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Diese Caldera war eines der geologischen Wunder des Sonnensystems, ein Loch von 45 Kilometern Durchmesser und etwa fünf Kilometern Tiefe. Fast vollkommen regelmäßig in jeder Hinsicht — kreisförmig, mit ebenem Boden und fast vertikalen Wänden, ein perfekter Zylinder, der wie ein Bohrloch in den Vulkan geschnitten war. Keine der anderen drei großen Calderas erreichte diese perfekte schlichte Form. Ascraeus und Olympus waren komplizierte Palimpseste sich überlappender Ringe, während die breite flache Caldera von Arsia grob zylindrisch, aber in jeder Hinsicht zerrissen war. Allein Pavonis war ein regelmäßiger Zylinder, das platonische Ideal einer vulkanischen Caldera. Natürlich fügte von diesem wundervollen Aussichtspunkt, den sie hatte, die horizontale Schichtung der inneren Wände eine Menge unregelmäßiger Details hinzu. Rostfarbene, schwarze, schokoladen- und umbrafarbene Bänder ließen Variationen in der Zusammensetzung von Lava-Ablagerungen erkennen. Manche Bänder waren härter als die darüber und darunter befindlichen, so daß die Wand in verschiedenen Höhen von zahllosen isolierten, bogenförmigen Balkons gesäumt schien, die an der Flanke des ungeheuren Felsenschlotes saßen und zumeist nie besucht worden waren. Und der Boden war so flach! Die Senkung der Magmakammer des Vulkans, die sich mehr als 160 Kilometer unter dem Berg befand, mußte ungewöhnlich gleichmäßig gewesen sein. Sie war jedesmal an der gleichen Stelle niedergegangen. Ann fragte sich, ob man schon herausgefunden hatte, warum das so gewesen war. War die Magmakammer jünger gewesen als die anderen großen Vulkane, oder kleiner, oder war die Lava homogener gewesen... Wahrscheinlich hatte jemand dies Phänomen untersucht. Ohne Zweifel könnte sie es an ihrem Handgelenk nachschlagen. Sie gab den Code ein für das in Pavonis gedruckte Journal ofAreological Studies und fand Artikel über ›Hinweise auf strombolische explosive Aktivität, die in Sekundärgesteinen von West Tharsis gefunden wurden‹, und ›Radiale Grate in der Caldera und dem konzentrischen Graben außerhalb des Randes, die auf eine späte Absenkung des Gipfels hindeutenA Sie hatte gerade einen solchen Graben überquert. Ein weiterer Artikel beschäftigte sich mit der Freisetzung junger flüchtiger Stoffe in die Atmosphäre, berechnet aus radiometrischen Datierungen von Lastflow‹.

Sie schaltete das Armband aus. Sie war nicht mehr auf dem laufenden mit der jüngsten Areologie. Das war sie schon seit Jahren nicht mehr gewesen. Selbst die Lektüre der Zusammenfassungen würde mehr Zeit erfordern, als sie hatte. Und natürlich war eine Menge Areologie durch das Terraformungsprojekt arg behindert worden. Forscher, die für die Metanats arbeiteten, hatten sich auf Exploration und Bewertung von Ressourcen konzentriert und Anzeichen gefunden von alten Ozeanen, von der frühen warmen und feuchten Atmosphäre und möglicherweise sogar von uraltem Leben. Andererseits hatten radikale rote Wissenschaftler vor zunehmender seismischer Aktivität gewarnt, vor schnellen Absenkungen, massiven Verwüstungen und dem Verschwinden von Gesteinsformationen in ihrer ursprünglichen Verfassung. Politischer Druck hatte nahezu alles verzerrt, was in den letzten hundert Jahren über den Mars geschrieben worden war. Das Journal war die einzige Ann bekannte Publikation, die sich, wie sie wußte, allein auf Areologie im strengsten Sinne beschränkte und sich auf das konzentrierte, was in den fünf Milliarden Jahren der Einsamkeit geschehen war. Es war die einzige Publikation, die Ann noch las oder zumindest durchsah, indem sie die Titel und einige Zusammenfassungen las sowie die Mitteilungen der Herausgeber am Anfang. Ein paarmal hatte sie sogar Briefe an die Redaktion gesandt über das eine oder andere Detail, die die Verfasser ohne viel Aufhebens gedruckt hatten. Herausgegeben von der Universität in Sabishii, wurde das Journal von gleichgesinnten Areologen kritisch geprüft; und die Artikel waren exakt, gut fundiert und in ihren Folgerungen ohne erkennbare politische Absicht. Sie waren einfach Wissenschaft. Die Herausgeber befürworteten das, was man eine rote Position nennen mußte, aber nur im allerengsten Sinne, indem sie für die Erhaltung der ursprünglichen Landschaft eintraten, so daß weiterhin Studien durchgeführt werden können, die nicht durch grobe Umweltverschmutzung behindert werden. Das war von Anfang an Anns Position gewesen, und bei der war ihr am wohlsten. Sie war von dieser wissenschaftlichen Position zu politischem Aktivismus übergegangen, aber nur weil es ihr durch die Situation aufgezwungen worden war. Das traf auf viele Areologen zu, die jetzt die Roten unterstützten. Diese Menschen waren Gleichgesinnte, Leute, die sie verstand und mit denen sie sympathisierte.

