesen. Keine komplizierte navigatorische Leistung, aber an einer so exponierten Stelle war es erfreulich, wenn man richtig auf Kurs war. Seit seinem Erlebnis in dem Sturm vor langer Zeit war er etwas achtsamer geworden. Allerdings würde es hier oben auch keine Stürme geben.

Als er sich den Schleusentüren der Hütte näherte, erschien aus dem Grund einer ungeheuer steilen Rinne in der gebrochenen Fläche der Klippe, die ungefähr einen Kilometer westlich der Schutzhütte in den Kraterboden einmündete, eine Gruppe von Leuten. Es waren vier Gestalten mit großen Rucksäcken. Sax blieb stehen. In seinem Helm war der Atem laut zu vernehmen. Er erkannte die letzte Person sofort. Ann kam herein, um sich wieder zu versorgen. Jetzt mußte er sich etwas ausdenken, das er ihr sagen konnte. Und es dann auch nicht vergessen.

In der Hütte nahm Sax seinen Helm ab und fühlte dabei eine vertraute, aber höchst unwillkommene Spannung im Magen. Es ging bei jeder Begegnung mit Ann immer schlechter. Er drehte sich um und wartete. Endlich kam Ann herein, nahm den Helm ab und sah ihn. Sie stutzte, als sähe sie ein Gespenst und rief: »Sax?«

Er nickte. Er erinnerte sich an ihre letzte Zusammenkunft vor langer Zeit auf der Insel von Da Vinci. Das kam ihm vor wie ein früheres Leben. Er hatte seine Zunge verloren.

Ann schüttelte den Kopf und lachte vor sich hin. Sie durchquerte den Raum mit einer Miene, die er nicht deuten konnte, und erfaßte mit beiden Händen seine Arme, beugte sich vor und küßte ihn sanft auf die Wange. Als sie sich zurückzog, hielt sie mit einer Hand weiter seinen linken Arm fest und ließ sie bis zum Handgelenk heruntergleiten. Sie sah ihn direkt an, und ihr Griff war wie Stahl. Sax war wieder sprachlos, obwohl er sehr zu sprechen wünschte. Aber es gab nichts zu sagen, oder zu viel. Er konnte nicht einmal sagen, welches von beiden. Seine Zunge war wie gelähmt. Diese Hand auf seinem Handgelenk. Das hinderte ihn mehr, als jeder scharfe Blick oder jede schneidende Bemerkung es je bewirkt hätten.

Eine Welle schien durch sie zu laufen, und sie wurde etwas mehr zu der Ann, die er kannte. Sie sah ihn bedenklich und dann alarmiert an. »Sind alle okay?«

»Ja, ja«, sagte Sax. »Ich meine, du hast von Michel gehört?«

»Ja.« Ihr Mund verengte sich. Für eine Sekunde wurde sie die schwarze Ann seiner Träume. Dann durchfuhr sie etwas anderes, und sie war diese neue Fremde, die immer noch sein Handgelenk umklammert hielt, als ob sie die Hand wegschleudern wollte. »Aber jetzt bist du einfach hier, um mich zu besuchen.«

»Ja. Ich wollte...« — er suchte krampfhaft nach einem Schluß dieses Satzes — »...reden! Ja, dir — einige Fragen stellen. Ich habe Schwierigkeiten mit meinem Gedächtnis. Ich fragte mich, ob wir hier miteinander sprechen könnten. Marschieren oder...« — er schluckte — »oder klettern. Könntest du mir etwas von der Caldera zeigen?«

Sie lächelte. Wieder war es eine andere Ann. »Du kannst mit mir klettern, wenn du willst.«

»Ich bin kein Kletterer.«

»Wir werden auf einer leichten Route aufsteigen. Wangs Gully hinauf und über den großen Kreis zum Nordkreis. Ich wollte ohnehin dort hinauf, solange es noch Sommer ist.«

»Es ist jetzt Ls 200. Aber ich finde, das klingt gut.« Sein Herz machte ungefähr 150 Schläge in der Minute.

Es stellte sich heraus, daß Ann alle benötigte Ausrüstung hatte. Als sie sich am nächsten Morgen anzogen, sagte sie zu ihm: »Hier, nimm das ab!« Sie zeigte auf sein Armbandgerät.

»Oje, ist das nicht ein Teil des Anzugsystems?« Das war es und Sax war nicht begeistert; aber sie schüttelte den Kopf. »Der Anzug ist autonom.«

»Halbautonom, hoffe ich.«

Sie lächelte. »Ja. Aber es ist kein Armbandgerät nötig. Schau — dies Ding verbindet dich mit der ganzen Welt. Es ist deine Handfessel zur Raumzeit. Heute wollen wir bloß in Wangs Gully gehen. Das wird genügen.«

Es war genug. Wangs Gully war eine breite verwitterte Rinne, die durch steilere Klippen nach oben eingeschnitten war wie ein gigantischer defekter Abzugskanal. Den größten Teil des Tages folgte Sax Ann durch engere Rinnen innerhalb dieser großen. Er krabbelte hüfthohe Stufen hinauf und benutzte die meiste Zeit seine Hände, aber selten mit dem Gefühl, daß ihn ein Sturz töten würde oder mehr als einen verrenkten Knöchel einbringen könnte. »Das ist nicht so gefährlich, wie ich gedacht hatte«, sagte er. »Ist das die Art von Kletterei, die du auch sonst immer machst?«

»Das hier ist überhaupt kein Klettern.«

»Ah.«

Also stieg sie normalerweise steilere Hänge empor.

Schon jetzt mit Sax ging sie Risiken ein, die eigentlich unverantwortlich waren.

Und in der Tat, am Nachmittag kamen sie zu einer kurzen Wand, die von horizontalen Rissen durchzogen war. Ann machte sich daran, sie ohne Seile oder Haken hochzuklettern. Sax folgte zähneknirschend. Nahe der höchsten Stelle eines für Geckos geeigneten Anstiegs, die Stiefelspitzen und Finger in Handschuhen in kleine Spalten gepreßt, sah er hinunter auf Wangs Gully, der plötzlich im ganzen viel steiler wirkte als in jedem Abschnitt davor. Alle seine Muskeln zitterten plötzlich vor Erschöpfung und Erregung. Es gab nichts anderes, als ganz hinaufzuklettern. Aber er mußte immer wieder diese riskante Position einnehmen, während er sich beeilte, nach oben zu kommen. Die Griffe wurden gerade dann noch glatter, wenn er unbedingt schneller werden mußte, um ihr auf den Fersen zu bleiben. Der Basalt war leicht genarbt. Sein dunkles Grau war in Rost und Siena getönt. Er sah gebannt auf eine Spalte mehr als einen Meter über seiner Augenhöhe. Er würde diese Spalte benutzen müssen. War sie tief genug, daß seine Finger überhaupt einen Angriffspunkt fanden? Er mußte es riskieren. Sicher sein konnte er nicht. Also holte er tief Luft, langte hoch und probierte es. Und es zeigte sich, daß sie durchaus nicht tief genug war. Aber mit einem raschen Ruck, unfreiwillig bei der Anstrengung stöhnend, war er oben und daran vorbei. Er benutzte Griffe, die er bewußt nicht einmal sehen konnte. Und dann langte er schweratmend auf Händen und Knien dicht bei Ann an. Sie saß heiter auf einer schmalen Felsleiste.