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»Warum sollte das nicht genug sein?« fragte sie. »Ich will meine Vergangenheit nicht zurück haben. Wirklich nicht. Ich kann sie nicht ertragen.«

»Vielleicht später«, sagte Sax.

Was konnte man ihr raten? Sie war schon in Underhill so gewesen, unberechenbar und launisch. Es war erstaunlich, was für Exzentriker für die Ersten Hundert ausgewählt worden waren. Aber welche Wahl hatte das Selektionskomitee auch gehabt? Die Leute waren alle so, wenn sie nicht blöd waren. Und sie hatten kein blödes Volk auf den Mars geschickt, wenigstens nicht zuerst oder nicht zu viele. Und selbst die beschränkten Geister hatten ihre Komplexe.

»Vielleicht«, sagte sie jetzt, tätschelte seinen Kopf und nahm den Teetopf vom Brenner. »Vielleicht nicht. Ich erinnere mich so schon an zu vieles.«

»Frank?« fragte Sax.

»Natürlich. Frank, John — die sind alle hier präsent.« Sie klopfte sich mit dem Daumen auf die Brust. »Das schmerzt genug. Mehr brauche ich nicht.«

»Ah!«

Er ging wieder zurück nach draußen. Er fühlte sich vollgestopft, völlig verunsichert und aus dem Gleichgewicht. Das limbische System vibrierte wild unter dem Ansturm seines ganzen Lebens und dem Ansturm von Maya — so schön und verdammt. Jetzt wünschte er, daß sie glücklich sein möge. Aber was konnte er tun? Maya lebte ihr Elend voll aus; man könnte sagen, daß es sie glücklich machte. Oder vervollständigte. Vielleicht litt sie die ganze Zeit an dieser akut unangenehmen emotionalen Überfüllung. Oha! Es war doch so viel leichter, phlegmatisch zu sein. Und dennoch war sie so lebendig. Die Art, wie sie sie aus dem Chaos herausgepeitscht hatte, nach Süden, in Zygotes Sicherheit... So eine Stärke. All diese starken Frauen, die sich der Schrecklichkeit des Lebens stellten und sie empfanden, ohne Verneinung und ohne Abwehr. Die sie einfach erkannten und weitermachten. John, Frank, Arkadij, sogar Michel — sie alle hatten ihren großen Optimismus, Pessimismus, Idealismus, ihre Mythologien gehabt, um die Qual der Existenz zu kaschieren, alle ihre verschiedenen Wissenschaften. Und dennoch waren sie tot, auf die eine oder andere Weise ums Leben gekommen, und hatten Nadia, Maya und Ann zurückgelassen, die weitermachten. Ohne Zweifel konnte er sich glücklich schätzen, so robuste Schwestern zu haben. Selbst Phyllis machte mit der Hartnäckigkeit der Dummen ihren Weg recht gut. Jedenfalls letztlich ganz ordentlich, indem sie einfach dranblieb. Nie aufgeben. Nie etwas zugeben. Sie hatte, wie Spencer ihm gesagt hatte, gegen diese Tortur protestiert. Spencer und all ihre gemeinsamen Stunden der Aerodynamik. Spencer hatte ihm erzählt, wie sie nach zu vielen Whiskeys zum Sicherheitschef in Kasei gegangen war und verlangt hatte, er solle seine sanfte Behandlung aufgeben. Selbst nachdem er sie fast mit Stickoxid getötet und in ihrem eigenen Bett angelogen hatte. Sie schien ihm verziehen zu haben; und Spencer hatte Maya nie verziehen, obwohl er so tat, als wäre das der Fall. Sax hatte ihr verziehen, obwohl er jahrelang so getan hatte, als wäre es nicht der Fall, um eine gewisse Handhabe gegen sie zu behalten. Oh, was für einen Verhau hatten sie aus ihrem Leben gemacht. Alles infolge seiner übermäßigen Ausdehnung. Vielleicht war das immer in jedem Dorfe so. Aber so viel Trübsinn und Verrat! Vielleicht wurde die Erinnerung durch das Gefühl von Verlust ausgelöst, jetzt, da alles unausweichlich verloren war. Aber was war mit der Freude? Er versuchte sich zu erinnern. Konnte man durch Emotion umkehren? Eine interessante Idee. War das möglich? Daß man zum Beispiel wieder durch die Hallen der Terraformkonferenz ging und den Plakatanschlag sah, der den Wärmebeitrag des Russell-Cocktails auf 12 Kelvin schätzte. Daß man in Echus Overlook aufwachte und sah, daß der große Sturm vorbei war und der rosa Himmel vom Sonnenschein strahlte. Daß man die Gesichter sah im Zug, als sie aus dem Libya-Bahnhof fuhren. Daß er von Hiroko aufs Ohr geküßt wurde an einem Wintertag in Zygote, als den ganzen Nachmittag über Abend war. Hiroko! Oh, oh! Er hatte sich in der Kälte zusammengekauert, ganz verstört von dem Gedanken, durch einen Sturm getötet zu werden, gerade als die Dinge anfingen interessant zu werden. Wie er versucht hatte, seinen Wagen herbeizurufen; als es schien, daß er nicht zu ihm würde gelangen können. Und da war sie aus dem Schnee heraus erschienen, eine kleine Gestalt in einem rostroten Raumanzug, hell in dem weißen Sturm von Wind und horizontal fliegendem Schnee. Der Wind war so laut, das selbst das Interkom-Mikrophon in seinem Helm nicht mehr war als ein Flüstern. »Hiroko?« rief er, als er ihr Gesicht durch die von Schneematsch verschmierte Visierscheibe erblickte. Und sie sagte: »Ja.« Und zog ihn am Handgelenk hoch. Die Hand auf seinem Handgelenk! Er fühlte sie. Und kam hoch wie die Viriditas selbst. Die grüne Kraft durchströmte ihn, durch das weiße Rauschen, die weiße knisternde Statik. Ihr Griff war warm und fest, so voll wie das Plenum selbst. Ja. Hiroko war dort gewesen. Sie hatte ihn zum Wagen zurückgeführt, ihm das Leben gerettet und war dann wieder verschwunden. Und ganz gleich, wie sicher sich Desmond über ihren Tod in Sabishii war und wie überzeugend seine Argumente waren, ganz gleich, wie oft Kletterer in Bedrängnis sekundenlang Halluzinationen von Einzelkletterern gehabt hatten — Sax wußte es besser, wegen jener Hand auf seinem Handgelenk bei jenem Besuch im Schnee. Hiroko selbst in kompaktem Fleisch, so real wie ein Felsen. Lebendig! Darum konnte er es sich leisten, in diesem Wissen auszurasten. Er konnte etwas wissen — bei dem unerklärlichen Einsickern des Unsagbaren in alles konnte er in dieser gesicherten Tatsache Ruhe finden. Hiroko lebte. Damit sollte er anfangen und darauf aufbauen als dem Axiom lebenslänglicher Freude. Vielleicht sogar Desmond davon überzeugen und ihm Frieden geben.