Aber es waren nur wenige. Sie konnte sie fast alle einzeln nennen. Es waren die mehr oder weniger regelmäßigen Mitarbeiter des Journals. Was die übrigen Roten anging, wie Kakaze und die anderen Radikalen, so befürworteten sie eine Art von metaphysischer Position, trieben einen Kult. Sie waren religiöse Fanatiker, das Äquivalent zu Hirokos Grünen, Mitglieder einer Art felsenverehrender Sekte. Ann hatte mit ihnen im Grunde wenig gemein. Sie leiteten ihr Rotsein aus einer völlig anderen Weltanschauung ab.

Und wenn man mal annimmt, daß es diese Art von Gruppenbildung innerhalb der Roten schon gäbe, was sollte man da von der gesamten Unabhängigkeitsbewegung des Mars halten? Nun, sie würde sich entzweien. Das war schon jetzt im Gange.

Ann setzte sich nachdenklich auf die Kante des letzten Balkons. Eine herrliche Aussicht. Es schien ihr, als ob sich unten auf dem Boden der Caldera irgendeine kleine Station befände, obwohl man das aus einer Höhe von fünftausend Metern nicht genau erkennen konnte. Selbst die Ruinen des alten Sheffield waren kaum sichtbar — ah, jetzt ja, sie befanden sich unter dem Boden der neuen Stadt als ein kleiner Schutthaufen mit einigen geraden Linien und ebenen Flächen darin. Kaum erkennbare vertikale Kerben in der Wand darüber könnten durch den Fall der Stadt ’61 bewirkt worden sein. Das war schwer zu sagen.

Die überkuppelten Siedlungen, die sich noch auf dem Rand befanden, wirkten wie die Spielzeugdörfer in Briefbeschwerern. Nach Osten hin lagen Sheffield mit seiner Silhouette und die niedrigen Lagerhäuser. Ferner Lastflow und die verschiedenen kleinen Kuppeln um den ganzen Rand herum. Die meisten von ihnen waren zu einem größeren Sheffield zusammengewachsen, das fast 180° des Randes einnahm. Von Lastflow aus in Richtung Südwesten, wo Pisten dem heruntergefallenen Kabel entlang über den langen Abhang von West-Tharsis bis Amazonis Planitia folgten. Diese Städte und Stationen würden immer unter Kuppeln bleiben, weil die Luft in 27 Kilometern Höhe stets nur ein Zehntel der Dichte wie auf dem Bezugspunkt haben würde, den man auch als Meeresniveau bezeichnen konnte. Das heißt die Atmosphäre war hier oben nur dreißig oder vierzig Millibar dick.

Kuppelstädte für immer. Aber mit dem Kabel (sie konnte es gerade nicht erkennen), das Sheffield zerteilte, würde die Entwicklung sicher weitergehen, bis man eine Kuppelstadt gebaut hätte, die ganze Caldera umringend und in sie hinabschauend. Ohne Zweifel würde man auch die Caldera selbst überdachen und mit dem runden Boden etwa 1500 Quadratkilometer der Stadt hinzufügen, obwohl sie sich fragte, wer auf dem Boden eines solchen Lochs würde leben mögen, wo ringsum Felswände aufragten wie die Mauer einer runden Kathedrale ohne Dach... Vielleicht würde es manchen zusagen. Die Bogdanovisten hatten schließlich jahrelang in Moholes gelebt. Man würde Wälder wachsen lassen, Bergsteigerhütten oder eher Penthäuser für Millionäre auf den gebogenen Felsvorsprüngen erbauen, Treppen in die Flanken des Gesteins schneiden, gläserne Aufzüge installieren, die für die Fahrt hinauf oder hinunter einen ganzen Tag brauchten... Es würde Dachgärten geben, Reihenhäuser und Wolkenkratzer, die bis zum Rand aufragten, Helikopterlandeplätze auf deren flachen runden Dächern, Pisten, Autobahnen... O ja, der ganze Gipfel von Pavonis Mons mit Caldera und allem könnte von der großen Weltstadt bedeckt werden, die ständig wuchs wie ein Pilz auf jedem Fels im Sonnensystem. Milliarden, Billionen, Trillionen von Menschen, alle der Unsterblichkeit so nahe, wie sie sich selbst machen konnten...