Er war wieder draußen und sah sich nach Cojote um. Immer ein schwieriges Unterfangen. Welche Erinnerungen hatte Desmond von Underhill — verstecken, flüstern, die verlorene Farmcrew, dann die verlorene Kolonie, sich mit ihnen fortschleichen, draußen auf dem Mars in getarnten Felswagen umherfahren, von Hiroko geliebt werden, in einem getarnten Flugzeug bei Nacht über die Oberfläche fliegen, die Demimonde spielen, den Untergrund zusammenknüpfen. Sax konnte sich fast selbst daran erinnern, so lebhaft stand es ihm vor Augen. Telepathische Übertragung aller ihrer Stories an alle. Einhundert zum Quadrat, in den quadratischen Tonnengewölben. Nein. Das wäre zu viel. Schon die Vorstellung der Realität eines anderen war erstaunlich genug, war alles, was die Telepathie von einem verlangte oder vertragen konnte.

Aber wohin war Desmond gegangen? Hoffnungslos. Cojote konnte man nicht finden. Man wartete nur darauf, daß er einen finden würde. Er würde auftauchen, wann es ihm beliebte. Draußen, nordwestlich der Pyramiden und des Alchimistenviertels, lag das sehr alte Gerippe eines Landevehikels, wahrscheinlich eins von denen, die vor ihrer Landung abgeworfen worden waren. Sein Metall war bunt gestreift und mit Salz verkrustet. Der Anfang ihrer Hoffnungen, jetzt ein Skelett aus altem Metall, eigentlich gar nichts. Hiroko hatte ihm geholfen, es zu entladen.

Wieder im Alchimistenviertel. Alle Maschinen in den alten Gebäuden waren abgeschaltet und hoffnungslos veraltet, sogar der sehr geschickte SabatierProzessor. Er hatte sich gefreut, dieses Ding arbeiten zu sehen. Nadia hatte es eines Tages repariert, als alle anderen ratlos waren. Die kleine rundliche Frau summte eine Melodie in ihrer Welt vor sich hin und kommunizierte mit Maschinen zu Zeiten, da man sie noch verstehen konnte. Gott sei gedankt für Nadia, den Anker, der sie alle mit der Realität verband, und die einzige, auf die alle sich verlassen konnten. Er wollte sie umarmen, diese seine vielgeliebte Schwester, die anscheinend drüben im Fahrzeugpark war und versuchte, ein Museumsstück von Bulldozer in Gang zu bringen.